Rechtsextremismus:"Wir müssen dem Hass etwas entgegensetzen"

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Das Kosmos-Festival rund um das Karl-Marx-Monument in Chemnitz setzte im Juli erneut ein Zeichen für eine friedliche, weltoffene Gesellschaft. (Foto: dpa)

Nach den Ausschreitungen in Chemnitz vor einem Jahr kämpfte die Initiative "Chemnitz ist weder grau noch braun" um den Ruf der Stadt. Ein Gespräch mit Initiatorin Katrin Hoffmann.

Interview von Thomas Balbierer

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod des 35-jährigen Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes wird am heutigen Donnerstag das Urteil gegen einen der beiden Tatverdächtigen erwartet. Bereits am Montag hatte die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Chemnitz eine zehnjährige Haftstrafe für den angeklagten Alaa S. gefordert. Der Syrer soll Daniel H. am 26. August 2018 gemeinsam mit einem Iraker erstochen haben. Nach dem Iraker wird noch immer gefahndet.

In Chemnitz löste die Tat Hass und Gewalt aus. Rechtsextreme Gruppen wie die selbsternannte "Bürgerbewegung Pro Chemnitz" riefen zu Anti-Asyl-Protesten auf. Am 27. August 2018 marschierten bei einer rechten Demo 6000 Teilnehmer durch Chemnitz, es kam zu rassistischen Angriffen und schweren Körperverletzungen. Mehrere Teilnehmer zeigten den Hitlergruß. Die Stadt fand tagelang keine Ruhe.

Als Reaktion auf die Ausschreitungen riefen Vertreter der Chemnitzer Wirtschaft die Initiative "Chemnitz ist weder grau noch braun" ins Leben, um der Welt ein tolerantes Gesicht der Stadt zu zeigen. Eine der Initiatorinnen ist Katrin Hoffmann, Geschäftsführerin des Industrievereins Sachsen, der 138 Unternehmen vertritt.

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Von Annette Ramelsberger

SZ: Frau Hoffmann, vor einem Jahr stürzten Neonazis, Hooligans und rechte Demonstranten Chemnitz ins Chaos. Wie erlebten Sie die Tage rund um den 26. August 2018?

Katrin Hoffmann: Ich bin am Vorabend der Tat noch auf dem Stadtfest gewesen und habe dort mit meiner Familie Spaß gehabt. Einen Tag später kommt diese Demonstration von Rechtsextremen, die offen den Hitlergruß zeigen konnten. Ich war fassungslos, dass es denen in so kurzer Zeit gelungen ist, sich zu formieren und so viele Gleichgesinnte anzuziehen. Noch fassungsloser hat mich aber gemacht, dass die Polizei dem Ganzen nichts entgegensetzen konnte.

Als Reaktion auf die Ereignisse gründete sich Ihre Initiative "Chemnitz ist weder grau noch braun". Sie schalteten bundesweite Anzeigen, auch in der SZ, und sammelten Spenden für demokratiefördernde Projekte. Was wollten Sie erreichen?

Nach den Ausschreitungen haben wir uns kurzfristig mit Vertretern der Chemnitzer Wirtschaft, Kreativwirtschaft und Industrie getroffen. Wir waren alle schockiert. Aber wir waren uns einig: Wir müssen dem Hass etwas entgegensetzen. Wir müssen zeigen, dass die Mehrheit in Chemnitz eben nicht rassistisch und gewalttätig ist, sondern dass wir für Toleranz und Weltoffenheit stehen. Wir haben in den Jahren zuvor schon immer gegen das Image einer "grauen" Stadt gekämpft, das Chemnitz lange hatte. Daher ist relativ schnell der Slogan entstanden, dass wir weder "grau" noch "braun" sein wollen. Wir haben viele Unterstützer gewonnen, 250 000 Euro Spenden eingesammelt, Anzeigen geschaltet und Banner in der Stadt aufgehängt. Wir wollten aber nicht nur Statements setzen, sondern auch etwas für die Gesellschaft tun und haben einen Wettbewerb ins Leben gerufen, um demokratie- und integrationsfördernde Projekte zu unterstützen. Wir haben die besten Ideen mit knapp 60 000 Euro belohnt.

Katrin Hoffmann ist Sprecherin der Initiative "Chemnitz ist weder grau noch braun" und Geschäftsführerin des Industrievereins Sachsen 1828. (Foto: Ines Escherich)

Ein Teil der von Ihnen gesammelten Spenden ging an die Familie des getöteten Daniel H. Wissen Sie, wie es der Familie heute geht?

Nein, aktuell nicht. Es war natürlich nicht leicht, an die Familie heranzukommen, da sie ihre Privatsphäre schützen möchte. Aber die Reaktion der Familie auf die Spende war sehr positiv, so viel kann ich sagen.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von dem heutigen Urteil?

Der Prozess interessiert uns alle. Wir müssen das Urteil aber abwarten und sollten es - egal wie es ausgeht - nicht anzweifeln. Ich hoffe, dass es nach der Entscheidung nicht wieder zu Spannungen kommt.

Ihre Initiative beklagt, dass aufgrund der guten Lebensbedingungen in Chemnitz eine "Komfortzone" entstanden sei. Haben die Chemnitzer den rechtsextremen Auswüchsen nur zugesehen?

Das würde ich so nicht sagen, da es rechtsextreme Ausschreitungen in dieser Dimension bis dahin ja nicht gab. Das Thema Rechtsextremismus spielte vor den Ereignissen im August in der öffentlichen Wahrnehmung in Chemnitz keine so große Rolle. Wirtschaft und Wirtschaftsverbände konzentrierten sich in den vergangenen Jahren eher auf ihre gute Entwicklung und versuchten zum Beispiel, neue Fachkräfte anzuwerben und internationale Beziehungen aufzubauen. Erst durch die gravierenden Ausschreitungen und die offen zur Schau gestellte Gewalt wurde der Wirtschaft klar, dass sie auf diesem Gebiet aktiv werden muss.

Die Bilder von randalierenden Rechten gingen um die Welt, Chemnitz dominierte tagelang die Schlagzeilen. Was hat das mit dem Ruf der Stadt gemacht?

Chemnitz ist die drittgrößte Stadt Ostdeutschlands. Bis zum vergangenen Jahr konnten viele in Westdeutschland jedoch nur wenig mit dem Namen anfangen. Nun ist Chemnitz in aller Munde, wenn es um Rechtsextremismus geht. Die Stadt wird im Moment immer noch vor allem mit den rassistischen Ausschreitungen verbunden.

Lässt sich der Ruf der Stadt überhaupt noch retten?

Dafür engagieren wir uns sehr. Es reicht aber nicht, zu sagen, wofür man steht und wofür nicht. Deshalb wollen wir uns den anstehenden Herausforderungen stellen. Wir wollen konkrete Projekte initiieren - zum Beispiel bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Das ist ein Bereich, in dem die Wirtschaft schon tätig ist. Wir arbeiten derzeit an einem Projekt, das bereits in unserem Wettbewerb ausgezeichnet wurde und auch für andere Städte wegweisend sein könnte. Außerdem unterstützen wir die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 finanziell und fördern Veranstaltungen wie das "Festival der Meinungsverschiedenheit", das am Samstag stattfindet. Aber es gibt ja nicht nur unsere Initiative. Seit dem vergangenen Jahr hat sich in Chemnitz, was das Engagement betrifft, viel getan. Das hat die Leute viel enger zusammengebracht.

Sie sprachen bereits die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt an. Auf der Bewerbungshomepage findet man einen interessanten Satz: "Noch immer sucht Chemnitz nach Identität und Selbstverständnis." Wie würden Sie die Identität der Stadt definieren?

Ich sehe Chemnitz als eine sehr innovative und zukunftsfähige Industriestadt in Europa. Unser Ziel ist, dass Chemnitz auch als weltoffene Gesellschaft wahrgenommen wird.

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