EU-Sanktionen:Ein Fluss russischer Gelder für die Ukraine? Eher ein Rinnsal

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Wenn's mehr nicht ist: Russlands Zentralbank, hier die Chefin Elwira Nabiullina, muss fürs Erste wohl nicht den Verlust der in der EU eingefrorenen Vermögen befürchten. (Foto: AP)

Die Europäische Kommission wollte eingefrorenes Vermögen der russischen Notenbank nach Kiew überweisen. Mehr als einen kleinen Schritt in diese Richtung aber geht sie nicht. Aus gutem Grund.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Es lockt, dieses Geld. Auf Konten in der Europäischen Union liegen etwa 200 Milliarden Euro Vermögen der russischen Zentralbank, eingefroren, sanktioniert seit dem Frühjahr vergangenen Jahres, direkt nach Russlands Überfall auf die Ukraine. Nach bald 22 Monaten Krieg ist dort einiges kaputt, die Wiederaufbaukosten steigen mit jedem Raketeneinschlag, und während die Staaten Europas gerade darum ringen, wie viel frisches Steuergeld sie nach Kiew überweisen wollen, hat Russland noch keinen Cent bezahlt.

Was, wenn man den Kreml einfach dazu zwingt, indem man die Mittel der Notenbank beschlagnahmt, sie investiert - oder zumindest mit einer Sondersteuer belegt, damit ein Teil von ihnen der Ukraine zugutekommt?

Erst einmal werden lediglich die Gewinne der eingefrorenen Gelder blockiert

Solche Ideen zirkulierten in der EU-Kommission schon eine Weile, als deren Präsidentin Ursula von der Leyen sie aufgriff. Sie tat das vor gut einem Jahr, als sie sagte, Russland und seine Oligarchen müssten die Ukraine entschädigen für die Zerstörung - und dafür habe man die Mittel. Ein paar Monate später kündigte sie einen Gesetzesvorschlag "noch vor der Sommerpause" an. Von dem Ansinnen, das Geld einfach zu konfiszieren, war da schon nichts mehr übrig. Auch, es zugunsten der Ukraine zu investieren, stieß auf zu große Bedenken im Rat der Mitgliedstaaten.

Wegen dieser Vorbehalte folgt auf die Ankündigungen jetzt ein nur ein erster kleiner Schritt. Am Dienstag stellte die Kommission den Mitgliedstaaten ihren Vorschlag für eine Verordnung vor, wonach die Halter der russischen Vermögenswerte künftig ihre mit diesem Geld erzielten Gewinne ebenso genau dokumentieren und einfrieren sollen. Was mit diesen Gewinnen später geschieht, ob überhaupt etwas damit geschieht, ist noch völlig unklar. "Es geht zunächst einfach darum, diese Nettogewinne zu blockieren", sagt ein beteiligter EU-Beamter, "und sicherzustellen, dass sie in Zukunft verwendet werden können."

Das entspricht dem mehrstufigen Ansatz, den Frankreich und Deutschland im Sommer im Rat befürwortet hatten. Insbesondere die Bundesregierung hatte Sorge vor einem Präzedenzfall, wenn man das arretierte russische Vermögen antastet. Ein solcher Schritt könnte das Prinzip der Staatensouveränität untergraben, so die Befürchtung, und andere Länder veranlassen, ebenso Vermögen von EU-Staaten zu beschlagnahmen. Speziell Deutschland fürchtet sich auch vor unbeglichenen Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Angst vor der Flucht aus dem Euro

Nicht zuletzt meldete die Europäische Zentralbank (EZB) Zweifel an: Sie sei der Ansicht, "dass die Verwendung von Zinserträgen aus stillgelegten Zentralbankguthaben die Inhaber von Währungsreserven ermutigen könnte, dem Euro den Rücken zu kehren", heißt es in einer internen Notiz aus der zuständigen Rats-Arbeitsgruppe. EU-Diplomaten, Minister sowie Staats- und Regierungschefs beantworteten Fragen nach der Angelegenheit sinngemäß stets damit, es müssten komplexe rechtliche Fragen geklärt werden, bevor man etwas unternimmt. Was wiederum die Frage aufwirft, was es ein Jahr nach von der Leyens Ankündigung und den vielen Sitzungen der Arbeitsgruppe noch zu klären gäbe.

Beim belgischen Konzern Euroclear ist der Klärungsbedarf überschaubar - man hält sich dort nach eigenen Angaben ohnehin schon an die neuen Vorgaben. Der Finanzdienstleister erlangte ungeahnte Prominenz, weil er auf fast den gesamten russischen Zentralbankgeldern innerhalb der EU sitzt.

Als sogenannter Zentralverwahrer ist Euroclear auf die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen und das Verwahren von Vermögenswerten spezialisiert, hält etwa große Wertpapierpakete im Auftrag von Banken. Vor gut zehn Jahren schuf Euroclear eine Anbindung an das russische System zur Wertpapierabwicklung und wurde so zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen Russlands Kapitalmarkt und den Finanzplätzen in London und New York.

Ein Konzern hat mit den russischen Geldern schon 1,7 Milliarden Euro verdient

Mit den eingefrorenen Russland-Geldern macht Euroclear nun seit dem Frühjahr 2022 Gewinne. Nach EU-Angaben sind mittlerweile etwa zwei Drittel der Mittel Bargeld, der Rest besteht hauptsächlich aus Anleihen und anderen Wertpapieren. Letzteres bringt Rendite ein, und für das Bargeld bekommt Euroclear Zinsen von der EZB, so wie jede Bank, die dort Geld parkt. Allein im ersten Halbjahr habe man 1,7 Milliarden Euro mit dem sanktionierten Vermögen verdient, meldete der Brüsseler Konzern im Sommer. Der Verwaltungsrat werde "weiterhin vorsichtig agieren und Gewinne im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen zurückhalten, bis die Situation klarer wird", schrieb Euroclear dazu.

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Über die Verordnung entscheidet jetzt der Ministerrat - wie bei allen Sanktionspaketen geht das nur einstimmig. Erst im Anschluss unterliegen Firmen wie Euroclear tatsächlich der Pflicht, ihre außerordentlichen Gewinne mit dem Russland-Vermögen zu separieren. Um wie viel Geld es gehen könnte, dazu hält sich die Kommission lieber zurück. Schließlich hat sie in der Sache schon einmal mehr versprochen, als sie nun hält.

Einzig die Gewinne in den Büchern von Euroclear geben eine ungefähre Ahnung davon, wie viel Geld am Ende Kiew zugutekommen könnte. Mehr als ein paar Milliarden werden es nicht sein, bei einem Investitionsbedarf, der allein wegen der Kriegsschäden Hunderte Milliarden Euro betragen dürfte. Immerhin hat Belgien den Anfang gemacht: Den Anteil an Gewinnsteuern von Euroclear, der auf die russischen Gelder entfällt, schickt der belgische Staat in die Ukraine. Ein dreistelliger Millionenbetrag kam so schon zusammen.

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