"Krieg gegen den Terror":Wenn der Staat seine Bürger foltern lässt

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"Festnehmen oder gleich töten": Geheimdienst-Dokumente offenbaren unfassbare Details. Die Blair-Regierung soll von Entführung und Folter britischer Staatsbürger gewusst und diese gebilligt haben.

Barbara Vorsamer

"Howdy Poodle" - nicht nur die britische Boulevardzeitung Daily Mirror fand 2002, dass sich der damalige britische Premier Tony Blair dem US-Präsidenten George W. Bush gegenüber wie ein Schoßhündchen verhielt. Während der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder ihre jeweiligen Länder aus dem Irakkrieg heraushielten, stand Blair mit Bush Schulter an Schulter - und muss bis heute in jedem Interview Fragen zu den Massenvernichtungswaffen beantworten, die bis heute nicht im Irak aufgetaucht sind.

Schulter an Schulter mit George W. Bush (rechts) bekämpfte Tony Blair den Terrorismus. (Foto: rtr)

Möglicherweise wird er sich bald denken: Wenn das nur alles wäre!

Denn nicht nur, dass der Krieg völkerrechtlich fragwürdig war, massive Fehler beim Wiederaufbau gemacht wurden und sich die Amerikaner schwerer Folterverbrechen schuldig gemacht haben - Dokumente belegen, dass auch britische Staatsbürger zu Opfern wurden. Die Regierung in London soll davon gewusst, sich aber nicht eingemischt haben.

Wie der britische Guardian unter Berufung auf Geheimdienstdokumente schreibt, sollen Regierungsbeamte von einem britischen Bürger erfahren haben, der auf einem US-Luftstützpunkt verhört und misshandelt wurde. Angeblich waren sie mit der Vorgehensweise aber zufrieden und reagierten nicht.

Außerdem zitiert das Blatt aus einem Handbuch des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, in dem die Angestellten dazu angehalten werden, sich Gefangennahmen gut zu überlegen. Sie sollten hinterfragen, ob tatsächlich Gefangennahme oder nicht gleich Tötung des Terrorverdächtigen das Ziel sei.

Weiter belegen die Dokumente, die im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung öffentlich wurden, Folgendes: Laut Guardian soll das britische Außenministerium 2002 den Transport britischer Staatsbürger aus Afghanistan nach Guantanamo "bevorzugt" haben. Urteile sollten erst gesprochen werden, wenn der Inlandsgeheimdienst MI5 die Verdächtigen verhört habe. In einem spezifischen Fall soll das Büro des Ministerpräsidenten den diplomatischen Dienst daran gehindert haben, einem Briten, der in Sambia gefangengenommen wurde, zu helfen - mit dem Ergebnis, dass auch er nach Guantanamo kam.

Was diese Dokumente suggerieren, kann Tony Blair nicht gefallen. Zu oft hat er schon das Gegenteil behauptet - zum Beispiel 2009 im Gespräch mit dem Stern: "Ich kann nur sagen, dass ich immer gegen Folter gewesen bin. Das war meine private Überzeugung und meine öffentliche Haltung. Mit Sicherheit wusste ich nicht, was getan wurde."

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Auch gegen Guantanamo sprach sich Blair schon früh aus. "Ich war es, der die ersten Männer aus Guantanamo zurückgebracht hat", behauptete er im selben Interview. "Ich habe Amerika gesagt, es wäre besser, wenn wir Guantanamo nicht gehabt hätten." Schon drei Jahre zuvor sagte der Brite: "Guantanamo ist eine Anomalie."

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Eine Anomalie, die er den nun öffentlich gewordenen Dokumenten zufolge aber gerne genutzt hat. Oder wird sich der ehemalige Premier wie schon bei den Foltervorwürfen 2003 damit entschuldigen, dass er von nichts gewusst habe? Als damals das Rote Kreuz in einem Report auf Misshandlungen im britischen Sektor des Iraks hinwies, musste sich sein Verteidigungsminister Geoff Hoon dafür entschuldigen. Blair behauptete, den Bericht nie gesehen zu haben.

Die dem Guardian vorliegenden Dokumente sind 900 von insgesamt 500.000 Seiten, auf deren Herausgabe derzeit geklagt wird. Sechs ehemalige Guantanamo-Insassen klagen den MI5, den MI6, das Außenministerium, das Justizministerium und das Innenministerium an, an ihrer rechtswidrigen Verhaftung und Folter beteiligt gewesen zu sein.

Die britische Regierung versucht mit allen Mitteln, diese geheimen Dokumente weiter verschlossen zu halten. Mehrere Fristen sind von Behörden versäumt worden, während ihre Anwälte gleichzeitig versuchen, einen Kompromiss mit den Opfern zu finden, damit sie ihre Klagen zurückziehen.

Der Nach-Nachfolger von Tony Blair, David Cameron, erklärt das so: Es sei nun einmal nicht möglich, etwas öffentlich zu untersuchen, was geheim bleiben solle.

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