Getreideabkommen:Ein vorerst letztes Schiff aus Odessa

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War es das mit dem sicheren Export von Mais, anderem Getreide und Dünger aus der Ukraine? Was Russland für eine Verlängerung des Abkommens fordert - und wie es ohne weitergehen könnte.

Von Nicolas Freund, München

Es ist wieder so weit: An diesem Montag läuft das zwischen der Ukraine und Russland unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen (UN) ausgehandelte Getreideabkommen aus - und Moskau droht erneut damit, die Vereinbarung nicht weiter zu verlängern. Dieses Mal scheint die Drohung aus dem Kreml etwas ernster gemeint zu sein als in den vergangenen Monaten - und deshalb auch die Bereitschaft vor allem der UN, Putins Erpressungsversuchen doch entgegenzukommen. Am Sonntagvormittag verließ das vorerst letzte Schiff den Hafen von Odessa, wie ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

Das Ende Juli 2022 in Istanbul unterzeichnete Abkommen garantiert den sicheren Export von Dünger sowie Mais, anderem Getreide, weiteren Nahrungsmitteln und Sonnenblumenöl von Häfen im Süden der Ukraine über das Schwarze Meer. Die Frachtschiffe werden dabei von ukrainischen Lotsen durch einen 310 Seemeilen langen und drei Seemeilen breiten Korridor vorbei an den verminten Gebieten geführt. In Istanbul wird vor der Fahrt ins Schwarze Meer oder aus diesem heraus von Vertretern aller Vertragspartner eine Kontrolle der Schiffe durchgeführt, um sicherzustellen, dass sie keine Waffen transportieren. Warum diese Kontrollen mit teils sehr langen Wartezeiten auch bei der Fahrt aus dem Schwarzen Meer heraus durchgeführt werden, ist bis heute nicht ganz klar.

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Moskau hatte 2022 immer wieder mit einer Kündigung gedroht und das Abkommen dann doch in letzter Sekunde meist um vier, zuletzt nur noch um zwei Monate verlängert. Russland beharrt auf der Umsetzung eines Teils der Vereinbarung, die den möglichst freien Zugang auch von Nahrung und Dünger aus Russland zum Weltmarkt vorsieht. Dieser Zugang wird jedoch laut dem Kreml nach wie vor durch die vom Westen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine verhängten Sanktionen eingeschränkt. Tatsächlich sind die russischen Weizen-Exporte laut amerikanischen Schätzungen, die sich auch mit anderen Quellen decken, auf einem Rekordhoch von mindestens 45 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr.

Ziel war es, Hungersnöte in der Welt abzuwenden

Die Exporte der Ukraine sind dagegen deutlich zurückgegangen - von knapp 20 auf etwa 15 Millionen Tonnen pro Jahr. Zuletzt waren die monatlichen Exporte über das Schwarze Meer sogar noch einmal stark gesunken, von fast vier Millionen Tonnen im März und noch immer zwei Millionen im Juni auf nur noch gut 200 000 Tonnen im Juli. Der Grund dafür ist ein Rückgang der Inspektionen in Istanbul von durchschnittlich elf am Tag im Oktober 2022 auf nur noch 1,4 im Juli 2023. Schuld daran sollen Verzögerungen durch die russischen Inspekteure sein. Russland weist diese Vorwürfe allerdings zurück.

Das Ziel des Abkommens war es eigentlich auch nicht, die Exportbilanzen der beiden im Krieg befindlichen Länder zu retten, sondern vor allem, Hungersnöte in anderen Regionen der Welt abzuwenden. Russland und die Ukraine produzieren große Mengen an Getreide und Speiseöl, das anderswo dringend gebraucht wird. Vor allem in afrikanischen Ländern, aber auch in einigen asiatischen und südamerikanischen Staaten waren nach Beginn des Krieges in der Ukraine die Kosten für Lebensmittel stark gestiegen. Tatsächlich konnten durch das Abkommen die Preise für Mais um 26 Prozent, die für Weizen um 17 Prozent gesenkt werden. Das hat die Hungersnot in manchen Ländern nicht gelöst, aber zumindest gelindert.

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Am Freitag verkündete nun der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, er sei sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin grundsätzlich einig, dass der Getreide-Deal erneut verlängert werden sollte. Ob und für welchen Zeitraum das geschehen soll, ist aber nicht klar. Auch nicht, ob es für die Bereitschaft Moskaus zur Verlängerung Zugeständnisse gegeben hat. Vergangene Woche soll Putin von UN-Generalsekretär António Guterres angeboten worden sein, Finanztransaktionen für die Russische Landwirtschaftsbank zu vereinfachen. Konkret würde das wohl bedeuten, die Bank oder eine Unterorganisation wieder in das internationale Zahlungssystem Swift zu integrieren. Die UN wären damit also bereit, einen Teil der wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine gegen Russland verhängten Sanktionen aufzugeben, um das Getreideabkommen zu verlängern.

Theoretisch könnten die Exporte einfach fortgesetzt werden

Was passieren würde, wenn Moskau das Abkommen nicht verlängert, ist unklar. Genau genommen besteht die Vereinbarung aus zwei Abkommen, einem, das Russland, und einem anderen, das die Ukraine mit der Türkei und den Vereinten Nationen geschlossen hat. Es gibt also keinen direkten Vertrag zwischen Russland und der Ukraine. Egal, was Moskau beschließt, das Abkommen zwischen der Ukraine, der Türkei und den UN würde demnach bestehen bleiben.

Theoretisch könnten die Exporte also einfach fortgesetzt werden, wenn sich die Frachtschiffbetreiber auch ohne russische Garantien weiter in das Kriegsgebiet wagen und die Versicherer keine extrem hohen Summen für solche Fahrten verlangen. Ein Gerücht, dass die türkische Marine die Frachtschiffe eskortieren könnte, wurde bisher nicht offiziell bestätigt. Ein solches Szenario ist denkbar, aber wenig wahrscheinlich.

Ebenso unwahrscheinlich ist es allerdings auch, dass die russische Marine Angriffe auf Frachter wagen würde. Die meisten der Schiffe, die derzeit die Exporte über das Schwarze Meer durchführen, fahren nicht unter ukrainischer Flagge. Es ist deshalb kaum denkbar, dass Russland sie angreift. Auch die Gefahr durch Minen dürfte durch einen russischen Rücktritt von dem Abkommen nicht größer werden, als sie es ohnehin schon ist.

Zu Beginn des Krieges blockierten russische Kriegsschiffe die ukrainischen Häfen. Das wäre als Maßnahme Moskaus durchaus erneut denkbar. Ob die angeschlagene russische Schwarzmeerflotte zu einer solchen Blockade derzeit in der Lage wäre, ist allerdings alles andere als sicher.

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