Selbstbestimmung:Ein Gesetz, das unbequem für alle ist

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Das Selbstbestimmungsgesetz, das Familienministerin Lisa Paus und Justizminister Marco Buschmann erarbeitet haben, wurde am Mittwoch im Bundestag beraten. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Der Entwurf der Bundesregierung soll es non-binären, trans- und intergeschlechtlichen Menschen erleichtern, ihren behördlichen Geschlechtseintrag zu ändern. Doch manche halten ihn für gefährlich, andere für diskriminierend.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es dauert nicht lange, dann wird es laut. Natürlich wird auch nach Kräften beleidigt in dieser Debatte. Am Ende aber werden es eher die gemäßigten Stimmen sein, die sich Gehör verschaffen.

Mittwochabend im Plenum des Bundestags, zum ersten Mal wird das Selbstbestimmungsgesetz beraten. Es soll die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister erleichtern. Und weil es da um Fragen von Identität und biologischem Geschlecht geht, ist die Aufregung bei einigen groß. Die Union warnt, jetzt sei das Kindeswohl in Gefahr. Und die AfD stellt fest, der Wahnsinn sei im Haus.

Irritierend intime Fragen bei der Begutachtung

Zunächst aber kommt in der Bundestagsdebatte Familienministerin Lisa Paus zu Wort. Die Grünen-Politikerin hat mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ein Gesetz erarbeitet, das es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und non-binären Menschen erleichtern soll, im Personenstandsregister und im Pass den Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Wer sich nicht identifiziert mit dem Geschlecht, das nach der Geburt eingetragen wurde oder mit uneindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, soll per Selbsterklärung beim Standesamt den Geschlechtseintrag ändern können, mit Einschränkungen.

"Für die meisten von uns ist es selbstverständlich, wer wir sind, wie wir leben möchten. Das entscheiden wir selbst", sagt Familienministerin Paus im Bundestag. Transidente Menschen aber hätten über Jahrzehnte kämpfen müssen um dieses Recht, oft erfolglos, auch wegen des Transsexuellengesetzes, das für viele "die reine Demütigung" gewesen sein.

Das Transsexuellengesetz von 1981 band die Änderung des Geschlechtseintrags an unzumutbare Bedingungen wie dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit. Sechsmal befand das Bundesverfassungsgericht es für grundrechtswidrig. Nun wird es abgelöst vom Selbstbestimmungsgesetz, das Betroffenen die Entscheidung über ihre Identität selbst in die Hände legt. Abgeschafft wird damit auch die Pflicht, sich vor der Entscheidung psychiatrischen Begutachtungen zu stellen. Ihre irritierend intimen Fragen stießen bei Betroffenen auf scharfe Kritik.

Im Bundestag stößt das neue Gesetz am Mittwochabend allerdings keineswegs nur auf Zuspruch. In der Union ist die Sorge groß, junge Menschen damit zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu ermutigen. Kinder und Jugendliche seien eine "wahnsinnig vulnerable Gruppe", sagt die Vize-Unionsfraktionsvorsitzende Dorothee Bär (CSU). Sie fühlten sich "oft nicht verstanden" und seien unzufrieden mit sich. "Und in dieser Phase stellen wir Jugendlichen dann die Frage: Fühlst du dich im richtigen Körper?" Überschwängliche Berichte über geschlechtsanpassende Operationen im Netz könnten zur Nachahmung ermuntern.

Negative Beeinflussung während der Pubertät?

Mit operativen Geschlechtsanpassungen allerdings hat die Novelle ausdrücklich nichts zu tun, sie ebnet auch rechtlich nicht den Weg dorthin. Der Entwurf sieht vor, dass bei Minderjährigen unter 14 Jahren nur die Sorgeberechtigten eine Änderung des Geschlechtseintrags beantragen können. Wer älter als 14 Jahre ist, kann das selbst tun, wenn die Eltern zustimmen. Gibt es Konflikte und ist das Kindeswohl in Gefahr, entscheidet ein Gericht. Letzteres sieht die Union kritisch: Die Meinung der Eltern könne in einer wichtigen Frage übergangen werden. Sie fordert eine Beratungspflicht vor der Änderung des Geschlechtseintrags, auch für Erwachsene.

Für ihre Rede bekommt Bär Ärger mit dem FDP-Politiker Jürgen Lenders. "Frau Bär, das ist einfach falsch, was Sie melden", sagt er. Das geplante Gesetz ändere nichts an medizinischen Fakten, es ändere nur, "ob Sie zukünftig als Frau oder Mann Post vom Amt bekommen." Bei trans - und intergeschlechtlichen Menschen sei "die Selbstmordrate unverhältnismäßig hoch". Oft stehe eine Änderung des Geschlechtseintrags am Ende eines langen Weges "mit viel Schmerz und Leid". Das gelte es zu ändern.

Ganz anders sieht das die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch, die in ihrer Rede zunächst die transgeschlechtliche Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer zu demütigen versucht, indem sie sie dem falschen Geschlecht zuordnet - das trägt der Rednerin einen Ordnungsruf ein. Das Selbstbestimmungsgesetz sei "nicht liberal, sondern totalitär", schimpft von Storch, es mache einen biologischen Mann auch nicht zur Frau, das Vorhaben der Regierung sei "die Symbiose von Nordkorea und Gender-Gaga".

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Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer wiederum verweist darauf, dass selbst die konservative Schweiz ein Selbstbestimmungsgesetz habe. Und auch vor der Tür des Parlaments wird gestritten. Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter der Deutsche Frauenrat und Pro Familia, begrüßt in einer Petition die Novelle im Grundsatz. Es seien aber so viele Einschränkungen eingefügt worden, dass sich neue Diskriminierung abzeichne. Die dreimonatige Wartefrist vor der Änderung des Geschlechtseintrags gehöre abgeschafft, auch ein Passus, wonach das "Hausrecht" gilt, wenn trans Personen geschützte Frauenräume wie eine Sauna betreten wollen. Die Debatte, so scheint es, hat eben erst begonnen.

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