Scholz in Ägypten:"Wir lassen die Menschen nicht allein"

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"Sie persönlich haben immer wieder eine wertvolle Rolle als Vermittler eingenommen", sagt Kanzler Scholz in Kairo zu Präsident Abdel Fattah al-Sisi. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bei seinem Besuch in Kairo macht der Kanzler klar, dass Deutschland an der Seite Israels steht - er setzt aber auf Ägyptens Hilfe, um auch für die Menschen in Gaza Besserung zu erreichen.

Von Georg Ismar, Kairo

Olaf Scholz erlebt es eher selten, dass ihm der Staatschef eines anderen Landes zuklatscht. Der Kanzler hat gerade Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi für seine Verhältnisse fast überschwänglich gelobt. "Sie persönlich haben immer wieder eine wertvolle Rolle als Vermittler eingenommen", sagt Scholz und blickt zu ihm hinüber. "Ich möchte Ihnen dafür meinen Respekt und auch meine Achtung aussprechen." Auch jetzt bemühe er sich im Konflikt zwischen Israel und Hamas um Deeskalation und Vermittlung. "Das betrifft auch das Schicksal der Geiseln, die von der Hamas verschleppt worden sind." Er danke ihm für die Gastfreundschaft. Dann erfüllt lautes Klatschen al-Sisis den prunkvollen Saal mit Marmorsäulen, gewaltigem Kronleuchter und goldfarbenem Barock.

Wenn man so will, entwickelt sich an diesem Tag ein Doppelspiel zwischen Scholz und dem von ihm so geschätzten Joe Biden. Während der US-Präsident in Tel Aviv auf die Israelis einwirkt, vielleicht doch nicht die ganz große Bodenoffensive im Gazastreifen zu starten, um der libanesischen Hisbollah und Iran keinen Vorwand für einen Kriegseintritt zu liefern, versucht Scholz arabische Staaten wie erst Jordanien und nun Ägypten in die Pflicht zu nehmen. Auch um den Menschen in Gaza mehr zu helfen, darauf pocht Biden auch in Israel. Gerade Ägypten ist in der Frage ein entscheidender Akteur.

Wie die Bundesregierung am Mittwoch bekannt gegeben hat, sind beim Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober auch Deutsche ums Leben gekommen. Die Regierung gehe von einer einstelligen Zahl deutscher Staatsangehöriger aus, "die dem Hamas-Terror zum Opfer gefallen sind", teilte des Auswärtige Amt mit.

Der Kanzler reist in eine Region am Abgrund

Deutschland stehe fest an der Seite Israels, es habe jedes Recht, sich zu verteidigen, das macht Scholz auch in Kairo immer wieder klar. Aber er sieht es als Teil deutscher Staatsräson auch an, mit solchen Besuchen mitzuhelfen, einen großen Krieg gegen Israel zu verhindern. Die deutschen Bemühungen sind intensiv. Am Rande des Scholz-Besuchs heißt es, auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) reise Donnerstag in die Region, Deutschland beteiligt sich an der UNIFIL-Mission im Libanon. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird am Freitag erneut in Israel erwartet, zuvor ist sie in Jordanien. Am Samstag will Ägypten eine Nahost-Konferenz ausrichten, für Deutschland könnte Baerbock daran teilnehmen.

Diese Kanzlerreise ist eine in eine Region am Abgrund. Wenn es für die Fragilität noch eines Beweises bedurfte, erfährt der Kanzler sie, als er am Vorabend auf dem Flughafen Ben Gurion im Regierungsflugzeug Konrad Adenauer sitzt, von Tel Aviv nach Kairo abfliegen will. Dann ertönen heulende Sirenen.

"Raus, raus, raus. Schnell!", brüllen Sicherheitsleute, mitreisende Journalisten und die Delegation stürmen hastig die Treppen hinunter, gehen draußen auf dem Rollfeld in Deckung und legen sich auf den Betonboden. Der Kanzler wird hastig mit einem Wagen weggefahren zu einem Schutzraum. Einige Augenblicke später sind ein lauter Knall zu hören und Explosionen ganz in der Nähe am Himmel zu sehen. Der "Iron Dome" hat zwei Raketen abgefangen, die offensichtlich den Flughafen treffen sollten.

Als Scholz es dann doch nach Mitternacht nach Kairo schafft, ist eine neue Hiobsbotschaft eingetroffen - aber er ist sehr vorsichtig, beschuldigt nicht Israel, für die Explosion an einem Krankenhaus in Gaza mit womöglich vielen Toten verantwortlich zu sein. Er mahnt, die Ermittlungen abzuwarten. Auch al-Sisi vermeidet es, Israel anzuprangern - ein wichtiges Signal an die arabische Welt. Er mahnt allgemein: "Ich verurteile im Namen Ägyptens alle Operationen, die Zivilisten zum Ziel haben."

"Wir sind total gegen die Evakuierung der Menschen auf den Sinai"

Doch Scholz' Leute räumen ein, dass es auch ein Krieg der Informationen ist, dass die Wahrheit kaum noch durchdringt. "Jeder ist da in seinem Echoraum", formuliert es ein Beamter des Kanzleramts. Auch die Bilder aus Berlin zeigen, wie die Stimmung sich gefährlich aufheizt - und falsche Wahrheiten verfangen. Dazu ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge. Für Scholz gehört zur deutschen Staatsräson auch der Schutz jüdischen Lebens. Er kündigt aus Kairo noch mehr Polizeischutz an. "Es empört mich persönlich, was einige da rufen und tun."

Aber um den Zorn auf der arabischen Seite zu dämpfen, versucht er wie auch US-Präsident Biden al-Sisi für eine Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah zum Gazastreifen zu bewegen.

Neben mehr als 1400 Toten in Israel soll es auch bereits mehr als 3400 Todesopfer in Gaza geben. "Die Menschen dort brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente", betont Scholz. "Wir lassen die Menschen nicht allein." Al-Sisi ist da offen, Ägypten könnte die Hilfsgüter empfangen und nach Gaza bringen, über Rafah. "Wir würden diesen Grenzübergang öffnen, wenn es die Lage erlaubt." Laut Biden sollen in Kürze - mit Genehmigung Israels - rund 20 Lastwagen über Rafah Hilfsgüter nach Gaza bringen, ein erster Schritt.

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Anders als viele westliche Staaten in der Vergangenheit sind die arabischen Staaten in der Region aber bisher nicht bereit, Flüchtlinge aus Gaza aufzunehmen. Al-Sisi wird hier sehr deutlich. Eine Idee wäre es, sie auf dem Sinai anzusiedeln. "Wir sind total gegen die Evakuierung der Menschen auf den Sinai", sagt er. Das würde bedeuten, der Sinai würde die Basis für weitere Angriffe auf Israel. Was für Ägypten, das bisher in Frieden mit Israel lebt, dann zu einem Sicherheitsrisiko würde, da Israel sich dagegen wehren müsste, mit Angriffen auf ägyptisches Territorium.

In Ägypten lebten 105 Millionen Menschen, auch die öffentliche Meinung sei klar dagegen, meint der autoritär regierende Präsident. Scholz sieht in al-Sisi aber in all den anderen komplexen Fragen eine Schlüsselfigur für Lösungen. Er warnt vor der ägyptischen Presse erneut - und namentlich - Iran und Hisbollah davor, in den Konflikt einzugreifen. "Ägypten und Deutschland eint das Ziel, einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern", sagt er zu al-Sisi. "Ich hoffe, dass wir uns bald in Berlin oder in Kairo wieder begegnen."

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