Streit um SPD-Ukraine-Kurs:Historiker gegen "Parteibeton"

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Das Logo der SPD leuchtet beim Bundesparteitag imDezember 2023. (Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Die SPD hat einen eigenen Historikerstreit über den Umgang mit Russland und den Umfang der Ukraine-Unterstützung. Einer der Kritiker legt nun nach und fordert eine unbequeme Debatte ein.

Von Georg Ismar, Berlin

Jan C. Behrends ist selbst überrascht, was für ein Echo sie da ausgelöst haben. Der Historiker war gerade auf dem Weg in den Osterurlaub, als der von ihm und vier weiteren SPD-nahen Historikern an den Parteivorstand verfasste Brandbrief durchsickerte, in dem sie der SPD-Führung eine "gefährliche Realitätsverweigerung" im Umgang mit Russland und Wladimir Putin vorwerfen - und eine stärkere Unterstützung der Ukraine einfordern.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat die Historiker daraufhin zu einem Gespräch am 30. April eingeladen - deshalb setzt Behrends darauf, dass etwas aus der Briefaktion folgt. "Den internen Brief an den Parteivorstand haben Martina Winkler und Heinrich August Winkler initiiert. Persönlich dachte ich, die Zeit der Briefe sei vorbei", sagt der Professor für "Diktatur und Demokratie - Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart" an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Der Historiker Jan Claas Behrends, Professor an der Europa-Universität Viadrina, mahnt: "Wir haben es in der Hand, wie dieser Krieg ausgeht." (Foto: Andy Küchenmeister/ Europa-Universität Viadrina)

Unerwartete Dynamik

Doch dann sei eine unerwartete Dynamik eingetreten - durch die Rückzugsankündigung von Michael Roth, dem Vorsitzendem des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der sich als erklärter Ukraine-Unterstützer zunehmend isolierte fühlte, und durch einen Brief zahlreicher Nobelpreisträger, die ebenfalls mehr Hilfe für die Ukraine forderten. Von dieser Dynamik "haben wir dann profitiert", sagt Behrends.

Hinzu komme eine große Verärgerung im Wissenschaftsmilieu, "vor allem über die Auftritte von Ralf Stegner oder Rolf Mützenich, die unsere Expertise in ihrer Polemik stark abwerten". Beide Politiker betonen, man müsse wieder mehr über diplomatische Lösungen nachdenken. Viele Bürger, das zeigen Umfragen und auch Zuschriften an die SZ, sehen das ähnlich und befürchten, immer mehr Waffen könnten als Brandbeschleuniger des Krieges wirken. Verwiesen wird auch auf diplomatische Vermittlungserfolge wie das mithilfe der Türkei erzielte Getreideabkommen. Mehrere SPD-Politiker betonen zudem intern, dass eine Rückeroberung der Krim unrealistisch sei - auch das gehöre zur Realität. Der wegen seiner Russland-Kontakte umstrittene Altkanzler Gerhard Schröder fordert eine deutsch-französische Vermittlungsoffensive.

Laut einer Forsa-Umfrage besorgt der Krieg in der Ukraine mehr Bürger (62 Prozent) als jedes andere Thema; die Zustimmungswerte für Kanzler Olaf Scholz und die SPD haben sich leicht verbessert (16 Prozent). Behrends, der auch Mitglied im SPD-Geschichtsforum ist, hält dagegen, man müsse sich doch fragen, wer der beliebteste Politiker sei: "Boris Pistorius und nicht Rolf Mützenich." Selbst Pistorius' Plädoyer für eine "kriegstüchtige" Bundeswehr habe ihm nicht geschadet, er spreche halt offen die Realitäten an. "Die alte Welt kommt nicht zurück. Als Historiker kann ich nur sagen: Kriege lösen immer politische Dynamiken aus. Nach dem Krieg ist nie wie vor dem Krieg. Aber wir haben es in der Hand, wie dieser Krieg ausgeht."

Wer prorussisch denke, wähle ohnehin AfD oder BSW, sagt Behrends

Dazu müsse die SPD aber unbequeme Debatten führen, auch Scholz. "Die Gesamtunterstützung für die Ukraine, was wir leisten könnten, ist viel zu wenig. Es fällt uns jetzt genau auf die Füße, was Experten schon vor eineinhalb Jahren gesagt haben: Wir müssen jetzt mehr Munition und Waffen herstellen, die Produktion in Europa deutlich ausweiten", so Behrends. "Wir müssen uns dafür auch entscheiden, was wir uns an Sozialausgaben noch leisten können, denn die Verteidigungsfähigkeit wird noch sehr viel mehr kosten, als viele heute denken."

Es sei aber schwer, "gegen diesen Parteibeton anzukommen", sagt Behrends und erinnert daran, dass schon andere Sozialdemokraten wie Fritz Felgentreu oder der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels frustriert den Bundestag verlassen hätten. Besagter Brief der Historiker Jan C. Behrends, Martina Winkler, Heinrich August Winkler, Gabriele Lingelbach und Dirk Schumann an den Parteivorstand wird bereits vor der für Ende April angesetzten Aussprache mit Klingbeil am 12. April Thema der nächsten Sitzung des Geschichtsforums sein. Unter Tagesordnungspunkt neun heißt es: "Brief von Jan C. Behrends, Martina Winkler u. a. an den PV."

Behrends sagt, ihn wundere besonders eins: "Es gibt sehr viele neue, junge Abgeordnete, von denen es hieß, die seien mehrheitlich auf einer klar prowestlichen Ukraine-Unterstützungslinie und könnten mit der Mythologisierung der Politik von Egon Bahr und Willy Brandt nicht viel anfangen. Aber da meldet sich kaum jemand zu Wort." Doch es sei ein Irrglaube, dass der Kurs der SPD viel bringen könne. "Jene, die prorussisch und gegen die Nato eingestellt sind, die wählen doch ohnehin die Wagenknecht-Partei oder die AfD."

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