Schweiz:Rösti und der Wolf

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Artenschützer fürchten um den Bestand der Wölfe: Ein frei lebendes Tier in der Schweiz. (Foto: Imago)

Der Schweizer Umweltminister macht sich zum Vollstrecker einer radikalen Jagdverordnung. Mit ihr können die Raubtiere präventiv in großer Zahl geschossen werden. Weicht das den Schutz der Art gefährlich auf?

Von Isabel Pfaff, Bern

Ist der Schweizer Umweltminister Albert Rösti ein Wolf im Schafspelz? Je länger der Politiker der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Land mitregiert, desto häufiger fällt diese Metapher. Und wohl noch nie hat sie so gut gepasst wie in diesen Tagen.

Röstis Ministerium will den Wolfsbestand der Schweiz regulieren. Damit folgt es zwar einer Parlamentsentscheidung aus dem Jahr 2022, und auch Naturschützer räumen mittlerweile ein, dass bei einem Bestand von rund 300 Wölfen in der Schweiz in bestimmten Fällen Abschüsse nötig sind, um das Zusammenleben von Wolf, Mensch und Nutztieren weiter zu ermöglichen.

Doch die Umsetzung dieses grundsätzlich unbestrittenen Kurses durch Rösti hat die Wolfsschützer zuletzt wieder erzürnt. Weil eine Regulierung der mittlerweile 32 Schweizer Rudel "dringend notwendig" sei, so die Regierung, habe man das neue Jagdgesetz aus Röstis Ressort in Teilen vorzeitig, zum 1. Dezember 2023, in Kraft gesetzt. Damit können erstmals seit der Wiederansiedlung des Wolfs in der Schweiz einzelne Tiere, aber auch ganze Rudel präventiv erlegt werden, das heißt: noch bevor sie Schäden angerichtet haben. Geschützt bleibt die Tierart trotzdem, der Bund muss entsprechende Gesuche aus den Kantonen genehmigen.

Sind zwölf Rudel zu wenig für die Schweiz?

Doch die von Rösti revidierte Jagdverordnung ist radikaler ausgefallen als erwartet. So hat das Ministerium den Mindestbestand an Wölfen in der Schweiz auf zwölf Rudel festgelegt - eine in den Augen der Kritiker willkürliche und zu tiefe Zahl, wenn man den Wolfsbestand nicht wieder gefährden will.

Tatsächlich beziffert ein internationaler Expertenbericht aus dem Jahr 2016, mitfinanziert vom Schweizer Bundesamt für Umwelt, die Zahl der für einen Fortbestand erforderlichen Wolfsrudel im Land auf 17. So viele sind demnach nötig, damit sich die gefährdete Art im Alpenraum selbst erhalten kann. Wie das Ministerium bei der Zahl zwölf landet, konnte es bislang nicht überzeugend darlegen. In der Mitteilung zum neuen Jagdgesetz wird die Zahl nicht begründet, und auf Anfrage des Schweizer Portals Watson verweist Röstis Ministerium lediglich darauf, dass 2020 etwa zwölf Rudel in der Schweiz lebten. "Mit den angestrebten Rudeln ist der Bestand des Wolfs gesichert."

Zum 1. Dezember lagen bereits mehrere Regulierungsgesuche aus den Kantonen vor, die meisten hat der Bund genehmigt. Ganze zwölf Rudel dürfen demnach erlegt und bei sechs Rudeln dürfen die Jungtiere geschossen werden. Die Wolfsjagd hat also begonnen. Mittlerweile sollen Dutzende Tiere tot sein, zum Entsetzen vieler Natur- und Wolfsschützer.

Dämpfer für den Minister

Mehrere Naturschutzorganisationen, darunter WWF Schweiz und Pro Natura, haben deshalb Beschwerde gegen einen Teil der vom Bund genehmigten Wolfsabschüsse eingereicht - und damit einen vorläufigen Stopp der Wolfsjagd durchgesetzt. Nun prüft das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde. Der Wolfsstreit wird also andauern - und Rösti hat einen bemerkenswerten Dämpfer erhalten.

Ist er zu weit gegangen in der Wolfsfrage? Umweltminister Albert Rösti. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Bislang lief es nämlich gut für den SVP-Politiker. Rösti hat seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr erstaunlich viele rechte Anliegen durchgebracht oder zumindest angestoßen. Er treibt etwa den Straßenausbau stärker voran als jenen der Bahn, er hat bereits durchblicken lassen, dass er nicht unbedingt am Neubauverbot für Atomkraftwerke festhalten will, und er schlägt vor, die Gebühr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu senken. Und nun das Wolfsdossier: Dass der Bauernsohn aus dem Berner Oberland da eher auf die wolfskritischen Landwirte als auf die Naturschützer hört, war vielleicht erwartbar. Aber die Schnelligkeit und Radikalität seines Vorgehens überraschte doch viele.

Zumal Regieren in der Schweiz eigentlich ein wenig anders funktioniert als in Deutschland. In Bern gibt es das Gegeneinander von Kabinett und Opposition nicht, stattdessen gilt der Anspruch, dass möglichst alle wichtigen politischen Strömungen im siebenköpfigen Regierungsgremium, dem Bundesrat, vertreten sein sollen. Zusätzlich wird erwartet, dass die Bundesräte die Treue zu ihrer Partei zurückstellen, zugunsten einer ausgewogenen, kompromissorientierten Regierungsarbeit.

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Wer diese Prinzipien nicht achtet, gilt als eher nicht bundesratsfähig - wie etwa Christoph Blocher, Patron der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP), der eine Legislatur lang ein lauter und provokanter Justizminister war, aber dann, 2007, vom Parlament überraschend abgewählt wurde. Eine Strafaktion, die im Schweizer System sehr selten vorkommt.

Albert Rösti, einer von zwei SVP-Bundesräten, macht vieles anders als Blocher. Er tritt stets zivilisiert auf, auch gegenüber politischen Gegnern. Entsprechend konnte er zum Zeitpunkt seiner Kandidatur auf ein parteiübergreifendes Netzwerk im Parlament zurückgreifen. Seine Wahl zum Bundesrat? Ein Selbstläufer. Inzwischen hat Rösti aber klargemacht, dass konziliantes Auftreten nicht gleichbedeutend ist mit tatsächlich gemäßigter Politik.

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