Vorwürfe gegen Grünen-Kanzlerkandidatin:Ein paar Schnipsel auf 240 Seiten

Lesezeit: 4 Min.

Seit 21. Juni ist Baerbocks Buch auf dem Markt, laut den Bestsellerlisten verkauft es sich gut. (Foto: Christoph Soeder/picture alliance/dpa)

Warum die Plagiatsvorwürfe gegen Annalena Baerbocks Buch nicht mit früheren Fällen gleichzusetzen sind.

Von Roland Preuß, München

Wer sich auf dem Blog des österreichischen Medienwissenschaftlers Stefan Weber umsieht, erkennt schnell, dass ihn Annalena Baerbock schon eine Weile beschäftigt. Seit Mitte Mai prangerte Weber dort im Wochentakt Ungenauigkeiten im Lebenslauf der Grünen-Kanzlerkandidatin an. Anfang Juni etwa attackiert er Baerbock, indem er die offiziellen Angaben plakativ rot durchstreicht und durch die laut Weber korrekten Angaben ersetzt.

So habe Baerbock nicht "Völkerrecht" studiert, sondern "Public International Law", nicht "Politikwissenschaften", sondern "Politische Wissenschaften (Vordiplom)". Das wirkte teilweise spitzfindig, nach journalistischen Maßstäben würde man etwa beim Begriff Völkerrecht sagen, Baerbock oder ihr Team haben nach einer passenden Übersetzung gesucht, die ein breites Publikum versteht.

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Annalena Baerbock macht gerne mehr aus sich, als von ihren nachprüfbaren Qualifikationen gedeckt ist, das weiß man jetzt. Gleichzeitig ist da ein Unterschied zwischen kritischer Auseinandersetzung und moralischem Dauertribunal.

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Am Montag stellte er dann erste Plagiatsvorwürfe gegen die Grünen-Politikerin auf die Seite. "Nun kommt zum Lebenslauf-Frisier-Fall Baerbock auch noch der Plagiatsfall Baerbock hinzu", schreibt Weber mit Blick auf Baerbocks jüngst erschienenes Buch "Jetzt - Wie wir unser Land erneuern". Er habe sich in das "Thema Baerbock verbissen", sagte Weber der dpa, "weil da einiges zusammenkommt." Der Salzburger Medienwissenschaftler und bekannte Plagiatsjäger prüft das Buch mit Eifer. Das mag bei einer angehenden Kanzlerkandidatin legitim sein. Dennoch stellt sich hier auch die Frage: Verrutschen ihm dadurch die Maßstäbe?

Weber führt in seinem Blog fünf Textpassagen an, bei denen Baerbock - oder ihr Mitautor Michael Ebmayer, der erst im Inneren des Buches genannt wird - Formulierungen weitgehend wortgleich übernommen hat, ohne die Quelle zu nennen. Das klingt nach dem klassischen Fehler, den man aus den vergangenen Plagiatsfällen von Karl-Theodor zu Guttenberg bis Franziska Giffey kennt, die gerade ihren Doktorgrad verloren hat. Doch es gibt zwei wichtige Unterschiede. Erstens hat Baerbock ein Sachbuch geschrieben, in dem sie auf 240 Seiten grüne Lösungsmodelle ausbreitet und das verbindet mit persönlichen Erlebnissen. Das Buch hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, es hat nicht einmal Fußnoten oder ein Quellenverzeichnis.

"Ethisch nicht korrekt"

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Das räumt Weber auch ein, dennoch, so argumentiert er, seien Textplagiate "ethisch nicht korrekt" und auch in Sachbüchern bereits bemängelt worden. Er führt das Beispiel des Historien-Wälzers "Große Seeschlachten" an, den der Beck-Verlag nach Plagiatsvorwürfen 2014 zurückgezogen hatte. Nur: Die damaligen Autoren waren Wissenschaftler, der im Fokus stehende Forscher arbeitete bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, und die Befunde umfassten in zwei Kapiteln fünf und zehn Prozent des Textes. Bei Baerbock führt Weber nur wenige Sätze an, selbst der Ausdruck Passage wäre hier meist übertrieben. Das längste, was Weber ausgegraben hat, sind vier Sätze, die Baerbock oder ihr Co-Autor Michael Ebmeyer, fast wortgleich übernommen haben.

Der Blick auf diese Originalquellen zeigt den zweiten wichtigen Unterschied zu bekannten Plagiatsfällen. Während sich frühere geschasste Doktoren vor allem aus wissenschaftlicher Literatur bedienten, aus Aufsätzen, Lehrbüchern oder anderen Untersuchungen und deren Erkenntnisse als die eigenen ausgaben, geht es bei Baerbock um so alltägliche Quellen wie den Spiegel.

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Einzige Ausnahme: Der Aufsatz "Kriegstreiber Klimawandel" des amerikanischen Professors Michael T. Klare, der im September 2019 im Fachjournal Internationale Politik erschien. Nur: Es geht da um ein paar leicht abgewandelte Sätze, die Erkenntnisse des Pentagons referieren, dass der Klimawandel insbesondere schlecht funktionierende Staaten treffen dürfte und zu militärischen Konflikten und Migration führen könnte.

Eine bekannte These, die auch in verschiedenen Medien schon berichtet worden war. Michael Klare schrieb auf SZ-Anfrage, seine Darstellung gebe die damalige Sichtweise von Analysten in der Szene der US-Militärexperten wieder, speziell das von Baerbock zitierte Schlagwort des Klimawandels als "Bedrohungsmultiplikator" sei in der Literatur dazu häufig verwendet worden. "Deshalb sehe ich das nicht als Plagiat", schrieb Klare.

Plagiat oder einfach Allgemeingut?

Die Grüne gibt diese Erkenntnisse auch nicht als ihre eigenen aus, sondern kennzeichnet sie als die des US-Verteidigungsministeriums mit den zwischengeschobenen Worten "Seine Conclusio: (...)". In wissenschaftlichen Arbeiten wäre dies dennoch nicht zulässig und müsste gekennzeichnet werden, um alle Quellen offenzulegen.

Der Münchner Juraprofessor und Plagiatsexperte Volker Rieble spricht mit Blick auf diese Passage nicht von einem Plagiat, sondern von möglicher "Lesertäuschung", weil die Formulierung eben nicht von Baerbock selbst stamme. "Das würde man keinem Doktoranden durchgehen lassen", sagte Rieble der SZ. "Aber bei einem Wahlkampfbuch überrascht das nicht - ich fühle mich jedenfalls nicht getäuscht. Außerdem wissen wir doch alle, dass Politiker ihre Ghostwriter haben."

Die weiteren Textparallelen, die Weber anführt, stammen neben dem Spiegel vom "Verband der Wirtschaft für Emissionshandel und Klimaschutz", der Bundeszentrale für politische Bildung und aus Wikipedia, es geht um jeweils ein bis zwei Sätze - auf 240 Seiten. Weber wirft Baerbock da etwa vor, sie beschreibe "sehr persönlich und pathetisch, wie sie im Jahr 2004 Augen- und Ohrenzeuge der EU-Osterweiterung in Frankfurt an der Oder wurde", tatsächlich stammten "wesentliche Formulierungen" nicht von ihr, sondern von der Bundeszentrale für politische Bildung. Von dort hatte Baerbock allerdings nur übernommen, welche Staaten beigetreten sind mit wie vielen Millionen Bürgern - auch das wieder Allgemeingut, das man an Hunderten Stellen im Netz findet.

Hätte sie das kennzeichnen sollen? "Das ist banal, auch die Bundeszentrale hat kein Recht darauf, dass sie zitiert wird, wenn sie nur die Fakten referiert", sagt Rieble.

Eine Urheberrechtsverletzung? "Das ist Quatsch", sagt der Professor

Er hält auch nicht viel von dem weiteren Vorwurf, den Stefan Weber erhebt, nämlich, dass es sich bei den Textgleichheiten um Urheberrechtsverletzungen handle. "Das ist Quatsch, solche Texte, etwa aus dem Spiegel, haben nicht die Schöpfungshöhe, dass das Urheberrecht gilt", sagt der Juraprofessor. Sprich: Sie sind nicht so originell, dass sie geschützt werden wie ein Text von Herta Müller oder Günter Grass.

Am Mittwochnachmittag erklärte Weber, er habe weitere Stellen gefunden, er komme bislang auf 14 "Fragmente" - legte sie jedoch nicht in seinem Blog dar.

Dort wirkte der letzte Eintrag eher abseitig, als Weber Baerbock attackiert, sie habe in ihrem Buch über grüne Lösungsvorschläge "zahlreiche Sätze und Absätze" aus dem Parteiprogramm der Grünen übernommen. Ein Leser kommentierte dies mit den Worten: "Die Vorsitzende und Kanzlerkandidatin der Grünen schreibt aus dem Programm der Grünen ab und plagiiert sich am Ende noch selbst? Skandal. Was kommt wohl als nächstes? Olaf Scholz, der unverschämt SPD-Forderungen klaut?"

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