Bundestag:Wie geht es weiter mit der Linken?

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Im Bundestag ist Sahra Wagenknecht seit gut vier Jahren allenfalls noch eine Hinterbänklerin. (Foto: Britta Pedersen/DPA)

Sahra Wagenknecht nimmt einige Abgeordnete mit in ihre neue Partei. Die Linksfraktion im Bundestag wollen die Abtrünnigen aber wohl erst einmal nicht verlassen. Das könnte kompliziert werden.

Von Boris Herrmann, Berlin

Wenn sich am Montag das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) der Öffentlichkeit vorstellt, dann wird die ranghöchste abtrünnige Linke nicht etwa die Frau sein, die den Vereinstitel so raumgreifend mit ihrem eigenen Namen füllt. Wagenknecht ist seit gut vier Jahren ja allenfalls noch eine Hinterbänklerin im Bundestag - und zwar noch nicht einmal eine besonders fleißige. Sie arbeitet schon längere Zeit in keinem Ausschuss mehr mit und nimmt eher selten an Fraktionssitzungen teil. In Fragen des parlamentarischen Alltagsgeschäfts ist Wagenknecht für die Fraktion also kein großer Verlust.

Ganz anders sieht es bei Amira Mohamed Ali aus. Sie ist die ranghöchste Linke, die der Partei den Rücken kehren will. Am Montag wird sie formell noch als Fraktionsvorsitzende neben Wagenknecht auf dem Podium sitzen, ihre Amtszeit endet offiziell erst am Mittwoch. Mohamed Ali gibt also noch als Chefin der Linksfraktion bekannt, weshalb sie sich nun um die Zerstörung dieser Fraktion kümmert. Die Parlamentshistoriker müssen wohl lange in den Archiven suchen, um einen ähnlichen Fall zu finden. Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken, Jan Korte, sagte der SZ: "Einen absurderen Vorgang haben ich noch nicht erlebt, weder privat noch politisch."

Eine große Überraschung ist es trotzdem nicht, dass sich Mohamed Ali jetzt an der Spaltung der Linken aktiv beteiligt. Sie hatte in ihren letzten Monaten als Fraktionschefin bereits innerlich mit der Partei abgeschlossen und wäre ohne die Unterstützung Wagenknechts 2019 auch niemals an diesen Job gekommen.

Die Tage der Linksfraktion im Bundestag sind gezählt

Ab Donnerstag wird also Dietmar Bartsch den Fraktionsvorsitz "bis auf Weiteres" alleine übernehmen. Im günstigsten Fall bedeutet das vermutlich: bis zum Jahresende. Denn es ist Bartsch wohl bewusst, dass die Tage der Linksfraktion im Bundestag gezählt sind und er vor allem die Rolle des Nachlassverwalters übernommen hat. Bei einer Mitarbeiterversammlung der Fraktion am Donnerstagabend soll er laut Teilnehmern gesagt haben, es gehe jetzt darum, den Laden in Würde zu beenden.

Zunächst einmal geht es aber um Mathematik: Die Linke hat derzeit noch 38 Bundestagsabgeordnete. Eine Fraktion muss laut Geschäftsordnung mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Parlaments stellen, das wären 36,8. Was bedeutet: Sobald die Linke zwei weitere Abgeordnete verliert, müsste sie als Fraktion "liquidiert" werden.

Am Montag werden aber bereits drei Austrittswillige auftreten. Neben Wagenknecht und Mohamed Ali ist auch der Abgeordnete Christian Leye dabei. Und mindestens ein halbes Dutzend weitere Noch-Fraktionsmitglieder dürfte sich dem BSW anschließen, darunter der frühere Linken-Chef Klaus Ernst sowie Sevim Dağdelen, Żaklin Nastić oder Alexander Ulrich. Das Ergebnis dieser Minusrechnung steht also schon fest. Es geht jetzt nur noch um den Zeitpunkt, zu dem die Linksfraktion stirbt.

Die "Liquidation" einer Fraktion ist arbeitsrechtlich hochkomplex

Da wird es aber schon wieder deutlich komplizierter, denn Wagenknecht und ihre Leute haben bereits angedeutet, dass sie die Fraktion nicht sofort verlassen wollen, jedenfalls nicht freiwillig. Die übrigen Abgeordneten hätten die Möglichkeit, die BSW-Gruppe mit Zweitdrittelmehrheit auszuschließen, aber das wäre auch der Beschluss über das Ende der Fraktion. Und es geht für beide Seiten jetzt auch darum, wer als Totengräber der Linken in die Geschichte eingeht. Zu Wagenknechts und Mohamed Alis Erzählung, wonach sie in der eigenen Partei gemobbt werden, würde es jedenfalls deutlich besser passen, wenn man sie rausschmisse.

Fest steht: Sobald das BSW nicht mehr nur als Verein existiert, sondern sich offiziell als Partei gründet, was im Januar 2024 geschehen soll, ist der Fraktionsstatus weg. Denn einer Fraktion können nicht Mitglieder zweier konkurrierender Parteien angehören. Was bis Januar geschieht, ist aber noch offen. Bartsch sagt, er werde alles dafür tun, "dass wir möglichst lange als Fraktion erhalten bleiben". Das klingt nicht danach, als würde er bei der nächsten regulären Fraktionssitzung am 7. November auf einen Rauswurf der BSWler drängen. Ihm geht es wohl auch darum, so lange wie möglich die Jobs der Fraktionsmitarbeiter zu erhalten. Aus der Parteizentrale, die mit der Fraktionsspitze chronisch zerstritten ist, hört man dagegen, dass ein Ende in Würde ein schnelles Ende wäre und man den Trennungsprozess nicht künstlich in die Länge ziehen dürfe.

Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan haben alle, die sich dem BSW anschließen wollen, dazu aufgerufen, ihre Bundestagsmandate zurückzugeben, damit Leute ins Parlament nachrücken können, die dort die Politik der Linken vertreten. Das wäre eine Möglichkeit, die Existenz der Fraktion zu retten. Darauf dürften Wagenknecht und ihre Leute aber garantiert nicht eingehen.

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Wenn die Fraktion liquidiert ist, könnten sich ihre Mandatsträger zu parlamentarischen Gruppen zusammenschließen, so wie die Grünen Anfang der Neunziger oder die Linken-Vorgängerin PDS zwischen 1990 und 1998. Altgediente Abgeordnete wie Gregor Gysi kennen das also schon. Auch eine Gruppe kann beispielsweise Gesetzentwürfe einbringen, sie erhält vom Bundestag aber weniger Geld als eine Fraktion, etwa um die Mitarbeiter zu bezahlen.

Solch eine Liquidation ist übrigens ein vor allem arbeitsrechtlich hochkomplexes Verfahren. Als 2002 die PDS aus dem Bundestag flog, dauerte es drei Jahre. Und bis die Auflösung der 2013 abgewählten FDP-Fraktion beendet war, saß die FDP ab 2017 bereits wieder im Bundestag. Ungefähr so stellen sich das linke Optimisten jetzt auch vor.

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