Keine Nachrichtensendung über die Vorwahl in Iowa beginnt ohne die amerikanische Metapher der Stunde: "frozen". Eingefroren sind bei minus 30 Grad Celsius die Maisfelder und Straßen am Tag der ersten Vorwahl in Iowa, festgefroren scheint auch der riesige Vorsprung des Favoriten unter den republikanischen Präsidentschaftsanwärtern.
Donald Trump führt laut der jüngsten und viel beachteten Umfrage der Zeitung Des Moines Register mit 48 Prozent. Weit abgeschlagen folgen Nikki Haley mit 20 und Ron DeSantis mit 16 Prozent. Nun ist die Spannung hoch, ob Trump am Montagabend in Iowa seinen Umfragevorsprung in einen ebenso klaren Sieg bei der ersten Vorwahl umsetzen kann. Mit den Vorwahlen nominieren die Parteien ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vom 5. November.
Gewinnt Trump schon in Iowa haushoch, können ihn seine republikanischen Gegner kaum mehr einholen - den Mann, der mehrere Strafverfahren am Hals hat, vor drei Jahren einen Staatsstreich versuchte und nun Witze darüber reißt, wie ein Diktator regieren zu wollen.
Warum die Vorwahl in Iowa für Überraschungen gut ist
Für Überraschungen war der Bundesstaat in der jüngeren US-Wahlgeschichte immer wieder gut. Iowa, 3,2 Millionen Einwohner, Schweinebestand 24 Millionen, hat eine besondere politische Kultur. Die Vorwahl der Republikaner etwa findet in Form von "Caucuses" statt. Das sind Bürgerversammlungen, die in mehr als 1500 Gemeindehäusern, Sporthallen und Schulen um 19 Uhr Ortszeit (zwei Uhr nachts in Deutschland) beginnen.
Zuerst halten Vertreter der Kandidaten kurze Reden, danach wird abgestimmt mit Wahlzetteln, die vor Ort ausgewertet werden. Die Resultate gehen via Internet an die Zentrale der Republikanischen Partei von Iowa, die das Ergebnis noch am Dienstagabend Ortszeit auf ihrer Webseite veröffentlichen will.
Trumps Wahlkampfteam lässt den Schnee räumen
Die Überraschungsfaktoren sind zahlreich. Die eisigen Temperaturen könnten dabei eine wichtige Rolle spielen. Meist nehmen nur rund 20 Prozent der Wahlberechtigten teil an den Caucuses, die arktischen Verhältnisse dürften die Beteiligung senken. Trumps Wahlkampfteam hat deswegen Schneeräumfahrzeuge und Geländewagen bereitgestellt, um seine Fans rechtzeitig in die Versammlungslokale zu fahren. Der frühere Präsident setzt darauf, dass ihm das Winterwetter nützt, weil seine Basis enthusiastisch ist: Fast 90 Prozent seiner Anhänger haben sich in Umfragen als sehr oder extrem begeistert von Trump bezeichnet. Nikki Haleys Wert liegt bei weit bescheideneren 39 Prozent.
Trumps Gegner können dafür mit Hilfe aus dem Lager der Demokraten rechnen. Die Vorwahl der Demokratischen Partei in Iowa findet diesmal als Briefwahl statt und endet erst im März, wobei Joe Biden als Kandidat so gut wie feststeht. Darum haben sich Parteigänger der Demokraten und ungebundene Wahlberechtigte vorübergehend bei der Republikanischen Partei eingeschrieben, um eine neuerliche Nominierung Trumps zu verhindern. Wie bedeutend diese Gruppe ist, ist schwer vorherzusagen, da sich Wähler auch erst im Caucus-Lokal registrieren können. Zugelassen sind alle mindestens 18-jährigen US-Bürger mit Wohnsitz in Iowa, als Nachweis genügen etwa ein US-Pass und eine Stromrechnung.
Der Ex-Präsident hat diesmal die Religiösen auf seiner Seite
Sollte Trump dennoch mehr als 50 Prozent der Stimmen bei den Caucuses in Iowa erhalten, gilt seine Nominierung am Parteitag im Sommer als so gut wie sicher. Um diesen Eindruck zu zementieren, versucht er den bisherigen Lokalrekord zu brechen: Bob Dole gewann 1988 mit zwölf Prozentpunkten Vorsprung. Sollte Trump ihn nicht überbieten, wäre das ein Zeichen der Schwäche.
In den Umfragen liegt er sogar um 30 Prozentpunkte vorn, so viel wie noch kein anderer Kandidat vor ihm. Dabei kommt dem früheren Präsidenten zugute, dass er die Unterstützung zahlreicher evangelikaler Meinungsführer genießt, die im tief religiösen Iowa eine wichtige Rolle spielen. Das war 2016 anders, als der Texaner Ted Cruz Trump noch auf den zweiten Platz verwies.
DeSantis muss stark abschneiden, sonst ist es für ihn vorbei
Allerdings haben sich einige einflussreiche Pastoren und Iowas Gouverneurin Kim Reynolds auf die Seite von Ron DeSantis geschlagen. Der Gouverneur von Florida verspricht, wie sein politischer Pate Trump zu regieren, aber ohne Chaos und Drama. Ihre Programme sind darum sehr ähnlich: DeSantis verspricht, die Einwanderung zu senken, umstrittene Bücher und Unterrichtsinhalte aus den Schulen zu verbannen, die Unterstützung für die Ukraine zurückfahren, gegen China militärisch aufzurüsten und wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen auszubauen.
Der 45-Jährige hat seine Kampagne auf einen Überraschungserfolg in Iowa gebaut. Sämtliche 99 Bezirke hat er in den vergangenen Monaten besucht, dennoch hat er laut Umfragen rund die Hälfte seines Rückhalts eingebüßt. Sollte DeSantis in Iowa nicht auf dem zweiten Platz landen, ist das Rennen für ihn gelaufen.
Wie Nikki Haley Trump noch gefährlich werden könnte
Den zweiten Platz gewinnen dürfte eher Nikki Haley, die frühere Gouverneurin von South Carolina. Die 51-Jährige hat sich zur Wunschkandidatin der Trump-Gegner unter den Republikanern gemausert. Sie arbeitete zwar in dessen erster Regierung mit, hat sich inzwischen aber deutlich von ihm distanziert und kandidiert mit einem eher klassischen republikanischen Programm: weniger Staat, niedrigere Steuern. Haley hätte laut Umfragen bessere Chancen als Trump und DeSantis, den Demokraten Joe Biden bei der Wahl am 5. November zu schlagen.
Dafür muss Haley aber nicht nur in Iowa stark abschneiden und den Abstand zu Trump unter 15 Prozentpunkten halten, sondern auch eine Woche später in New Hampshire. Dort, im Nordosten der USA, findet die Vorwahl am kommenden Dienstag als "Primary" statt.
Anders als Caucuses sind Primaries von Bundesstaaten organisierte Vorwahlen, bei denen die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme in Wahllokalen abgeben, meistens an Wahlmaschinen. Die Beteiligung ist in der Regel leicht höher als bei Caucuses, zwischen 20 und 30 Prozent. In New Hampshire haben sich vier von zehn Wählern nicht einer Partei zugeordnet; sie können selbst entscheiden, bei welcher Partei sie an den Primaries teilnehmen. Bei dieser Gruppe kommt Haley besonders gut an, Trump hingegen besonders schlecht.
Spätestens South Carolina wird zeigen, ob Trump der Kandidat ist
Haley hat in New Hampshire jüngst Boden gut gemacht und in Umfragen 30 Prozent überschritten; Trump führt mit rund 43 Prozent. Mit starken Resultaten in Iowa und New Hampshire will Haley ihren Rückstand in ihrem Heimatstaat South Carolina verringern. Bisher liegt Trump dort bei knapp 55, Haley bei 25 Prozent - sie muss aber die Vorwahl vom 24. Februar gewinnen in dem Staat, den sie als Gouverneurin regiert hat, um gegen Trump noch eine Chance zu haben.
Normalerweise fällt die Entscheidung erst am oder nach dem "Super Tuesday", wenn in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten mehr als ein Drittel der Wahlmänner und -frauen des Electoral College bestimmt wird. Diesmal fällt der Super Tuesday auf den 5. März. Formell endet die Vorwahl dann mit den Parteiversammlungen im Sommer, in denen die Republikaner und die Demokraten formell ihre Kandidaten für Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft bestimmen, die am 5. November 2024 zur Wahl antreten.
Joe Bidens Abenteuer in New Hampshire
Bei den Demokraten dürfte New Hampshire ebenfalls einige spannende Erkenntnisse liefern, obwohl Präsident Joe Biden dort gar nicht an den Primaries teilnimmt. Biden verlangte von seiner Partei, die Vorwahlen am 3. Februar in South Carolina im Süden zu beginnen. Die Demokraten in New Hampshire weigerten sich jedoch, weshalb der 81-Jährige nun gar nicht erst auf ihrer Wahlliste erscheint. Seine Anhänger wollen dennoch für ihn stimmen gehen, weshalb die Situation nun ziemlich unübersichtlich ist.
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Sollte sein einziger Herausforderer mit etwas politischer Erfahrung, der Kongressabgeordnete Dean Phillips, in New Hampshire überraschend stark abschneiden und mehr als 30 Prozent der Stimmen holen, wäre er in der Lage, Biden möglicherweise doch noch in Verlegenheit zu bringen. Dass Biden plötzlich doch seine Kandidatur zurückziehen könnte, gilt jedoch als so gut wie ausgeschlossen.
Was bedeuten die Vorwahlen für unabhängige Kandidaten?
Sollte Biden weiter schwächeln und Trump sich wie erwartet die Nominierung der Republikaner sichern, öffnet sich möglicherweise ein Fenster für eine Drittkandidatur. Bereits ins Rennen eingestiegen ist etwa Robert F. Kennedy Jr., Spross der bekannten Politikerdynastie, ehemaliger Demokrat und nun von republikanischen Geldgebern finanziert. Der 69-Jährige macht mit eigenwilligen Positionen von sich reden, etwa mit seinem Widerstand gegen Covid-Impfungen. Im linken Spektrum fischt Cornel West, 70-jähriger Philosophieprofessor und bisher einziger afroamerikanischer Kandidat. Beide gelten als Außenseiter, könnten aber den zwei Hauptkandidaten wichtige Stimmen wegnehmen.
Die Wahl aufmischen könnte allenfalls die Gruppierung "No Labels", die seit Monaten an einer parteiungebundenen Kandidatur arbeitet - jüngsten Spekulationen zufolge könnte sie versuchen, Nikki Haley aufzustellen. Doch ist es wahrscheinlicher, dass Haley es in vier Jahren wieder als Republikanerin versuchen würde. "No Labels" hat zwar eine eigene Wahlkampfkasse geöffnet, die aber winzig ist im Vergleich mit den prall gefüllten Töpfen der beiden großen Parteien und ihrer Spendenorganisationen. Knapp drei Milliarden Dollar sollen laut Prognosen in Werbung für die Präsidentschaftswahl 2024 fließen.