Waffenlieferungen an die Ukraine:Showdown in der T-Frage

Lesezeit: 3 Min.

Vor der russischen Botschaft in Berlin wird auf einem Plakat die Lieferung der "Taurus"-Marschflugkörper gefordert. (Foto: Regina Schmeken)

FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann kündigt an, mit der CDU/CSU für eine Lieferung der Marschflugkörper "Taurus" an die Ukraine zu stimmen. Die SPD und Kanzler Scholz geben sich noch unbeeindruckt.

Von Daniel Brössler, Georg Ismar und Paul-Anton Krüger, Berlin

Das T-Wort hat Wolodimir Selenskij am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz nicht in den Mund genommen. Der ukrainische Präsident sprach lediglich davon, dass sein Land nicht über "Langstreckenwaffen" verfüge. Am wichtigsten sei jetzt Luftraumverteidigung, fügte Selenskij hinzu. Und in jedem Gespräch mit Teilnehmern aus Kiew hieß der Ruf: "Artilleriemunition, Artilleriemunition, Artilleriemunition!"

Das ändert wenig daran, dass sich die Debatte in Deutschland vor allem um ein Waffensystem dreht, das die Ukraine bereits vor neun Monaten erbeten hat: luftgestützte Taurus-Marschflugkörper, die laut dem Hersteller MBDA mehr als 500 Kilometer weit reichen. Sie fallen in die Kategorie von Waffen, die Selenskij genannt hat. Und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ihn schon im Herbst wissen lassen, dass er einstweilen nicht vorhat, dieser Bitte nachzukommen.

In der FDP und bei den Grünen gibt es viele Befürworter einer Lieferung

Im Bundestag steht am Donnerstag ein Showdown bevor, der einmal mehr die Zerrissenheit der Ampelregierung in dieser Frage dokumentieren dürfte. Die Fronten sind seit Monaten klar: Während es in der FDP und bei den Grünen viel Sympathie für eine Lieferung gibt, hält es die SPD mit dem Kanzler. So ist bei den Beratungen über einen Entschließungsantrag zum Krieg Russlands gegen die Ukraine nun ein Kompromiss nach Art der Ampel herausgekommen.

"Insbesondere muss die Ukraine auch künftig in die Lage versetzt werden, Angriffe auf militärische Ziele wie Munitionsdepots, Versorgungsrouten und Kommandoposten weit hinter den Frontlinien durchzuführen", heißt es im jüngsten Entwurf. Der Bundestag begrüße daher die Lieferungen "von Lenkflugkörpern unserer französischen und britischen Partner an die Ukraine". Gemeint sind die baugleichen Storm Shadow und SCALP, von denen London und Paris eine dreistellige Anzahl geliefert haben.

Der Einsatz von präzisen Abstandswaffen zur Landesverteidigung sei "mit dem Völkerrecht vereinbar und für den Schutz der Ukraine unverzichtbar", wird hervorgehoben. Aus Sicht von Grünen und FDP lässt sich herauslesen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, der Ukraine Taurus vorzuenthalten - und auch kein anderes System in den Beständen der Bundeswehr, das der angeführten Definition entspricht. Spezifische Waffensysteme seien ohnehin nie genannt worden in ähnlichen Anträgen. Der SPD war dennoch wichtig, dass Taurus eben nicht explizit genannt und folglich die Lieferung nach sozialdemokratischer Lesart auch nicht gefordert wird.

Die Union hat Mitte Januar schon versucht, die lautstarken Taurus-Befürworter in den Regierungsfraktionen mit einer namentlichen Abstimmung im Bundestag zu zwingen, Farbe zu bekennen, wie die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Spitzenkandidatin der FDP bei der Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, oder den Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Damals gab es keine Abweichler aus der Ampel.

Der SPD-Fraktionschef fordert Solidarität innerhalb der Ampelregierung

Diesmal könnte es anders laufen. CDU und CSU werden wieder einen eigenen Antrag einbringen, in dem sie die "unverzügliche Lieferung von erbetenen und in Deutschland verfügbaren Waffensystemen (u.a. TAURUS)" fordern. Strack-Zimmermann, die als Hauptrednerin ihrer Fraktion in der Debatte sprechen soll, kündigte laut Bild -Zeitung an, sie werde "auch für den Antrag der Unionsfraktion zur Zeitenwende im Plenum stimmen" - was aufgrund getrennter Abstimmungen über die beiden Vorlagen möglich ist. Wie viele Ampelabgeordnete es ihr gleichtun, wird also auch ein Maß für Disziplin und Unzufriedenheit in der Koalition sein.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte die Ankündigung der FDP-Politikerin als unsolidarisch. "Wer in diese Koalition gegangen ist, der wusste, dass er in schwierigen Zeiten eine Regierung zu unterstützen hat. Wenn man dort eine andere Auffassung hat, muss das in der jeweiligen Fraktion geklärt werden." Wer meine, man könne den größten Landkrieg seit Ende es Zweiten Weltkriegs allein mit einem Waffensystem lösen, "ich glaube, der geht fehl".

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Bei den Grünen reibt man sich verwundert die Augen ob der Ankündigung, hatte doch Strack-Zimmermann jüngst der Union noch parteitaktische Spielchen vorgeworfen. Allerdings konnte sich die FDP mit ihrem von der Verteidigungspolitikerin öffentlich erklärten Ziel nicht durchsetzen, im Antrag der Ampel explizit die Taurus-Lieferung zu nennen. Das hat die SPD verhindert in den Verhandlungen, die Beteiligte als hart und langwierig beschrieben.

Eine solche Forderung hätte aber auch nur begrenzte Wirkung. Nicht der Bundestag, sondern der geheim tagende Bundessicherheitsrat befindet über Waffenlieferungen. In der Praxis fallen diese aber in den vergleichsweise kleinen Bereich exklusiver Entscheidungen des Kanzlers. "Deutschland liefert die Waffen, auf die es jetzt ankommt", sagte er vergangene Woche in einem SZ-Interview lediglich auf die Frage nach Taurus.

Bislang deutet nichts darauf hin, dass Kanzler Scholz seine Position ändert

Seine Bedenken gegen eine Lieferung legt Scholz nicht offen auf den Tisch. Bekannt ist aber, dass sie sich vor allem um die hohe Reichweite drehen und die Möglichkeit, Ziele tief in Russland zu attackieren. Natürlich können die Abgeordneten versuchen, Scholz zu einem Sinneswandel zu drängen. Zwingen können sie ihn aber nicht, und bisher deutet nichts darauf hin, dass der Kanzler seine Position ändert.

Aufgegeben hat die Ukraine noch nicht, wie Außenminister Dmytro Kuleba in München klarmachte. "Die Tatsache, dass Sie kein klares Nein hören, ist schon eine Antwort an sich", sagte er - Panzerlieferungen hatte Scholz auch einige Zeit abgelehnt. Vielleicht, so die Hoffnung, schwenkt er um, wenn sich die Berichte erhärten, dass die USA mehr ATACMS-Raketen mit mehr als 300 Kilometer Reichweite liefern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivVerteidigung
:"Wir wollen so stark sein, dass niemand uns angreift"

Bundeskanzler Olaf Scholz sagt im Gespräch mit der SZ, warum Deutschland weiter aufrüsten müsse. Von einem europäischen Schutzschirm mit Atomwaffen hält er dagegen nichts. An Israels Ministerpräsidenten richtet er einen deutlichen Appell.

Interview von Daniel Brössler und Nicolas Richter; Fotos: Friedrich Bungert

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: