Energie und Vogelschutz:Uckermarkleitung darf gebaut werden

Lesezeit: 3 min

Stromtrassen können für Vögel ein Risiko darstellen. Wie groß es ist, muss nicht nur für Populationen geprüft werden, sondern für Individuen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Auch grüner Strom braucht leistungsstarke Trassen - und die können Vögel und Vogelarten gefährden. Das Bundesverwaltungsgericht fällt dazu nun ein Urteil auf Basis komplexer Gutachten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Stromtrassen mit hoher Kapazität sind die Adern der Energiewende. Grüner Strom soll vom Ort seiner Erzeugung, etwa in Offshore-Windparks, rasch dorthin geleitet werden, wo er gebraucht wird. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat an diesem Dienstag den Weg zum Bau des letzten - nördlichen - Teils der sogenannten Uckermarkleitung freigemacht.

Für den Netzausbau ist das ein kleiner Schritt, es ging um die verbleibenden gut 40 der 116 Kilometer langen Leitung. Also um einen Bruchteil der über 12 000 Leitungskilometer, deren Ausbau derzeit geplant oder - zu einem kleinen Teil - realisiert ist. Aber der Fall illustriert die Mühsal des Netzausbaus, der mit demselben Hindernis zu kämpfen hat wie die Windparkbetreiber: mit dem Vogelschutz.

SZ PlusEnergiewende
:Deutschland - ein Windradland

Es werde nicht ohne Zumutungen gehen, sagte Robert Habeck. 30 000 Windräder stehen bereits in Deutschland - und es sollen noch mehr werden. Was kommt hier auf das Land zu? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Thomas Hummel

Die ersten Überlegungen zum Bau einer Höchstspannungsleistung zwischen Bertikow und Neuenhagen stammen aus dem Jahr 2005. Die Planungsbürokratie lief an, im Raumordnungsverfahren war bald ein Korridor gefunden. 2008 begann die Planfeststellung, 2014 stand schließlich der erste Beschluss. Der Träger des Vorhabens, der Netzbetreiber 50 Hertz, hatte zwar im Laufe des Verfahrens umdisponiert, um eine besonders sensible Zone eines Biosphärenreservats zu meiden, gleichwohl sollte das Projekt gleich drei europäische Vogelschutzgebiete berühren. Der Naturschutzbund Brandenburg zog vor Gericht.

Das ist bei Vorhaben dieser Größenordnung der Normalfall. Vor Gericht ging es sogar einigermaßen zügig voran. Schon im Januar 2016 fällte das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil - allerdings eines, das die Pläne von 50 Hertz zurückwarf. Der Planfeststellungsbeschluss musste überarbeitet werden. Der Fehler, den das Gericht dem zuständigen Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe ankreidete: Die Risiken für die dort brütenden oder durchziehenden Vögel hätten für jede einzelne Art evaluiert werden müssen. Also musste das Landesamt nacharbeiten.

Rohrdommel und Kleinralle haben ein individuelles Tötungsrisiko

Vogelschutzgutachten sind eine zeitraubende Angelegenheit. Und zwar deshalb, weil der europäisch vorgegebene und in Deutschland entsprechend umgesetzte Vogelschutz nicht etwa auf den Bestand von Populationen abstellt, sondern auf das individuelle Tötungsrisiko. Jeder Vogel zählt. Also müssen die Gutachter mindestens eine Brutperiode lang beobachten, um den Aktionsradius einzelner Brutpärchen zu ermitteln - und abzuschätzen, ob die Vögel gegen die Leitungen fliegen werden, die dort gespannt werden sollen.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Das heißt: Es wird dann schon sehr kleinteilig. Da ging es beispielsweise um das Kleine Sumpfhuhn, auch als Kleinralle bekannt, das im betroffenen Gebiet Unteres Odertal brütet. Und zwar in zwei Gewässern, zwischen denen die Leitung verlaufen soll. Oder um die Rohr- und die Zwergdommel, dazu um ein paar Entenarten. Fliegen sie zwischen den Seen hin und her? Oder hält ein Waldstück sie ab? Fliegen sie eigentlich auch nachts, wenn Leitungen nicht erkennbar sind? Manche Vögel schauen eher zur Seite als nach vorn, weil von dort Feinde kommen. Können sie dann überhaupt die "Erdseilmarker" erkennen, also die Ballons, Klappen oder Spiralen, mit denen Leitungen markiert werden?

Ein ornithologisches Fachseminar also, und das Bundesverwaltungsgericht brauchte dann doch ein wenig Zeit, um das Dickicht der Probleme zu durchdringen. Vergangenes Jahr gab es einem Antrag des Nabu statt und setzte die Genehmigung für den nördlichen Teil der Leitung vorerst außer Kraft, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache.

Zählt zu den Vogelarten, deren mögliche Gefährdung durch die Stromleitung geprüft wurde: die Rohrdommel. (Foto: Imago)

Nun also die abschließende Antwort aus Leipzig: Keine "erhebliche Gefährdung", weder für Rohr- und Zwergdommeln noch für die Kleinen Sumpfhühner. Das Landesamt durfte davon ausgehen, dass wenigstens diese Arten die Ballons oder Spiralen an den Leitungen rechtzeitig sehen würden. Und, vielleicht noch wichtiger: Der Netzbetreiber musste nicht darauf verwiesen werden, seine Leitung unter die Erde zu legen - womit das Projekt sehr viel kostspieliger geworden wäre. Dies sei keine "zumutbare Alternative", befand das Gericht. Die Uckermarkleitung darf gebaut werden; 2024, so der Plan, soll sie in Betrieb gehen.

An der Notwendigkeit aufwendiger Gutachten dürfte das Urteil wenig ändern. Fachleute fordern zwar, stärker auf die Gefährdung ganzer Populationen abzustellen, wie es jetzt beim Windkraftausbau diskutiert wird. Der Schlüssel hierfür liegt jedoch beim Europäischen Gerichtshof - und der hält bisher strikt am Schutz des individuellen Vogels fest.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWindkraft in Bayern
:Wenn Söder das wüsste

Es heißt ja immer, die Leute wollen keine Windräder, schon gar nicht in Bayern. Aber in Mindelheim kann es vielen gerade gar nicht schnell genug gehen. Von Bürgern, die wohl ein ganzes Stück weiter sind als die Politiker glauben.

Von Jan Schmidbauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: