Sondierungsgespräche:Grüne und FDP betonen gemeinsame Verantwortung

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Ob sie wussten, was auf sie zukommen würde? Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck mit FDP-Chef Christian Lindner im Oktober in Berlin. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Schon die vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre sei ein "Erneuerungsversprechen für dieses Land", sagt FDP-Chef Lindner über die erste größere Sondierungsrunde mit den Grünen.

Von Daniel Brössler und Constanze von Bullion, Berlin

Es wirkt fast wie eine einstudierte Choreografie, was die drei da aufführen. Mal tritt die Dame vor, mal einer der beiden Herren. Zwischendurch wird ein bisschen getuschelt, genickt. Am Ende werden die Grünen und der Liberale fast auf die Minute gleich lang geredet haben: von "Hoffnung", "Erneuerungsversprechen", von einem "historischen Moment". Wenn da nur nicht die Sache mit der Schraube wäre.

Freitagmittag vor einem verglasten Bürogebäude im Westen Berlins. Eben ist ein Dreigespann aus FDP-Chef Christian Lindner und den Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck aus der Tür getreten, vor die wartenden Presseleute. Die Grünen und die FDP haben sich an diesem Freitag zum ersten Mal in größerer Runde getroffen, um Möglichkeiten einer gemeinsamen Bundesregierung auszuloten.

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Die Zusammenkunft fand in einem dieser hippen Designhäuser statt, gleich gegenüber vom Zoologischen Garten, wo die Saurier vergangener Zeitalter von der Fassade grüßen. Drinnen haben je zehn Abgesandte von Liberalen und Grünen gut zwei Stunden lang versucht, einander näherzukommen. Allem Anschein nach hat das sogar funktioniert, wenigstens ein bisschen. Denn künftig soll zusammen regiert werden, ob mit der SPD in einer Ampel-Koalition oder mit der Union in einem Jamaika-Bündnis.

Als Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck nach dem Treffen vor der Presse stehen, wirken sie angespannt, der Grundton aber ist zuversichtlich. Hier läuft, das jedenfalls wird vermittelt, ein Experiment. Baerbock spricht von einem "historischen Moment in dieser Gesellschaft, in diesem Land". Grüne und Liberale wollen gemeinsam loslaufen in eine neue Regierung. Sie begreifen sich, das soll hier die Botschaft sein, als Motor der Modernisierung. Und sie behandeln die jeweils andere Seite mit ausgesuchter Vorsicht. Baerbock und Habeck treten zwar zu zweit auf, sind aber so rücksichtsvoll, bei ihren Statements zusammen kaum länger zu sprechen als Lindner alleine.

"Anlass zur Hoffnung und Motivation"

Nebensächlichkeiten sind das nicht. Denn hier werden auch neue Umgangsformen geübt von zwei Parteien, die bisher vor allem Gegnerschaft verband. "Wir spüren, dass alleine die Art und Weise, wie wir miteinander sprechen und wir uns um Lösungen in einer sehr vertrauensvollen Atmosphäre bemühen, vielen Menschen Anlass zur Hoffnung und Motivation ist", sagt Lindner. Die Art und Weise, wie gesprochen werde, könne auch "schon eine Botschaft, ein Erneuerungsversprechen für dieses Land sein", so formuliert er es. Man fühle sich da "in einer großen gemeinsamen Verantwortung".

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Während Lindner das sagt, beobachtet Robert Habeck ihn aus der zweiten Reihe bewegungslos und mit scharfem Blick, fast wie ein Jäger, der aus seinem Hochsitz das Wild observiert. Genauso aufmerksam hört etwas später aber auch der Jäger Christian Lindner zu, während Annalena Baerbock oder Robert Habeck sprechen. Jedes Wort wird da kontrolliert, zurechtgelegt, mit weicher Tonlage versehen. Jetzt bloß keine falsche Bewegung, keine Ironie und kein spöttischer Zungenschlag.

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Viel gesagt wird allerdings nicht, jedenfalls nichts Substanzielles zum Inhalt des Gesprächs. Es wurde Stillschweigen vereinbart. Es soll sich nicht wiederholen, was 2017 zum Scheitern der Jamaika-Verhandlungen beigetragen hat - ein Klima des Misstrauens aufgrund ständiger Indiskretionen. "Im Bereich des Klimaschutzes, im Bereich der Finanzen gibt es zweifelsohne Unterschiede", lässt Lindner wissen. Auch Baerbock bleibt im Vagen, spricht vom "neuen Aufbruch", wohin auch immer.

Das gilt auch für die entscheidende Frage, wie es nun eigentlich weitergehen soll mit den Verhandlungen. Bis Dienstag werden FDP und Grüne jeweils getrennt mit SPD und Union gesprochen haben. Aber was passiert dann? Entscheiden Grün und Gelb, ob sie fortan gemeinsam mit der SPD die Chance einer Ampel sondieren? Oder wollen sie gleichzeitig auch mit der Union über Jamaika reden? "Nichts zu sagen", flüstert Lindner Baerbock zu. Baerbock sagt: "Wir sind heute schmallippig. Auch dazu können wir heute nichts sagen."

Die Liberalen müssen sich erst umgewöhnen

Lindner bestätigt dann noch, man habe sich auch über die "methodischen Fragen, Fragen des Verfahrens ausgetauscht". Politisch sind diese Fragen brisant, gerade für Lindner. Die Liberalen sind mit der klaren Präferenz für Jamaika in die Verhandlungen gestartet und gewöhnen sich erst langsam an die Möglichkeit einer Ampel-Regierung mit SPD und Grünen.

Die Grünen wiederum halten sich die Jamaika-Option zwar offen, sind aber fast schon festgelegt auf die Ampel. Man werde nun sehen, orakelt Habeck, "welche Dynamik die nächsten Tage, vielleicht Wochen entfalten". Für einen Moment gerät er aber doch noch in die Klemme an diesem Freitag, der Aufbruchstimmung verbreiten soll. Irgendwann nämlich will der Grünen-Chef illustrieren, dass die Gespräche zwischen Grün und Gelb die richtige Richtung nehmen.

"Wenn man die Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade. Diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden", sagt Habeck. Es dauert nicht lang, da will ein Journalist wissen, in welche Mutter die grün-gelbe Schraube denn gedreht werden soll. Soll die SPD die nächste Regierung anführen, heißt das, oder die Union? "Ich habe eher an eine Spax-Schraube gedacht", antwortet Habeck schnell. Eine Schraube für dicke Bretter. "Spax-Schrauben brauchen keine Mutter", sagt er noch. Und jetzt bitte keine weiteren Fragen mehr.

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