Seehofer und Scholz:Hitzig trifft kühl

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Kennen sich schon lange: die Banknachbarn Horst Seehofer und Olaf Scholz (Foto: picture alliance/dpa)

Temperament, Partei, Herkunft: alles grundverschieden. Trotzdem arbeiten die beiden Minister für Inneres und Finanzen gut zusammen - erstaunlich gut sogar.

Von Constanze von Bullion und Cerstin Gammelin, Berlin

Als Olaf Scholz den Bundeshaushalt 2019 ins Parlament einbringt, sitzt Horst Seehofer auf der Regierungsbank und dürfte zufrieden sein. Der CSU-Minister fürs Innere, Heimat und Wohnen hat ordentlich Kasse gemacht beim SPD-Kollegen. Ungewöhnlich hohe Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, viele zusätzliche Stellen, die höhere Mütterrente, das ausufernde Baukindergeld - alles hat ihm Scholz finanziert. Der sozialdemokratische Kassenwart und der Christsoziale wirken in dem großen, strauchelnden Bündnis wie eine kleine, frohe Koalition.

Warum ist das so? Was das Temperament angeht, könnten die beiden kaum unterschiedlicher sein. Der Hamburger, politisch linke Mitte, geht so sparsam mit Worten um, dass schon das Hochziehen einer Augenbraue, verbunden mit einem "tja", als Aussage interpretiert wird. Der Bayer, politisch ein christsozialer Überzeugungsbajuware, redet oft querköpfig daher, womit er alle paar Tage öffentliche Stürme provoziert. Olaf Scholz und Horst Seehofer sind wie aus zwei weit entfernten Galaxien. Doch wenn sie miteinander arbeiten, sieht es manchmal nach großer Nähe aus.

Bei Seehofer liegt die Betonung auf dem Sozialen. Das verbindet ihn mit Scholz

Ein Regierungsflugzeug, auf dem Weg von Berlin nach Buenos Aires: Als man Grönland überfliegt, wird im Salon bei Scholz über Seehofer geredet. Bis kurz vorm Abflug herrschte Krach wegen der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze. Horst Seehofer gegen Angela Merkel, CDU gegen CSU, für einen Moment schien die Union zu zerbrechen und mit ihr die Regierung. Jetzt fliegt Scholz zum Finanzgipfel und ist zufrieden. Seine Partei hat sich nicht in den Streit zerren lassen, sondern wacker geschlagen.

Fragt man den Finanzminister nach dem Kollegen Innenminister, blinzelt er schulbubenhaft. Seehofer hat fast die Koalition ruiniert, da könnte Scholz jetzt ein paar spitze Bemerkungen loslassen. Statt dessen erzählt er vor allem über sich: wie er Seehofer und Merkel bei einem Kabinettstreffen beiseite genommen und klargemacht habe, dass ihr Vorgehen in der Koalition "sehr unorthodox" sei. Und Seehofer? Ein Kollege, auf den man sich verlassen könne. Scholz kommt kein böses Wort über die Lippen, dennoch will er sich nicht zitieren lassen, sicher ist sicher.

Doch so viel darf verraten werden: Scholz hält Seehofer für einen "Zwölfender im Kabinett". Er könne ihn lesen, gibt er zu verstehen, was darauf schließen lässt, dass er sich selbst dieser Kategorie zuordnet. Immerhin waren beide Minister vorher Landesregierungschefs. Scholz in Hamburg, Seehofer in Bayern. Als Erster Bürgermeister des stolzen, aber kleinen Stadtstaates war Scholz darauf angewiesen, mächtige Verbündete zu suchen. Dass der Richtige ausgerechnet aus München kam, ist kein Zufall, sagen Vertraute von Scholz.

Hamburg und München, zwei teure Städte, liberales Bürgertum, ähnliche Interessen. Scholz bietet sich Seehofer als "Gesprächskanal in das andere Lager" der SPD-regierten Länder an. Der Hanseat sucht sich den Einflussreichsten und zugleich den, der ähnliche politische Interessen pflegt. Bei Seehofer liegt die Betonung auf dem Sozialen, das ist seine politische Heimat, die ihn mit dem Sozialdemokraten verbindet. Scholz weiß außerdem um Seehofers Faible für Modelleisenbahnen. In Hamburg steht die größte Modelleisenbahn Deutschlands, ein guter Anlass, Seehofer einzuladen. Noch ist er nicht gekommen, aber man bleibt im Gespräch.

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Das wiederum erzählt nicht Scholz, das erzählt Seehofer in seinem Büro in Berlin - an einem Tag, an dem er sich von der Welt mal wieder missverstanden fühlt. Der Minister wird für seine Asyl-Rhetorik gescholten, zu Unrecht, wie er findet. Er will gemocht werden, nicht nur von den Wählern, das ist zu spüren. Und er freut sich sichtlich, als er gefragt wird, wie er den Kollegen Scholz so findet: Den habe er während Angela Merkels erster Amtszeit näher kennen gelernt, erzählt Seehofer. "Seither kann man von einer engeren Beziehung sprechen." Er habe ihn von Anfang an gemocht, "weil er kein Dampfplauderer ist". Seehofer hält Scholz für "so pragmatisch, wie ich seit Helmut Schmidt keinen Sozialdemokraten mehr angetroffen habe."

Der Innenminister schüttelt verständnislos den Kopf, als er hört, dass Humor nicht als Markenzeichen des Finanzministers gilt. "Man kann mit dem Olaf Scholz viel witzeln und ironisieren. Er hat dann so ein ganz besonderes, herzhaftes Lachen. Da schüttelt es den ganzen Körper durch, wenn er sich über eine Sache freut", sagt er. Und ja, es sei Vertrauen gewachsen, man könne "über etwas sprechen, ohne dass es ein Dritter erfährt".

"Du kannst jetzt Horst sagen", bietet der Ältere dem Jüngeren an. Zunächst fällt das schwer

Sicher, es hat auch weniger harmonische Tage zwischen den beiden gegeben. In den Koalitionsverhandlungen gerieten Seehofer und Scholz beim Thema Kindergeld aneinander. Lange hielt die Verstimmung nicht an. Der Bundesinnenminister ging am Ende mit einem Rekordetat vom Hof. Und auch beim Baukindergeld wussten die Männer sich zu verständigen. Als der Versuch scheiterte, die förderfähige Wohnfläche zu begrenzen, vergrößerte Scholz mal eben den Geldtopf. Die Kosten lagen am Ende wesentlich höher als geplant. "Aber wenn der Finanzminister das billigt", sagt Seehofer, "freut es den Innenminister." Was der Bayer nicht sagt: Dafür unterstützt er Scholz bei der avisierten Grundgesetzänderung, auf die die SPD drängt, damit der Bund mehr Bildung finanzieren kann.

Und privat? Man erzähle sich nicht das Leben, ist von Scholz zu hören. Aber 2015 bietet der Ältere dem Jüngeren und 24 Zentimeter Kleinerem an: "Du kannst jetzt Horst sagen." Doch zunächst fällt das Duzen schwer. "Das hat ein bisschen gedauert", sagt Seehofer, "wir mussten uns beidseitig auch ein paar Mal daran erinnern". Dann, als Landesregierungschefs im Jahr 2016, liefern die beiden ihr Meisterstück ab. Es geht um Milliarden, die die reichen Bundesländer den ärmeren nicht mehr überweisen wollten. Scholz und Seehofer wollen den alten Länderfinanzausgleich abschaffen, der Bund soll mehr zahlen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellt sich quer. Der Nord- und der Süddeutsche organisieren eine Art Verschwörung, alle 16 Länder stellen sich gegen den Bund und Schäuble. Das hatte es nie gegeben. "Er war besessen, diese Reform hinzubringen. Ich war auch besessen", sagt Seehofer. Heute sitzen beide auf der anderen Seite des Tisches, beim Bund, und könnten die damals erkämpften Milliarden im Bundeshaushalt gut gebrauchen.

"Er hat schon Überzeugungen. Wenn man auf die stößt, hat man Probleme", sagt Seehofer über Scholz. Der Vizekanzler der SPD habe "mal bessere und mal andere Tage". Und an den anderen? Da sei er "halt etwas mürrischer." Im Umfeld von Scholz heißt es, keiner von beiden mache billige Punkte auf Kosten des anderen. Freundschaft? Nicht ganz. Aber ein sehr nützliches Zweckbündnis.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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