Wahlkampf:Wie Spaniens Medien die Gesellschaft polarisieren

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Ein Zeitungskiosk in Barcelona. In Spanien vermitteln Zeitungen zunehmend deutlicher linke oder rechte Anschauungen. (Foto: Pond5/Imago)

"Kommunismus oder Freiheit", "Demokratie oder Faschismus" - immer geht es gleich um alles: In Spanien tragen viele Medien vor der Neuwahl zur Spaltung bei. Beobachter warnen vor einer "Erosion der Demokratie".

Von Karin Janker, Madrid

Es gibt ein Spanien, in dem sitzt ein "Diktator" namens Pedro Sánchez im Regierungspalast Moncloa und denkt sich Gesetze aus, mit denen er illegalen Hausbesetzern das Leben erleichtern kann. Dieses Land erlebt gerade seine schlimmsten Momente seit der Diktatur, Sánchez ist demnach dabei, den Rechtsstaat abzutragen und Spanien wahlweise dem Kommunismus oder der ETA auszuliefern.

Und es gibt ein anderes Spanien, da schmieden die Konservativen in diesen Tagen Bündnisse mit dem Teufel persönlich, um Frauen künftig die Abtreibung zu verbieten, Transmenschen in Umerziehungskuren zu stecken und den Klimawandel sowie die Verwüstung des Landes mithilfe intensiver Landwirtschaft voranzutreiben.

Keine dieser beiden Versionen stimmt mit der spanischen Wirklichkeit überein. Natürlich nicht. Und doch kursieren sie in spanischen Medien - je nachdem, ob diese sich an ein linkes oder ein rechtes Zielpublikum wenden. Die spanische Gesellschaft ist stark polarisiert, das Ergebnis der Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai hat dies deutlich gezeigt. Und Spaniens Medien sind mehr als ein Abbild dieser Spaltung - sie treiben sie aktiv voran. Das konstatiert der Politikwissenschaftler Fernando Vallespín. Im bereits anlaufenden Wahlkampf für die vorgezogene Neuwahl im Juli erwartet er ähnlich schmutzige Kampagnen wie im zurückliegenden.

Leser rechter Zeitungen leben gefühlt in einem anderen Land als Leser linker Zeitungen

"Die Medienlandschaft in Spanien ähnelt bereits stärker der in den USA als etwa der in Deutschland", sagt Vallespín, der als Professor an der Universidad Autónoma in Madrid lehrt. Ihn treibt die Sorge um, dass die Spaltung der spanischen Gesellschaft in diesen Monaten unaufhaltsam voranschreitet.

Die Idee der "zwei Spanien" ist alt, sie geht auf ein Gedicht des republikanischen Lyrikers Antonio Machado aus dem Jahr 1912 zurück. Gerade in Wahlkampfzeiten wirkt sie brandaktuell. Das politische Blockdenken in links und rechts reicht tief in die Medienlandschaft hinein. So lebt ein regelmäßiger Leser der konservativen Zeitung La Razón, zumindest was die politische Berichterstattung angeht, gefühlt in einem anderen Land als etwa ein Leser der Zeitung Público. Diese beiden Medien stehen beispielhaft nicht nur weltanschaulich an gegensätzlichen Polen, sie sind laut einer Auswertung des Thinktanks Political Watch auch beide eher unzuverlässig, was die Faktentreue ihrer Berichterstattung angeht. Und damit ideale Instrumente für den Wahlkampf, den die linken wie rechten Parteien in diesen Wochen betreiben.

Die Medien sind nicht mehr nur Schlachtfeld, sondern gehen auch gegeneinander vor

Politologe Vallespín, der selbst regelmäßiger Gastautor für die links-liberale Zeitung El País ist, sieht große Defizite in der spanischen Medienlandschaft und ihrer Funktion für die demokratische Meinungsbildung. Nur 33 Prozent der Menschen in Spanien haben Vertrauen in Nachrichten, zeigt der aktuelle Digital News Report des Reuters Institute in Oxford. Das sind zehn Prozentpunkte weniger als in Deutschland. Und anders als dort, wo das Vertrauen in die Medien erst in den vergangenen Jahren massiv gesunken ist, liegt es in Spanien schon deutlich länger stabil auf niedrigem Niveau.

"Es begann alles mit der Hetzjagd, die die rechten Medien seinerzeit auf Felipe González veranstaltet haben", erläutert Fernando Vallespín. González war bis 1996 Spaniens Ministerpräsident. "Damals entstanden einige neue Medien, besser gesagt: mediale Hooligans der politischen Rechten, die das erklärte Ziel hatten, den Sozialisten die Macht zu entreißen." Teile dieser Strukturen gebe es bis heute. Hinzugekommen sind linke Medien, die ihre Aufgabe darin sehen, ein Gegengewicht zu den rechten zu bilden. Entstanden ist ein Medienkrieg, in dem die Medien nicht nur Schlachtfeld sind, sondern auch selbst gegeneinander vorgehen.

So erklärt sich etwa die Eigenanzeige, mit der eldiario.es, eine von Spaniens größten Onlinezeitungen, in diesen Tagen um Abonnenten wirbt: "Es kommt eine reaktionäre Welle und die Mehrheit der Medien bewegt sich in dieselbe Richtung." Weiter heißt es in der Anzeige: Anders als andere Medien sei eldario.es nicht von rechten Politikern in Beschlag genommen. Es ist eine Eigenwerbung, die mit den Ansprüchen an eine unabhängige, objektive Berichterstattung schwer zu vereinbaren ist. Für Spanien indes nichts Ungewöhnliches.

"Es geht darum, den politischen Gegner moralisch herabzuwürdigen."

Bereits zum zweiten Mal in Folge wurde Spanien im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen wegen der zunehmenden medialen Polarisierung abgewertet. Diese trage der Organisation zufolge zur "Erosion der Demokratie" bei. Für Vallespín ist es nicht mehr weit bis zur Situation in den USA. Dort fiel in dieser Woche einmal mehr der Fernsehsender Fox News auf, indem er den amtierenden US-Präsidenten Joe Biden in einem Untertitel als "wannabe dictator", als Möchtegern-Diktator, bezeichnete. "Es geht darum, den politischen Gegner moralisch herabzuwürdigen", sagt der Politikwissenschaftler. Angewendet werde diese Strategie in Spanien von linker wie von rechter Seite.

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Die Folge seien Wahlkampfslogans wie jene in der Hauptstadtregion, wo vor zwei Jahren die konservative Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso das Motto "Kommunismus oder Freiheit" ausgab. Die Linke reagierte mit "Demokratie oder Faschismus". Man packt die größtmöglichen rhetorischen Waffen aus, immer geht es gleich um alles.

Verglichen damit steht der heutige PP-Chef Alberto Núñez Feijóo eher für einen gemäßigten Diskurs. Doch die Radikalisierung der Gesellschaft hat bereits Früchte getragen, die nun auch Feijóo ernten muss. Das Ergebnis der Kommunal- und Regionalwahlen fiel für die Konservativen zwar erfreulich aus. Doch allein regieren können sie fast nirgends. Sie sind auf Unterstützung durch die rechtsextreme Vox angewiesen - und damit auf die derzeitigen Gewinner des medialen und politischen Radikalisierungskurses.

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