Man könnte sich kaum einen absurderen Zeitpunkt für diese Volksabstimmung vorstellen: Praktisch die ganze Welt trägt Gesichtsmasken, so auch die Schweizer. Im Moment kombinieren die Menschen dazu Mütze, Schal, manchmal auch Skibrillen, und so bleibt häufig recht wenig vom Gesicht übrig. Derartig weitreichende Vermummungen jedoch wollen manche im Land nun per Volksentscheid untersagen: Am 7. März stimmen die Schweizer darüber ab, ob man Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum verbieten soll.
Die Vorlage ist so formuliert, dass das Verbot sowohl Nikab- und Burka-Trägerinnen als auch vermummte Sportfans oder Demonstranten treffen würde. Ausnahmen wären möglich in Gotteshäusern, aber auch bei der Fasnacht. Und, so viel zur pandemiebedingten Verhüllung: auch aus gesundheitlichen Gründen.
Die Initiative stammt vom sogenannten Egerkinger Komitee, einem Verein, der gemäß eigenen Angaben "Widerstand gegen die Machtansprüche des politischen Islam in der Schweiz" leistet. Die Gruppe steht der rechtskonservativen SVP nahe. Schon 2009 war ihr ein Coup gelungen: Fast 60 Prozent der Abstimmenden sagten damals Ja zu einem Bauverbot von Minaretten.
Jetzt will das Komitee an den Erfolg anknüpfen - befeuert von ähnlichen Verhüllungsverboten auf kantonaler Ebene: Das italienischsprachige Tessin hatte 2013 über eine entsprechende Vorlage abgestimmt und diese gutgeheißen; im ostschweizerischen St. Gallen stimmte die Bevölkerung 2018 dafür. Auch wenn die beiden kantonalen Verbote bislang eher selten zur Anwendung kamen, wie Recherchen von Schweizer Medien zeigen, sind sich die Urheber der "Burka-Initiative" sicher: Ein Verbot von Gesichtsverhüllungen sei nötig in der Schweiz, um Extremismus zu stoppen und zentrale Werte wie Freiheit und Gleichberechtigung zu schützen.
Der Bundesrat sieht ein "Randphänomen" aufgebauscht
Regierung und Parlament konnten die Verfasser der Vorlage mit ihren Argumenten nicht überzeugen. Der siebenköpfige Bundesrat empfiehlt die Ablehnung der Initiative, weil sie ein "Randphänomen" zum nationalen Problem aufbausche. Es gebe nur sehr wenige vollverschleierte Frauen in der Schweiz, meist handle es sich um Touristinnen. Zudem greife das Verbot ohne Not in einen Hoheitsbereich der Kantone - die Nutzung des öffentlichen Raums - ein.
Auch beide Parlamentskammern lehnten die Vorlage deutlich ab. Allerdings sind die Fronten diesmal nicht so klar wie bei anderen Projekten aus rechtskonservativen Kreisen. Zwar plädieren mit der SVP erwartungsgemäß die Rechtspopulisten für ein Ja. Im Nein-Lager sitzen die Grünen, die Grünliberalen und die liberale FDP. Aber schon bei der FDP - grundsätzlich skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen ins Private - haben sich Gräben aufgetan, einige kantonale Parteisektionen machen sich für ein Verbot stark.
Bei der neuen Mitte-Partei - dem Zusammenschluss von Christlichdemokratischer Volkspartei (CVP) und Bürgerlich-Demokratischer Partei (BDP) auf bisher nur nationaler Ebene - und den Sozialdemokraten ist die Position noch unklar. Lediglich die Frauen der Sozialdemokraten haben sich bereits auf "ein feministisches Nein" festgelegt, weil das Verbot "unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung Frauen mit Kleidervorschriften" bevormunde. Umgekehrt spannte sich eine prominente Mitte-Politikerin mit einer SVP-Frau und einer Muslimin zusammen, um mit ihrer Kampagne "Frauenrechte Ja!" für ein Verhüllungsverbot zu werben.
Wie auch in Frankreich, Österreich oder Deutschland bündeln sich im Streit um die Verschleierung so gewichtige Fragen, dass die politische Landschaft unübersichtlich geworden ist: Es geht um gesellschaftliche Zugehörigkeit, um die Bedeutung von Gleichberechtigung und nicht zuletzt um das Selbstverständnis der Schweiz als liberaler Staat, in dem Religionsfreiheit herrscht.
Auch in anderen Ländern gibt es Verhüllungsverbote
Wie häufig bei Volksabstimmungen haben Bundesrat und Parlament einen Gegenvorschlag zum Thema vorgelegt, der automatisch in Kraft tritt, wenn die Initiative abgelehnt wird. Demnach sollen Personen bei einer Identitätskontrolle ihr Gesicht zeigen müssen; zudem soll es Förderprogramme zur Stärkung der Rechte der Frauen geben.
Im Moment sieht es jedoch nach einer deutlichen Zustimmung zu einem Verhüllungsverbot aus: Laut der jüngsten Umfrage unterstützen 65 Prozent der Stimmberechtigten die Vorlage.
Vielleicht liegt das auch an der im Gegensatz zum Minarett-Verbot veränderten Ausgangslage. Ein Verhüllungsverbot wäre weder einzigartig noch rechtlich umstritten in Europa. Frankreich, Belgien, Österreich und Dänemark kennen ähnliche Vorschriften. Schweizer Befürworter können sich sogar auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte berufen, der in Bezug auf Frankreich und Belgien urteilte, dass ein Verhüllungsverbot kein Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt.