Verbot von Minaretten:Wut und Frust in der Schweiz

Eine klare Mehrheit der Schweizer lehnt den Bau von Minaretten ab. Das Votum ist eine Katastrophe, denn ein Bauverbot verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Thomas Kirchner

Das Ergebnis der Abstimmung gegen den Bau von Minaretten ist der Triumph einer einzigen Partei, der Schweizerischen Volkspartei. Auch dieses Referendum hat die SVP quasi im Alleingang gewonnen.

Verbot von Minaretten: Mit drastischen Plakaten warb die national-konservative Schweizerischen Volkspartei (SVP) für das Minarett-Verbot.

Mit drastischen Plakaten warb die national-konservative Schweizerischen Volkspartei (SVP) für das Minarett-Verbot.

(Foto: Foto: dpa)

Regierung, Parlamentsmehrheit, Wirtschaftsverbände, Kulturschaffende, Medien und an vorderster Front die großen christlichen Kirchen, in deren Namen ja in gewisser Weise gekämpft wurde: Alle hatten sie davor gewarnt, ein Ja anzukreuzen. Und recht hatten sie.

Dieses Referendum ist eine Katastrophe für die Schweiz. Ein solches Bauverbot gibt es nirgends sonst in Europa. Wenn jene sechs Worte - "der Bau von Minaretten ist verboten" - künftig in der Verfassung stehen, dann verstoßen sie nicht nur mehrfach gegen ebendiese Verfassung, etwa gegen die Religionsfreiheit oder das Diskriminierungsverbot. Sie verstoßen auch eklatant gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Es wird nicht lange dauern, bis ein Betroffener vor den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zieht, wo eine peinliche Verurteilung und womöglich der Ausschluss der Schweiz aus dem Europarat drohen.

Das ist besonders traurig für ein Land, das auf den Ausgleich der Interessen angewiesen ist, das Kulturräume, Sprachen und Mentalitäten vereint, die einander beleben. Das hat stets funktioniert, und auch der Umgang mit den knapp 400.000 Muslimen im Lande verlief bisher weitgehend reibungslos. Von brennenden Ausländerheimen und zähnefletschenden Skinheads ist jedenfalls nichts bekannt.

Warum also dieses Resultat? Mit rund 60 Prozent Ja-Stimmen ist es schockierend hoch ausgefallen. Es müssen zum islam- oder allgemein ausländerfeindlichen Grundstock, der höchstens ein Viertel der Bevölkerung umfasst, eine Menge Bürger hinzugestoßen sein.

Eine Erklärung hat mit dem annus horribilis zu tun, das die Schweiz hinter sich hat. Dies war auch ein Wut-und-Frust-Votum. Das Ende des Bankgeheimnisses empfanden viele Eidgenossen als demütigend. Und noch immer wird ihr Land in der Geiselaffäre von Gaddafi an der Nase herumgeführt. "Das Ausland" steht nicht hoch im Kurs in der Schweiz. Und weil die Berner Regierung in den genannten Fällen keine gute Figur machte, mag das Votum auch ein Denkzettel für sie sein.

Außerdem ist das Ergebnis eine Art Kollateralschaden der direkten Demokratie. So kann es kommen, wenn das Volk nicht nur über Turnhallen oder Transrapidbahnen abstimmt, sondern über alles. Gerade bei Initiativen, die gegen den vermeintlichen "Gutmenschen-Mainstream" gerichtet sind, lassen sich die Bürger mobilisieren - umgekehrt bleibt die liberale Mehrheit aus Bequemlichkeit oder einem Ekelgefühl heraus den Urnen fern. Die SVP hat dies immer wieder zu nutzen gewusst.

Nun wird ein Sturm der Entrüstung losbrechen, vor allem in der muslimischen Welt. Der schlimmste Fehler wäre es, wenn sich die Schweiz als Reaktion noch weiter verhärtet. Denn im Herzen ist dieses Land weltoffen und liberal.

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