Mehr Menschen eine Bezahlung nach Tarif zugute kommen zu lassen, das war eines der Ziele des Tarifautonomiestärkungsgesetzes aus dem Jahr 2014. Nun zeigt eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Das Gesetz ist zunehmend wirkungslos.
Vor sieben Jahren hatte die damalige große Koalition das Gesetz beschlossen, dessen Kern eigentlich die Einführung eines Mindestlohns war. Daneben sollte aber auch die Tarifbindung von Firmen gestärkt werden, indem sogenannte Allgemeinverbindlicherklärungen erleichtert wurden. Wird ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, dann gilt er für alle Beschäftigten einer Branche. Umsetzen wollten das zuletzt etwa die Gewerkschaft Verdi und der Arbeitgeberverband BVAP für die Altenpflege; der Antrag, den sie beim Bundesarbeitsministerium einbringen wollten, scheiterte jedoch am Widerstand des Caritasverbands.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Linken-Anfrage zeigt: Die Zahl der Allgemeinverbindlicherklärungen ist über die Jahre stark zurückgegangen. Wurden im Jahr 2000 noch 113 Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt, waren es 2014, als das Gesetz verabschiedet wurde, noch 39. Bis 2020 gab es einen weiteren, starken Rückgang auf zuletzt 18 Allgemeinverbindlicherklärungen.
Das Gesetz habe sich als "Rohrkrepierer" erwiesen, kritisiert der Linken-Gewerkschaftsexperte Pascal Meiser. "Sein erklärtes Ziel, das Tarifsystem durch die Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu stabilisieren, wurde ausweislich der vorliegenden Zahlen offenkundig verfehlt."
Ohne Tariflohn sind die Menschen im Schnitt unzufriedener
Die Tarifbindung in Deutschland geht seit vielen Jahren zurück. Bekamen 1996 in Westdeutschland noch 70 Prozent aller Beschäftigten Tariflöhne, waren es 2019 nur noch 46 Prozent. In Ostdeutschland sank die Zahl im gleichen Zeitraum von 56 auf 34 Prozent. In Betrieben ohne Tarifbindung sind die Beschäftigten oft schlechtergestellt und im Schnitt unzufriedener.
Gewerkschaften fordern daher seit Langem, die Politik müsse verhindern, dass Firmen aus Tarifverträgen aussteigen. Dagegen könnte ein Tariftreuegesetz helfen, wie es zahlreiche Bundesländer bereits beschlossen haben - nicht aber der Bund. Öffentliche Aufträge - nach Schätzungen haben sie in Deutschland ein Gesamtvolumen von etwa 500 Milliarden Euro - dürften dann nur noch an Firmen vergeben werden, die nach Tarif zahlen. Bundesarbeitsminister Heil hatte 2019 mitgeteilt, die Einführung eines Tariftreuegesetzes zu prüfen. Seitdem aber hat sich wenig bewegt. Dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch kommt, gilt als unwahrscheinlich.
Ebenso wie die Gewerkschaften pochen Grüne und Linke auf ein Tariftreuegesetz im Bund. Außerdem wollen die Linken die Hürden für eine Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen weiter senken. Das geht aus einem Antrag der Fraktion hervor, der der SZ ebenfalls vorliegt. Die Fraktion will ihn an diesem Abend im Bundestag einbringen. Demnach soll künftig eine Tarifpartei allein die Allgemeinverbindlicherklärung bei der Bundes- oder einer Landesregierung beantragen können. Gewerkschaften wären dafür dann nicht mehr auf die Zustimmung der Arbeitgeber angewiesen.
Außerdem fordern die Linken, das "öffentliche Interesse", das für eine Allgemeinverbindlicherklärung vorliegen muss, neu zu definieren. Es soll etwa dann vorliegen, wenn eine solche Erklärung für "angemessene Bezahlung" sorgt. Das wäre konkreter als die bisherige Formulierung, nach der ein Tarifvertrag etwa bei einer "wirtschaftlichen Fehlentwicklung" für allgemeinverbindlich erklärt werden kann.
Neben der Hilfe durch die Politik gäbe es einen anderen Weg, wie Gewerkschaften wieder dafür sorgen könnten, dass mehr Firmen nach Tarif bezahlen: Sie müssten dies durch Streiks erkämpfen. Das allerdings scheitert daran, dass die Arbeitnehmer in vielen Branchen nicht gut genug organisiert sind.