Olaf Scholz in Thüringen:Im Osten recht freundlich

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Nett mit den Leuten reden? Olaf Scholz mag dieses Format, weil er findet, dass er Dinge so besser erklären kann. (Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

Sein erstes Kanzlergespräch nach dem Urlaub absolviert Olaf Scholz in Thüringen, wo die AfD stark und die Zweifel groß sind. Der SPD-Politiker versucht es mit einem Mix aus Weltdeutung und Bürgersprechstunde.

Von Daniel Brössler, Erfurt

Olaf Scholz ist aus dem Urlaub zurück. Offiziell jedenfalls, aber der ganze Ernst des Kanzlerlebens hat ihn noch nicht wieder. Eben war er noch beim Kinderkanal, jetzt säumen Blumen seinen Weg. Vorbei an Garten-Löwenmaul und Königskerze geht es zur Parkbühne im Erfurter Garten- und Freizeitpark. Ein freundlicher Ort mit Springbrunnen und Türmchen ist das. 2021 fand hier die Bundesgartenschau statt, aber schon zu DDR-Zeiten blühten auf dem 36 Hektar großen Gelände die Blumen. Für den Abend nun ist die Parkbühne seine Bühne, Scholz stellt sich in Thüringens Landeshauptstadt zum neunten Mal einem Kanzlergespräch. In Thüringen wird kommendes Jahr gewählt, die rechtsextreme AfD liegt in den Umfragen vorne. Scholz kann also nicht wissen, ob die freundliche Kulisse nicht täuscht.

Vor Scholz' Ankunft werden die Gäste, per Losverfahren ausgewählte Leserinnen und Leser der Thüringer Allgemeinen, gebeten, keine Fragen in Überlänge zu stellen. Der Kanzler sei, versichert die Moderatorin, ebenfalls angehalten, nicht "in epischer Breite zu antworten". Scholz fasst sich zur Begrüßung tatsächlich kurz, berichtet, er habe den Rennsteig im Thüringer Wald "komplett" durchwandert. Allerdings habe es "durchgeregnet". Das gibt schon mal einen Lacher, feindselig wirkt das Publikum nicht. Der Deal mit kurzen Fragen und bündigen Antworten wird dann doch von keiner Seite eingehalten. Aus Sicht von Scholz ist das auch gar nicht Sinn der Sache. Er mag dieses Format, weil er findet, dass er die Dinge erklären kann. Wenn man ihn lässt.

Scholz sagt "schönen Dank" und "Sie haben recht"

Gleich bei der ersten Frage bietet sich ihm dafür eine exzellente Gelegenheit. Es meldet sich eine Gewerbetreibende, die Zweifel hat an der Weisheit des Mindestlohns. Es sei ja gut, wenn die Menschen mehr verdienten. Aber fraglich sei ja immer, wie viel Netto vom Brutto bleibt. Und wenn die Menschen wegen gestiegener Preise seltener zum Friseur gingen, sei auch nichts gewonnen. "Schönen Dank", sagt Scholz. Die Frage kommt ihm gerade recht. Die Frage des Mindestlohns beschäftige ihn ja schon lange. Als er eingeführt worden sei, habe der Mindestlohn für sechs Millionen Menschen eine Gehaltserhöhung bedeutet, rechnet Scholz vor. Und bei der Erhöhung auf zwölf Euro seien es noch mal so viele gewesen. Und natürlich, "Sie haben recht, es muss netto auch genug dabei rüberkommen". Deshalb habe die Ampel mit Steuersenkungen "nachgeholfen".

Scholz hantiert viel mit Zahlen, da ist er immer im Vorteil, aber er versucht auch zu überzeugen. Klar, die Preise würden steigen, aber wer wolle, dass auch der Nachbar gut zurechtkomme, der müsse ihm schon wünschen, dass er wenigstens den Mindestlohn verdiene. Eine Frage zur Inflation wird Scholz erstaunlicherweise nicht gestellt, aber viele Wortmeldungen hadern mit der Politik der Ampel.

Per Losverfahren waren Leserinnen und Leser der "Thüringer Allgemeinen" für das Gespräch mit Scholz ausgewählt worden. (Foto: Bodo Schackow/DPA)

Warum Kernkraftwerke abgeschaltet und Atomstrom aus Frankreich importiert werde? Die Menschen würden sich nicht "mitgenommen" fühlen, berichtet eine Bürgermeisterin. Mehrfach zur Sprache kommen die Sorgen der im Publikum stark vertretenen Rentner, die Scholz zu zerstreuen sucht.

Eine Dame verkündet, sie habe 24 Fragen in der Tasche, werde aber nur eine vortragen. Der Kanzler und seine Minister hätten doch einen Eid abgelegt. "Durch die Politik der Regierung entsteht der Eindruck, dass der vergessen wurde", behauptet sie. Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheine der Pharmaindustrie zu dienen, Außenministerin Annalena Baerbock erkläre "den Russen den Krieg, was nicht im Sinne der deutschen Bürger ist und Herr Habeck hat es geschafft, dass das Land ein Negativ-Wachstum aufweist".

Frau Baerbock werfe Geld für fremde Länder raus, lautet ein Vorwurf

Was Lauterbach angehe, arbeitet Scholz das ab, so sei das Gegenteil richtig. Er kriege ständig Beschwerdebriefe von der Pharmaindustrie. Und Annalena Baerbock habe Russland auch nicht den Krieg erklärt. "Russland hat die Ukraine angegriffen, und zwar aus einem ganz tiefen imperialistischen Motiv, die wollen einfach ein Teil von dem Land für sich", erklärt Scholz. Und was die Wirtschaft betreffe, da passiere eine Menge. So investiere Deutschland viel Geld in die Halbleiterindustrie. Scholz nutzt natürlich auch diese Gelegenheit, um "Zuversicht" zu verbreiten, klarzustellen, Deutschland sei immer noch ein leistungsstarkes Land.

Etliche im Publikum bringen genau das nicht mit ihren Erfahrungen in Einklang. "Sie haben gesagt, dass es Deutschland gut geht", sagt eine Frau, die zur Jeansjacke eine pastellfarbene geblümte Bluse trägt. In "bestimmten Bereichen" könne sie ihm da recht geben. Aber vielerorts fehle Geld. Jugendclubs würden geschlossen, die versprochenen Kita-Plätze für alle gebe es nicht, auf Pflegestationen fehle Personal.

Und wenn der "ganz normale Bürger" den Fernseher einschalte, dann sehe er Frau Baerbock, die durch fremde Länder reise, "medienwirksam" am Strand barfuß laufe und Hunderte Millionen verteile. Für den "Normalbürger, der vielleicht unter diesen Dingen leidet, dass eben nicht genügend Geld für viele andere Bereiche da ist", sei das "schwer nachzuvollziehen". Da werde Geld rausgeworfen, "wo doch Deutschland selber dringend Geld bräuchte".

Nur einmal kommt das große Thema zur Sprache: die AfD

Nach einer Stunde wird nun auch der Elefant im Ega-Park das erste und einzige Mal beim Namen genannt. Sie sage es ungern, sagt die Frau, aber dass die AfD so viel Zulauf habe, das habe doch auch damit zu tun. Es gebe, antwortet Scholz, "natürlich ganz viele Dinge, für die man viel mehr Geld ausgeben könnte". Das sei eine Frage der Prioritäten. Nie werde für alles, was auf der Liste stehe, genug Geld da sein. Was natürlich stimmt.

Die Tatsache, dass nach Jahren voller Kassen das verfügbare Geld tatsächlich weniger geworden ist, erläutert er allerdings eher indirekt. Wenn Russland die Ukraine überfalle, "dann müssen wir mehr Geld für Verteidigung ausgeben, und das werden wir anderswo spüren". Geld für Entwicklungshilfe sei im Übrigen nicht zum Fenster rausgeschmissen. Wenn Millionen Menschen zu verhungern drohten und Kinder nicht wüssten, wo sie zur Schule gehen könnten, dann könne einen das nicht gleichgültig lassen. Deutschland werde immer auch "mitverantwortlich sein für eine gute Entwicklung anderswo in der Welt".

Es gibt auch Fragen, auf die Scholz keine Antwort hat. Warum, wie eine Frau erzählt, Kinderhospize finanziell schlechter gestellt sein sollen als Erwachsenenhospize, kann er sich auch nicht erklären. Dem will er nachgehen. Einer von Long Covid betroffenen Frau macht Scholz eher vage Hoffnung auf weniger Bürokratie in der Medikamentenforschung und einer Gastronomin, die von 900 Euro Rente ihre private Krankenversicherung nicht bezahlen kann, empfiehlt er den Wechsel in den Basistarif. Zur Weltdeutung kommt beim "Kanzlergespräch" immer auch die Bürgersprechstunde. Und wer nach 90 Minuten und 17 Fragen dann noch Lust hat, kann sich anstellen zum Fotoshooting mit Kanzler. Scholz hat da Routine. Sechs Handyfotos die Minute schafft er locker. Lächelnd.

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