Türkei:Alle gegen den israelischen Fußballstar

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Sagiv Jehezkel von Antalyaspor weist auf seine bandagierte Hand, als die Kameras seinen Torjubel aufnehmen. Dort ist zu lesen: "100 Tage 7.10." und ein Davidstern. (Foto: DPA)

Eben noch war Sagiv Jehezkel der Star des türkischen Klubs Antalyaspor, dann erinnert er beim Torjubel an die Opfer der Hamas - und wird festgenommen. Ein Beleg für die Stimmung in der Türkei.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Ohne Sagiv Jehezkel hätte Antalyaspor am Sonntag verloren. Der Fußballklub aus der türkischen Süper Lig lag gegen die Gäste aus Trabzon hinten, 67 Minuten lang, bis Jehezkel der Ausgleich gelang. Der Israeli jubelte, dabei zeigte er auf die Bandage an seinem linken Handgelenk. Darauf stand eine Botschaft: "100 days 7.10" Daneben ein Davidstern. Jehezkel erinnerte damit daran, dass seit dem Überfall der Hamas auf Israel 100 Tage vergangen waren.

Das Spiel endete unentschieden 1:1, dank Jehezkel - aber alles Sportliche war der Vereinsführung von Antalyaspor nachher denkbar egal. Er werde "solches Verhalten nicht dulden", ließ der Präsident des Klubs wissen. Man werde Jehezkel suspendieren und seinen Vertrag auflösen, so wichtig er für die Mannschaft auch sei. Die "nationalen Werte" stünden über allem.

Im Umfeld von Präsident Erdoğan wird Jehezkel als "israelischer Hund" beschimpft

Am selben Abend reagierte die Politik. Aus Ankara meldete sich ein Berater von Präsident Erdoğan und nannte den Fußballspieler einen "israelischen Hund", gegen den man sofort handeln müsse, sonst werde "die Empörung groß sein". Justizminister Yılmaz Tunç schrieb auf der Plattform X von einer "hässlichen Aktion", die Staatsanwaltschaft habe schon ein Verfahren gegen Jehezkel eingeleitet - wegen "öffentlicher Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit", sprich Volksverhetzung.

Noch in der Nacht, wenige Stunden nach seinem Tor, wurde Jehezkel festgenommen. Und der Sonntag war noch nicht vorbei, da legte der Sponsor von Antalyaspor, ein Baukonzern, nach. Jehezkel müsse abgeschoben werden, forderte das Unternehmen. Offenbar versuchte die israelische Regierung dann, ihren Staatsbürger nach Hause zu holen. Auch das ging dann schnell: Am Montagnachmittag hieß es, Sagiv Jehezkel werde die Türkei verlassen.

Jehezkel war in einen Furor geraten, der in der Türkei jedem droht, den die Öffentlichkeit mit Israel in Verbindung bringt, aus welchen Gründen auch immer. Darum dürfte es auch dem Sponsor von Antalyaspor gegangen sein, als er forderte, den eben noch gefeierten Fußballstar des Landes zu verweisen. Bloß keinen Zweifel daran lassen, wo man steht: solidarisch mit den Palästinensern. Gegen Israel.

Das Hamas-Massaker spielt keine Rolle mehr, es ist Israel, das angeblich Massaker verübt

Die Stimmung in der Türkei ist entschieden antiisraelisch, und das immer heftiger. Das Land, das sich sonst auf wenig einigen kann, schaut über die politischen Lagergrenzen hinweg schockiert auf die Lage im Gazastreifen. In Istanbul versammelten sich am Neujahrstag Zehntausende zu einer Demo gegen Israel, unter den Organisatoren war Bilal Erdoğan, der Sohn des Staatspräsidenten.

So kommt es, dass ein Fußballspieler, der an die Opfer des 7. Oktober erinnert, beschuldigt wird, er feiere das "Massaker" der israelischen Armee in Gaza. Massaker, das ist in türkischen Medien inzwischen das gängige Wort für Israels Krieg gegen die Hamas.

Was die Terrororganisation damals, vor 100 Tagen, tat, spielt in der Türkei schon lange keine Rolle mehr. Alleiniges Thema sind die palästinensischen Toten, die Schuld Israels und, wie Recep Tayyip Erdoğan immer wieder sagt: die Mitschuld des Westens.

Erdoğan hat den israelischen Premierminister Netanjahu mit Hitler verglichen und ihn den "Schlächter von Gaza" genannt. Er hat die diplomatische Zurückhaltung, die er nach dem Hamas-Überfall pflegte, lange abgelegt. Heute lässt der Präsident seinem Ärger rhetorisch freien Lauf, auch weil er weiß, dass er damit nicht nur für die große Mehrheit in der Türkei spricht - sondern in vielen Ländern der Welt außerhalb des Westens. Deren Stimme will Erdoğan sein. Zuletzt unterstützte die Türkei auch die südafrikanische Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Der Nahostkonflikt kommt dem türkischen Präsidenten als Wahlkampfthema entgegen

Innenpolitisch geht es Erdoğan darum, die Agenda zu beherrschen. Vor den wichtigen Kommunalwahlen am 31. März will er die Themen setzen, der Nahostkonflikt kommt ihm dabei entgegen. Ebenso wie die jüngsten Angriffe der kurdischen PKK-Miliz, bei denen gerade am Freitag neun türkische Soldaten ums Leben kamen.

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Mit Themen wie diesen kann Erdoğan das politische Spektrum zu seinen Gunsten ausrichten, so regiert er seit zwei Jahrzehnten - für die Opposition bleibt dann wenig Raum. Etwa, wenn seine Gegner darauf hinweisen wollen, wie Erdoğan gerade das Verfassungsgericht entmachtet. Oder wie er daran scheitert, die endlose Wirtschaftskrise zu beenden.

Geht es um die Wirtschaft, ist Erdoğan nach wie vor pragmatisch. Die Zeitung Karar berichtete kürzlich, dass das Land nicht nur weiterhin mit Israel handele - das Handelsvolumen sei im Dezember sogar gestiegen. Es sei höher als vor dem 7. Oktober.

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