Schulpolitik:Wie viel ist eine Bildungsmilliarde?

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Verwirrung statt Befreiungsschlag: Bettina Stark-Watzinger beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart. (Foto: Jean-Marc Wiesner/imago)

Als Ministerin gibt Bettina Stark-Watzinger bisher ein unglückliches Bild ab. Nun bekommt sie endlich Geld für ihr wichtigstes Projekt. Doch jetzt wird es erst richtig kompliziert.

Von Paul Munzinger

Die FDP hat ein neues Lieblingswort. Es heißt Bildungsmilliarde. Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner präsentierte es auf dem Dreikönigstreffen wie der Apple-Chef ein neues iPhone. Seitdem trägt Bettina Stark-Watzinger, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die Bildungsmilliarde in Interviews, auf Twitter und im Parlament vor sich her. "Eine Bildungsmilliarde zusätzlich im Jahr", sagte sie am Mittwoch im Bundestag, "das ist eine Größenordnung, und sie macht einen Unterschied."

Die Ministerin macht in ihrem Amt bisher keine glückliche Figur. Der Krieg in der Ukraine hat die großen Bildungspläne der Ampelkoalition an den Rand gedrängt. Dieses Schicksal teilt Stark-Watzinger mit einigen Kabinettskolleginnen und -kollegen, für die in der Zeitenwende ebenfalls nur Nebenrollen bleiben. Doch Stark-Watzinger hat ihre knappe Zeit im Rampenlicht besonders schlecht genutzt. Aus ihrem ersten Jahr im Amt bleiben vor allem undurchsichtige Kürzungspläne in Erinnerung, mit denen sie große Teile der akademischen Community gegen sich aufbrachte.

Im Koalitionsvertrag finden sich viele unerfüllte Bildungsversprechen

Die Bildungsmilliarde soll für die Ministerin ein Befreiungsschlag werden. Der Beweis, dass sie endlich "in die Pötte kommt", wie es längst nicht mehr nur die Opposition von ihr fordert. Doch zunächst stiftete der mehr auf Wirkung als auf Klarheit getrimmte Begriff vor allem Verwirrung. Im Koalitionsvertrag der Ampel finden sich so viele unerfüllte Bildungsversprechen, dass die Milliarde, mit der die FDP klotzen wollte, eher nach kleckern klang. Einige verlangten umgehend ihr Stück vom Kuchen, bevor es zu spät ist. Das Deutsche Studierendenwerk etwa forderte eine Bafög-Erhöhung.

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Die wird es nicht geben, zumindest nicht mit der Bildungsmilliarde. Die ist nämlich, wie Stark-Watzinger inzwischen präzisiert, eine "Startchancenmilliarde". Das klingt nicht mehr so schnittig, weckt aber immerhin keine falschen Erwartungen. Die Bildungsmilliarde soll also in das Startchancenprogramm fließen, mit dem die Bundesregierung 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler fördern will. Und zwar Jahr für Jahr, auf zehn Jahre.

Das Startchancenprogramm ist das zentrale Bildungsprojekt der Ampel. Es wird sehnsüchtig erwartet, seit der Bund die sogenannten Sprachkitas beendete, seit das Corona-Aufholprogramm auslief und der IQB-Bildungstrend enthüllte, wie schlecht es um die Leistungen von Viertklässlern in Deutsch und Mathematik steht. Doch bislang erweist es sich als zäh - so zäh, dass selbst die SPD die Geduld verloren hat. Seit Monaten macht Parteichefin Saskia Esken der Ministerin öffentlich Druck, nun hat die SPD-Fraktion nachgelegt: Sie fordert, das Programm schon im Schuljahr 2023/24 zu starten. Und nicht erst, wie von Stark-Watzinger geplant, im Jahr darauf.

Die Verhandlungen mit den Ländern werden schwierig

Doch daraus wird wohl nichts. Als Bremsklotz erweisen sich einmal mehr die Verhandlungen mit den Ländern. Es geht ums Geld, in doppelter Hinsicht. Die Mittel sollen nicht mehr per Gießkanne verteilt werden, sondern genau an jenen Schulen ankommen, die sie am meisten brauchen. Stark-Watzinger spricht von einem Paradigmenwechsel. Heißt konkret: Der Königsteiner Schlüssel, nach dem sonst Gelder auf die Länder verteilt werden, soll teilweise ausgehebelt und durch einen Mechanismus ersetzt werden, der sich an Bedürftigkeit orientiert. Das reiche Bayern hätte anteilig weniger, das arme Bremen mehr. Dass das kein Selbstläufer wird, kann man sich leicht ausmalen.

Zweitens geht es um die Frage, wer wie viel zahlt. Stark-Watzinger hat da eine klare Vorstellung: fifty-fifty. Die Bildungsmilliarde aus Berlin und noch mal eine Milliarde von den Ländern, insgesamt also zwei. Pro Schule wäre das eine halbe Million Euro im Jahr.

Doch auch die Länder haben eine klare Vorstellung: fifty-fifty? Auf keinen Fall. Aus den Ländern ist der Vorwurf zu hören, der Bund habe den Mund zu voll genommen - und versuche nun, die Länder zur Kasse zu bitten. In den Koalitionsverhandlungen sei das Startchancenprogramm auf zwei Milliarden Euro jährlich taxiert worden - zu zahlen vom Bund. Die Bildungsmilliarde ist in dieser Deutung keine kräftige Investition, sondern eine kräftige Kürzung um 50 Prozent.

Als wäre das alles nicht kompliziert genug, schwebt über den Verhandlungen eine neue Föderalismusdebatte. "Noch sind die Länder allein für die Bildung zuständig", sagte Stark-Watzinger kürzlich in einem Interview, "aber es ist völlig richtig, dass sich der Bund an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe stärker beteiligt." Als Beispiele nannte sie die Digitalisierung, das Sammeln von Daten oder das "Setzen von einheitlichen Standards", um etwa Umzüge von einem Bundesland ins andere zu erleichtern. Vor allem Letzteres zielt auf den Kernbereich der Länderhoheit in der Bildung.

Will die FDP weniger zahlen, aber mehr mitreden in den Ländern?

Allerdings sendet die FDP gerade gemischte Signale, wie sie die Zukunft des Föderalismus sieht. Während Stark-Watzinger sich Bildung als "Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern" vorstellen kann, forderte Finanzminister Lindner im Herbst eine Debatte darüber, "wie die Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden entflochten werden können". Besonders die "Sitte, die verfassungsrechtlich gut begründete Aufgabenteilung durch 'Pakte' auszuhöhlen", müsse "eingedämmt" werden. Steht die Bildungsmilliarde für den Ansatz von Stark-Watzinger oder den von Lindner? Oder für beide? Für die Länder jedenfalls klingt es, also wolle die FDP weniger zahlen, aber mehr mitreden.

Die Wolke, die sich da auftürmt über dem Startchancenprogramm, erinnert an die Verhandlungen über ein anderes Milliardenprogramm des Bundes: den Digitalpakt. Der wurde unter Stark-Watzingers Vorgängerin im Strudel einer ähnlichen Föderalismusdebatte fast mitgerissen - am Ende musste ein Vermittlungsausschuss ihn retten. Sollte es dieses Mal ähnlich langwierig und konfrontativ verlaufen, wäre das eine schlechte Nachricht für Hunderttausende Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Und für Bettina Stark-Watzinger.

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