Das Treffen zwischen Barack Obama und Wladimir Putin dauerte deutlich länger als geplant. Manche Beobachter hofften, dass der US-Präsident und sein russischer Kollege am Montag in der südchinesischen Stadt Hangzhou deshalb in die Verlängerung gingen, weil sie die letzten Unstimmigkeiten für eine umfassende und seit langer Zeit erwartete Übereinkunft zum syrischen Bürgerkrieg ausräumten. Doch als die beiden Präsidenten nach über 90 Minuten Gespräch auseinandergingen, war klar: Auf dem G-20-Gipfel wird kein Abkommen mehr verkündet.
Am Wochenende schien ein Deal schon in greifbarer Nähe zu sein, erste Entwürfe waren durchgesickert: Demnach hätten die USA künftig ihre Angriffe auf den sogenannten Islamischen Staat und andere islamistische Milizen mit Russland koordiniert, Moskau hätte seinem Schützling Assad gleichzeitig den Einsatz seiner Luftwaffe gegen die Zivilbevölkerung untersagt und dafür gesorgt, dass eingekesselte Rebellengebiete wieder mit Hilfslieferungen versorgt werden können.
Am Ende sollen "technische Fragen" die Übereinkunft verhindert haben. Putin sieht aber die Möglichkeit einer baldigen Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen mit den USA. Es habe beim Treffen mit Obama "trotz allem" "eine gewisse Annäherung der Positionen" gegeben "und eine Verständigung darüber, was wir unternehmen könnten, um die Lage in Syrien zu deeskalieren". Mit welchen Punkten sich die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow bei ihren nächsten Treffen beschäftigen müssen, streuten westliche Diplomaten: Die Großmächte konnten sich im Wesentlichen nicht einigen, wer neben dem IS und einem lokalen Al-Qaida-Nachfolger zu den zu bekämpfenden Dschihadisten zählen soll. Die USA unterstützten bisher gemäßigt islamistische Milizen, Russland sieht wie sein Verbündeter Baschar al-Assad in aller Opposition Terroristen.
Zum zweiten Mal innerhalb eines Monats in Aleppo eingekesselt
Den Versuch, zwischen Washington und Moskau wieder mehr Vertrauen aufzubauen, dürften vor allem auch die Nachrichten aus dem nordsyrischen Aleppo empfindlich gestört haben: Mit Hilfe russischer Spezialkräfte eroberte die Armee des syrischen Machthabers Assad in der Nacht zum Montag den einzigen Korridor zurück, der bisher die von den Rebellen gehaltenen Stadtviertel im Osten Aleppos mit den anderen Gebieten der Opposition verbunden hatte - Ostaleppo und die mindestens 250 000 Zivilsten, die noch dort ausharren, sind nunmehr zum zweiten Mal innerhalb eines Monats eingekesselt.
"Dass Russland in der diesmaligen Belagerung eine Schlüsselrolle einzunehmen scheint, ist sehr vielsagend", meint Charles Lister, Syrien-Experte beim US-Think-Tank Middle East Institute. Als Assad den Belagerungsring das erste Mal Anfang August mit Hilfe iranischer Milizen schloss, soll Moskau nach Listers Informationen noch schwer verärgert gewesen sein, weil das die Verhandlungen mit den USA gefährdet habe.
Zum schnellen Erfolg der Kräfte Assads in Aleppo dürfte indirekt die türkische Militäroperation "Schutzschild Euphrat" beigetragen haben. Teile der Freien Syrischen Armee, die nun mit mehreren Tausend Männern und Unterstützung Ankaras in Nordsyrien im Einsatz ist, dürften den Rebellen in Aleppo zur Verteidigung fehlen.
Der türkische Premierminister Binali Yıldırım konnte den großen Erfolg vermelden, gemeinsam mit den syrischen Kämpfern den IS im Grenzgebiet komplett zurückgedrängt zu haben. "Von Asas bis Dscharablus sind 91 Kilometer unserer Grenze komplett gesichert", sagte Yıldırım. "All die terroristischen Organisationen sind zurückgedrängt, sie sind weg." Neben dem IS betrachtet Ankara die kurdischen Volksverteidigungseinheiten als Terrororganisation, die versuchten, ein zusammenhängendes Gebiet entlang der türkischen Grenze zu erobern.
Terrormiliz IS:IS verliert angeblich letzte Stellungen an türkisch-syrischer Grenze
Laut der türkischen Regierung und syrischen Aktivisten ist der IS von türkischen Einheiten und syrischen Rebellen aus der Grenzregion im Norden Syriens vertrieben worden. Damit sind wichtige Versorgungsrouten der Terrormiliz gekappt.
IS-Kämpfer mit Gedanken an Flucht können nun schwerer desertieren
Für die Dschihadisten des IS ist der Verlust der letzten Grenzorte ein herber Schlag. Über sie schleuste er Munition, Waffen, Versorgungsgüter und ausländische Freiwillige auf sein Territorium, jetzt ist er von der Außenwelt abgeschnitten. Somit ist auch der Weg in die Gegenrichtung versperrt, IS-Kämpfer, die mit Fluchtgedanken spielten, können nun noch schwerer desertieren. Beobachtern zufolge war die Verunsicherung unter den ausländischen Rekruten zuletzt groß, der nun erreichte Einschluss auf einem immer weiter schrumpfenden Territorium könnte dazu führen, dass die zuletzt eher schwache Gegenwehr des IS wieder verbitterter wird.
Wie als Reaktion auf die militärischen Niederlagen des IS kam es am Montag zu einer Anschlagsserie in Syrien. Die vier Bomben, die mehr als 50 Menschen in den Tod rissen, explodierten in von der Regierung oder den Kurden gehaltenen Gebieten. In der Assad-Hochburg Tartus, wo Russland einen großen Marine-Stützpunkt betreibt, detonierte ein mit Sprengstoff präpariertes Fahrzeug auf einer Autobahnbrücke. Unter die Menschen, die sich dort versammelten, um den Verletzten zu helfen, mischte sich ein weiterer Attentäter und zündete seine Sprengstoffweste.
Im zentralsyrischen Homs explodierte eine Bombe in einem Viertel, das mehrheitlich Alewiten bewohnen, jene Minderheit, der Machthaber Assad und große Teile der Armeeführung angehören. Zudem gab es Explosionen im kurdisch kontrollierten Hassaka und an einem Armee-Checkpoint bei Damaskus. Der IS bekannte sich über sein Sprachrohr Amak zu den Taten.