Spanien:Sánchez braucht Marokko - und macht dafür viele Kompromisse

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Hatten in den vergangenen Jahren ein schwieriges Verhältnis: Der Spanier Sánchez begrüßt 2018 König Mohammed VI. in dessen Palast. (Foto: Moroccan Royal Palace/AP)

Der spanische Premier reist für ein Abendessen mit dem marokkanischen König nach Rabat. Zuvor hatte er seinem Gastgeber Zugeständnisse gemacht, die ihm zu Hause schaden könnten.

Von Karin Janker, Madrid

Wie ein Schulbub saß Pedro Sánchez vor gut drei Jahren auf seinem niedrigen Polstersessel vor dem marokkanischen König Mohammed VI., die langen Beine steil angewinkelt, die Hände gefaltet zwischen den Knien. Bequem kann das nicht gewesen sein. Aber notwendig. Denn Marokko ist nicht nur für Spanien, sondern auch für die EU ein wichtiger Partner, gerade im Handel und bei der Migration. Erstaunlich also, dass der Besuch des spanischen Regierungschefs im November 2018, bei dem der 1,90-Meter-Mann neben dem marokkanischen König fast einen Kopf kleiner aussah, bisher sein einziger offizieller Besuch im Nachbarland war.

Spanien und Marokko trennen an der Straße von Gibraltar nur 15 Kilometer, die spanischen Städte Ceuta und Melilla liegen als Exklaven sogar auf dem afrikanischen Kontinent. Doch trotz dieser Nähe und gegenseitiger Abhängigkeit verbindet Spanien und Marokko keine Freundschaft. Die Beziehungen sind traditionell schwierig, in den vergangenen zehn Monaten wuchsen sich die Spannungen zu einer nicht nur diplomatischen Krise aus.

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Umso bedeutungsvoller sind die neuen Bilder, die am Donnerstagabend aus Rabat erwartet wurden. Sánchez war am Nachmittag zu seinem zweiten Staatsbesuch aufgebrochen. Marokkos König Mohammed VI. hat den Sozialisten, der seit bald vier Jahren in Madrid regiert, zum "Iftar", dem feierlichen Fastenbrechen, eingeladen. Es ist Ramadan, und Sánchez sollte nach einer Pressekonferenz um 21 Uhr, also zu typisch spanischer Essenszeit, mit dem König im Palast dinieren. Sogar eine Übernachtung in Marokko sei geplant, heißt es aus dem spanischen Regierungspalast. Ob für diesen Freitag noch Programm ansteht, ließ man lieber offen. Ganz sicher war man sich offenbar nicht, wie erfolgreich das Treffen wird.

Dabei geht es ohnehin weniger um den praktischen als den symbolischen Gehalt der Reise. Zwar begleitet Spaniens Außenminister José Manuel Albares den Regierungschef und wird sich mit seinem marokkanischen Kollegen treffen. Doch konkrete Abkommen erwartet niemand von dem neuen Annäherungsversuch. Stattdessen wollen beide Seiten guten Willen zeigen. Spanien geht dabei vergleichsweise weit: Vor drei Wochen war plötzlich ein Schreiben von Sánchez ans marokkanische Königshaus publik geworden, in dem er erstmals die marokkanische Forderung nach einem Autonomiestatut für das Gebiet der Westsahara als "ernsthaftesten, realistischsten und glaubwürdigsten" Vorschlag zur Lösung des Konflikts bezeichnete. Bisher hatte Spanien sich zur Westsahara, die einst spanische Kolonie war und seit 47 Jahren von Marokko besetzt ist, stets neutral verhalten.

"Diese neuen Beziehungen basieren auf Erpressung"

Die Einladung zum Abendessen ist daher auch ein großes Dankeschön an Sánchez. Rabat fühlt sich durch die spanische Kehrtwende in seinen eigenen Bestrebungen gestärkt, die rohstoffreiche Westsahara zum eigenen Territorium zu zählen. Sánchez muss sich nun zu Hause in Spanien Erpressbarkeit und Rückgratlosigkeit vorwerfen lassen. Unterstützung für seinen Positionswechsel in der Westsahara-Frage bekommt er lediglich von seiner eigenen Partei, den Sozialisten. Alle anderen, auch sein linkspopulistischer Koalitionspartner Unidas Podemos, greifen den Regierungschef hart an.

"Warum verteidigt die Regierung das Existenzrecht des ukrainischen Volkes, aber nicht das des saharauitischen?", fragte der Fraktionschef der katalanischen Linksrepublikaner Gabriel Rufián während der Parlamentsdebatte und gab gleich die Antwort: Mohammed VI. besitze den Schlüssel, um den Hunger und die Verzweiflung Afrikas von Europa wegzusperren. Tatsächlich ist die Eindämmung der Migration in Richtung Spanien wohl einer der dringlichsten Gründe dafür, dass Sánchez nun diesen großen Schritt auf Marokko zugemacht hat. Rabat hatte nicht nur im vergangenen Mai rund 10 000 Menschen binnen weniger Stunden die Grenze in die spanische Exklave Ceuta passieren lassen. Anfang März versuchten 2500 Menschen von Marokko aus den zwölf Meter hohen Grenzzaun bei Melilla zu überwinden. Und die Zahl der Bootsflüchtlinge, die auf den Kanarischen Inseln ankamen, nahm seit Jahresbeginn ebenfalls erneut zu.

Als einen Erfolg kann Sánchez daher verbuchen, dass seit seinem Brief an Mohammed VI. die seit Monaten ausgesetzten Rückführungsflüge nach Marokko wieder stattfinden. Für die spanische Menschenrechtsaktivistin Helena Maleno von der Organisation Caminando Fronteras ist die neuerliche Annäherung Spaniens an die marokkanische Führung kein positives Signal: "Diese neuen Beziehungen basieren auf Erpressung und nicht auf gemeinsamem Respekt für die Menschenrechte."

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