Greta Thunberg:Von der Coronakrise lernen

Lesezeit: 3 min

Im schwedischen Radio hat Greta Thunberg jetzt ihren ersten großen öffentlichen Auftritt seit Monaten gehabt. (Foto: Mattias Osterlund/AP)

Die schwedische Klimaaktivistin wünscht sich einen ähnlich beherzten Umgang der Welt mit dem Klimanotstand. Auch hier solle die Wissenschaft mehr Gehör finden.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die Menschen können es doch: Eine Krise nicht verdrängen. Das sei die positive Lehre, welche die Gesellschaften aus der Corona-Pandemie hinüberretten sollten für den Umgang mit der Klimakrise, sagte Greta Thunberg am Samstag im schwedischen Rundfunk: "Die Einsicht, wie man einen Notstand auch als Notstand behandeln sollte."

Sie verwies auf die astronomischen Summen, die allerorten zur Bekämpfung des Virus bereitgestellt werden, darauf, wie Menschen ihr Verhalten über Nacht ändern, wie Bürger mit einem Mal auf Experten und Wissenschaftler hören, Gesellschaften und Politiker zusammenstehen und die Medien sich mit einem Mal weltweit fast ausschließlich auf die Krise konzentrieren.

In derselben Sendung gab sie ihrer Enttäuschung darüber Ausdruck, dass auch das vergangene Jahr für den Kampf gegen den Klimawandel ein weitgehend verlorenes gewesen sei. "Die Kaiser sind nackt. Jeder einzelne von ihnen", sagte Greta Thunberg über die Führer aus Politik und Wirtschaft weltweit, von denen sie in dem Jahr nicht wenige selbst getroffen hatte. "Es sieht so aus, als sei unsere ganze Gesellschaft eine einzige große Nudistenparty."

Die 17 Jahre alte schwedische Klimaaktivistin war vom öffentlich-rechtlichen Radiosender P 1 eingeladen worden, die eineinhalb Stunden der Auftaktsendung von dessen alljährlicher Sommer-Talkshow zu gestalten. Die Sommerreihe ist eines der populärsten Radioprogramme des Landes. Es war der erste größere öffentliche Auftritt Thunbergs seit Monaten, P 1 produzierte die Sendung auch auf Englisch.

Thunberg lässt das Jahr Revue passieren

Thunberg hatte Anfang März wegen der Corona-Pandemie sämtliche Reisen eingestellt und später auf Facebook bekanntgegeben, sie habe sich selbst zuhause in Stockholm für zwei Wochen in Quarantäne begeben, weil sie Symptome an sich festgestellt habe, die auf eine Covid-19-Erkrankung hindeuteten. Seither war sie im Wesentlichen nurmehr auf ihren Social-Media-Kanälen aktiv. Die letzten Monate nun arbeitete sie nach eigener Aussage vor allem am Skript der Radiosendung.

In der Sendung vom Samstag lässt Thunberg das Jahr Revue passieren, das sie - ausgehend von ihrer Rede vor den Vereinten Nationen im vergangenen September - endgültig zum Symbol der weltweiten Klimabewegung gemacht hatte. Eine Rolle, die sie, wie sie selbst sagt, eher widerstrebend ausfüllt: "Ich bin unwichtig", sagte sie. "Ich tue das nur, weil niemand anders es tut."

Thunberg sprach über den Hass und die Morddrohungen, die ihr Aktivismus nicht nur ihr, sondern auch ihrer Familie eingebracht hat. Die Sendung ist teils Tagebuch ("Kanzlerin Angela Merkel kommt herein, unterhält sich mit mir, macht ein Selfie mit mir und fragt, ob es in Ordnung ist, wenn das Foto online gestellt wird."), teils Roadtrip: Sie erzählt wie sie mit ihrem Vater Svante in einem von Arnold Schwarzenegger geliehenem Elektroauto 37 US-Staaten durchquerte, im Radio meist christlicher Pop und Country. Unterwegs besuchen sie Wissenschaftler, Aktivisten und Demonstrationen und bekommen die Auswirkungen der Erderwärmung am eigenen Leibe zu spüren: So fällt etwa das kalifornische Weingut, in dem sie eine Übernachtung geplant hatten, kurz vor ihrer Ankunft einem Waldbrand zum Opfer.

Vor allem aber versuchte Thunberg auch hier, ihre Botschaft loszuwerden, die sie seit ihren ersten Demonstrationen vor dem Parlament in Stockholm wie ein Mantra wiederholt: Hört auf die Wissenschaftler! Und macht euch endlich an die Umsetzung der Versprechen, die ihr selbst gegeben habt, im Pariser Klimaabkommen zum Beispiel! Oft klang sie enttäuscht. "Wieder ist ein Treffen vorüber", so ihr Resümee des UN-Gipfels in New York. "Und wieder nichts als leere Worte".

Den wohlhabenden Staaten des Westens warf die Aktivistin vor, statt auf Taten vor allem auf Kosmetik der CO₂-Bilanzen zu setzen, etwas, was Umweltschützer Greenwashing nennen. "Wörter wie 'grün', 'nachhaltig' oder 'fossile free' werden so sehr missbraucht und verwässert", sagte Thunberg, "dass sie ihre Bedeutung verloren haben."

Wenn sie noch Hoffnung habe, sagte Thunberg zum Ende der Sendung, dann ruhe die "auf den Menschen, auf der Demokratie". Die Klimakrise sei keine politische, sondern eine existenzielle. Die ökonomischen und politischen Systeme von heute aber hätten sich als unfähig erwiesen, die Krise zu lösen. "Das ist keine Meinung. Das ist eine Tatsache."

© SZ vom 22.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivEuropäisches Klimagesetz
:Kritische Post für von der Leyen

Ursula von der Leyen stellt ihr europäisches Klimagesetz vor. Das sorgt bereits vorab für Briefe - von den Mitgliedstaaten und von Greta Thunberg.

Von Michael Bauchmüller und Karoline Meta Beisel, Brüssel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: