Rente in europäischen Ländern:Lob für Den Haag, Tränen in Rom

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Italien hat eigentlich ein gut strukturiertes System mit der Rente ab 67 - wenn da nicht die vielen Ausnahmen wären. Seniorinnen in Assisi. (Foto: carfedeph/IMAGO/YAY Images)

In Europa stehen viele Staaten vor demselben Problem: Die Lebenserwartung steigt, das Geld in den Rentenkassen wird knapp. So geht man in Spanien, den Niederlanden und Italien damit um.

Von Marc Beise, Celine Chorus und Thomas Kirchner

Die Diskussion über die Zukunftsfähigkeit der Renten ist in Europa keine deutsche Spezialität. Das weiß man spätestens, seitdem Hunderttausende in Frankreich auf die Straße gehen aus Protest gegen die Rentenreform des Präsidenten. Wie sieht es in anderen Ländern aus? Drei Beispiele:

Spanien

In Spanien ist erst vergangenen Donnerstag eine Rentenreform durch das Parlament gegangen. Trotz Kritik aus der Opposition hat sie eine deutliche Mehrheit abgesegnet. Die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) will dadurch die Einnahmen der Rentenkasse langsam, aber stetig verbessern. Vorgesehen ist, dass die Rentenbeiträge allmählich steigen und dass Besserverdienende bereits von 2025 an einen höheren Beitrag zur Sozialversicherung leisten müssen. Gleichzeitig werden die staatlichen Zuschüsse und die niedrigeren Renten erhöht.

An der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2027, die schon vor mehr als zehn Jahren beschlossen wurde, ändert sich nichts. Mit der Reform will die Regierung sicherstellen, dass das Rentensystem finanziell tragfähig bleibt. In diesem Jahr muss der Staat zudem mit 2,9 Milliarden Euro aus Steuermitteln einspringen - und die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge gehen erst noch in den Ruhestand.

In Spanien fällt die Rentenversicherung unter die seguridad social, die allgemeine Sozialversicherung. Um Anspruch auf die gesetzliche Rente zu haben, müssen Erwerbstätige mindestens 15 Jahre in die Rentenkasse einzahlen. Der Beitragssatz liegt derzeit bei 28,9 Prozent des Einkommens, wovon 24,1 Prozent auf die Arbeitgeber und 4,8 Prozent auf die Arbeitnehmer entfallen. Selbstständige konnten die Beitragshöhe bislang selbst festlegen, seit 2023 wird sie anhand der erwarteten Einkünfte berechnet. Seit 2011 fallen auch alle Beamten, die neu in den öffentlichen Dienst eintreten, unter die allgemeine Sozialversicherung, sodass das bisherige Pensionssystem für Beamte langsam beendet wird.

Die Rentenreform war eine Forderung der Europäischen Union, als Voraussetzung, um weitere Hilfen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu überweisen. Sie ist zunächst als Dekret verabschiedet worden und soll in den kommenden Monaten auch als Gesetzentwurf debattiert werden, damit Änderungen möglich sind. Die konservative Partido Popular (PP) hat bereits angekündigt, das Rentensystem erneut reformieren zu wollen, wenn sie die Parlamentswahlen Ende des Jahres gewinnen sollte.

Niederlande

Rentensysteme sind schwierig zu vergleichen. Jedes Land hat andere Bedürfnisse, Traditionen, Finanzreserven. Trotzdem gibt es Ranglisten. Eine von ihnen kommt von der Beratungsfirma Mercer. Bei deren Vergleich der weltweiten Rentensysteme schneiden die Niederlande seit Jahren auffällig gut ab. 2022 kamen sie auf Rang zwei, hinter Island, vor Dänemark. Die untersuchten Kriterien sind Verteilungsgerechtigkeit, Zukunftssicherheit des Systems und Schutz der Einzahler. Auch die Weltbank lobt die niederländische Altersversorgung.

Sie basiert auf drei Säulen: einer Grundrente der gesetzlichen Rentenversicherung (AOW), betrieblichen Pensionsfonds sowie privater Vorsorge, etwa durch eine Renten- oder Lebensversicherung. Die Grundrente greift für alle Einwohner des Landes, abhängig von der Wohnsitzdauer in den Niederlanden. Sie wird im Umlageverfahren durch Arbeitnehmerbeiträge finanziert, ist aber unabhängig von der tatsächlichen Beitragseinzahlung. Arbeitslose und Arme werden beitragslos mitversichert; eine Bedürfnisprüfung gibt es nicht. Die Höhe des Beitrags richtet sich nach der Höhe des Einkommens, aber auch Großverdiener bekommen nicht mehr als die Grundrente von derzeit etwa 1350 Euro für Alleinstehende, sind also zwangssolidarisch. Die Arbeitgeber sind an der Finanzierung nicht beteiligt. Das Renteneintrittsalter wird 2024 bei 67 Jahren liegen und im Jahr 2067 voraussichtlich 71 Jahre erreichen.

Zur Grundrente kommen die Leistungen aus der zweiten Säule, den knapp 300 kapitalfundierten betrieblichen Pensionsfonds. Obwohl sie nicht obligatorisch sind, werden sie von etwa 90 Prozent der Arbeitnehmer bezogen. Sie gelten als eine Form des Lohns. Über die Höhe der Beiträge und Leistungen bestimmen deshalb Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in den Tarifverhandlungen. Nach der jüngsten Reform wird die Höhe der Zahlungen aus den Fonds künftig stärker der Wirtschaftsentwicklung angepasst.

Erste und zweite Säule zusammen sollen dazu führen, dass Pensionäre etwa 70 Prozent des letzten Einkommens zur Verfügung haben. Tatsächlich sind es in den Niederlanden 80 Prozent (in Deutschland 52 Prozent, Durchschnitt der OECD-Länder 63 Prozent). Die Altersarmut ist dadurch deutlich niedriger als etwa in Deutschland. Ein Problem bleibt die Genderlücke, die durch die hohe Teilzeitquote von Frauen entsteht.

Italien

In Italien trifft man eine Menge Menschen, die sich über den Aufruhr in Frankreich nur wundern. Das gilt für den Anlass - das gesetzliche Renteneintrittsalter in Italien liegt bei 67 Jahren -, ebenso wie für die Wut, die sich im Nachbarland so unvermittelt entlädt. Italiener erwarten, grob verallgemeinert, ohnehin nicht viel von ihren Politikern. Mit Blick auf das Rentensystem heißt das: Es besteht der Wunsch, möglichst rasch Beute zu machen, ehe wieder jemand am Gesetz rumfummelt.

Deshalb, aber auch wegen der privaten Lebensplanung, ist die Idee besonders populär, frühzeitig in Rente zu gehen. Das erklärt, warum in der Rentenpolitik die "Quotas" eine so große Rolle spielen: befristete Sonderregelungen für die Frührente. Für 2023 gilt Quota 103: Danach darf mit 62 in Rente gehen, wer 41 Beitragsjahre vorzuweisen hat (103 = 62 + 41). Bekannt ist Quota 100 aus der vorherigen Legislaturperiode der Links-rechts-Koalition. Dort hatte der damalige und heutige Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, die Formel durchgebracht: Rente mit 62 bei 38 Beitragsjahren. Der parteilose Regierungschef Mario Draghi hatte dann Quota 102 eingeführt (64 + 38); jede Maßnahme kostet oder bringt viele Milliarden Euro.

Eigentlich sind die großen Linien des Systems klar. Das Renteneintrittsalter von 67 Jahren, ein Trend zur Einheitskasse, zu der auch die Beamten gehören (allerdings bestehen weiterhin viele Sonderregeln), das Umlageverfahren. Es gibt aber zahlreiche Ausnahmen und ein großes Gefälle: von Renten, die zum Leben nicht reichen, bis zu denen, die Luxus ermöglichen. In Koalitionen mit mehreren Partnern weiß jede Partei, ihre Klientel zu bedienen.

Es ist kein Zufall, dass die letzte echte Strukturreform aus dem Jahr 2011 stammt, als ein Technokratenkabinett unter dem Wirtschaftsprofessor Mario Monti den Staatsbankrott verhindern musste. Damals wurden das Rentenalter angehoben und an die Lebenserwartung gekoppelt, die Rentenanpassung an die Inflation für zwei Jahre ausgesetzt und die Konditionen für Frühpensionierungen verschärft. Die zuständige Ministerin Elsa Fornero, eine Rentenexpertin, brach bei der Verkündung der Maßnahmen in Tränen aus; ein Teil der Maßnahmen wurde später vom Verfassungsgericht gekippt. Die "Fornero-Reform" gilt heute als "soziales Blutbad" und als Blaupause, wie man als Politiker garantiert das Vertrauen des Volkes verliert. Vielleicht deshalb hat die Regierung von Giorgia Meloni, obwohl sie aus drei politisch ähnlich - nämlich rechts - orientierten Partnern besteht, die versprochene Strukturreform bisher nicht vorgelegt.

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