Die Mitglieder der schweizerischen Operation Libero sind Kommunikationsprofis. Gegründet 2014 als Reaktion auf die Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung", hat die Bewegung schon oft gezeigt, dass sie etwas vom Kampagnengeschäft versteht. So weiß auch ihre aktuelle Chefin Sanija Ameti, dass Wiederholung wichtig ist. Das Wort "Grundsatzentscheid" fällt an diesem Dienstagnachmittag im Berner Medienzentrum mindestens ein Dutzend Mal, denn nichts weniger wollen die sechs Leute auf dem Podium herbeiführen: eine grundsätzliche Entscheidung darüber, was die Schweiz sein will.
"Wo soll unser Platz in Europa und in der globalisierten Welt sein?", fragt Ameti. Wolle man sich zurückziehen, abschotten - "oder ein aktiver Teil Europas sein?" Natürlich will die sogenannte Europa-Allianz, für die Ameti spricht, Letzteres. Neben der Operation Libero gehören zu der Allianz die Schweizer Grünen, die Europäische Bewegung Schweiz, der Verband der Schweizer Studierendenschaften, weitere Verbände und Privatpersonen. Es gibt die Gruppe schon länger, doch so richtig kommt sie erst jetzt aus der Deckung - nicht zufällig wenige Wochen, nachdem die Schweiz wieder in Verhandlungen mit der EU getreten ist.
"Nein zum EU-Unterwerfungsvertrag", steht über der SVP-Kampagne
Die Schweiz gehört nicht zur EU und auch nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum - und hat damit einen Sonderstatus in Europa. Die engen Beziehungen zur EU beruhen auf Dutzenden bilateralen Verträgen, über die Bern in vielen Bereichen am EU-Binnenmarkt und anderen europäischen Programmen teilnimmt. Brüssel möchte diese Verträge schon lange auf eine rechtlich und praktisch solidere Grundlage stellen, doch diese Reform gestaltet sich schwierig - nicht zuletzt, weil es in der Schweiz mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) eine bedeutende EU-feindliche Kraft gibt.
Als nun die Schweizer Regierung, der Bundesrat, im März einen neuen Anlauf nahm, um das Verhältnis zur EU neu zu ordnen, hatten sich die SVP und andere kritische Stimmen längst in Stellung gebracht. "Nein zum EU-Unterwerfungsvertrag" ist die Kampagne der SVP überschrieben, sie warnt vor einer Abschaffung der direkten Demokratie und vor "Bestrafungen" der EU. "Frei und erfolgreich" sei die Schweiz nur, wenn sie auf Distanz zur EU gehe. Auch auf linker Seite sind die Kritiker einer Einigung mit der EU laut, sie befürchten vor allem Lohndumping durch europäische Firmen und Einwanderer.
In den kommenden Monaten will das Bündnis Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln
Dass die Schweiz längst eng verflochten ist mit ihrer europäischen Nachbarschaft und davon nachweislich stark profitiert, blenden die Kritiker meist aus. Umso bemerkenswerter war es, dass im Laufe der vergangenen Monate kaum europafreundliche Stimmen zu hören waren, die sich dem Anti-EU-Diskurs entgegenstellten.
"Hier sind wir", schrieb die Europa-Allianz deshalb in ihrer Einladung zur Pressekonferenz am Dienstag - eine Art Trotzantwort auf die vielen Berichte und Artikel in der Schweiz, die auf diese Leerstelle hingewiesen hatten. Und weil man in der Schweiz Debatten am besten beeinflussen kann, wenn man eine Abstimmung anzettelt, hat die Europa-Allianz ihren Auftritt gleich mit dem Startschuss zu einer "Europa-Initiative" verbunden: In den kommenden Monaten will das Bündnis Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln. 100 000 sind nötig, dann darf die Bevölkerung darüber abstimmen, ob künftig explizit in der Verfassung stehen wird, dass die Schweiz mit der EU kooperieren und sich sogar aktiv an der europäischen Integration beteiligen soll.
Sich grundsätzlich für eine enge Anbindung an die EU auszusprechen, wäre für die Schweiz neu
Die Mitglieder der Europa-Allianz sind sich sicher: Mit dieser Initiative gebe man der "stillen proeuropäischen Mehrheit" endlich eine Stimme und nehme den "Abschottern und Verhinderern" die Diskurshoheit. Ob diese Annahme stimmt, wird sich zeigen müssen. Zwar hat die Schweizer Bevölkerung sich tatsächlich immer wieder in Abstimmungen für die Zusammenarbeit mit der EU ausgesprochen, etwa wenn es um rechtliche Anpassungen im Schengen-System oder mehr Geld für Frontex ging. Aber sich grundsätzlich für eine enge Anbindung an die EU auszusprechen, wäre für die Schweiz neu und voraussichtlich auch umstrittener als das Bekenntnis zu einzelnen Verträgen.
Zudem hat sich bislang außer den Grünen keine Partei geschlossen hinter das Projekt gestellt - für die Kritiker ein Zeichen, dass es die angebliche stille Mehrheit nicht gibt. Die Europa-Allianz hält dem entgegen, dass sie die Unterstützung etablierter Parteien nicht unbedingt anstrebe. "Wir verstehen uns als zivilgesellschaftliche Initiative, als Korrektiv zur Politik", so der emeritierte Wirtschaftsprofessor Thomas Cottier, der an diesem Dienstag für die Gruppe "La Suisse en Europe" auf dem Podium sitzt.
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Und wie verhält sich die Europa-Initiative zu den nun begonnenen Verhandlungen zwischen Brüssel und Bern? Man wolle diesen Gesprächen einerseits Rückenwind geben, so Jurist Thomas Cottier, und andererseits dafür sorgen, dass die grundsätzliche Ausrichtung der Schweiz klar sei - selbst, wenn es diesmal wieder nicht mit einer Einigung klappen sollte.
Zum Schluss sagt Sanija Ameti, dass sie sich wahnsinnig darauf freue, das Wort Europa bald in der Schweizer Verfassung zu lesen. Es klingt wie eine Kampfansage für die kommenden Monate.