Rechtsextreme in der AfD:Beobachten und brandmarken

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Ein Anhänger der AfD sitzt während der Rede des Parteivorsitzenden Jörg Meuthen beim politischen Frühschoppen auf dem Volksfest Gillamoos auf einer Bank. (Foto: dpa)
  • Bremen und Niedersachsen lassen den AfD-Jugendverband überwachen.
  • Die Mehrheit der Deutschen ist außerdem dafür, die AfD vom Geheimdienst überwachen zu lassen.
  • Doch Verfassungsschützer warnen davor, mit Geheimdienst-Mitteln Politik zu machen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Die Verfassungsschutzgesetze von Bund und Ländern lassen in diesem Punkt keinen Zweifel: Es ist keine politisch freihändig zu entscheidende Frage, ob eine Partei wie die AfD vom Inlandsgeheimdienst ins Visier genommen werden darf. Auch wenn sich ein Innenminister in einem Bundesland dies wünscht. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, das heißt das Anzapfen von Telefonen, womöglich auch eine Unterwanderung mit sogenannten V-Leuten, also Spitzeln - das bedeutet einen schweren Eingriff in Grundrechte. Das muss an strenge gesetzliche Voraussetzungen gekoppelt sein. Verfassungsschützer dürfen nur "Bestrebungen" beobachten, so verlangt es das Gesetz, die "extremistisch" sind beziehungsweise "kämpferisch" gegen die hiesige Demokratie agitieren.

Aber die Entscheidung wird vor einem politischen Hintergrund getroffen, von Leuten mit politischem Gespür. Das hat sich an diesem Montag gezeigt. Zur Erinnerung: So unterschiedlich die AfD in den Bundesländern agiert (siehe nebenstehenden Artikel), so erstaunlich uniform war bisher die Haltung der Verfassungsschutzämter landauf, landab ihr gegenüber. Bislang wurde keine einzige Gliederung der AfD als "extremistisch" beobachtet. Nicht der Landesverband von Björn Höcke in Thüringen. Nicht der Landesverband, in dem bis vor Kurzem André Poggenburg den Ton angab, in Sachsen-Anhalt. Nun haben zwei Bundesländer im Westen diese Haltung erstmals aufgebrochen, beide gleichzeitig, beide sind SPD-regiert: Bremen und Niedersachsen.

Bremen und Niedersachsen
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Mitten in der Debatte um eine Beobachtung der AfD kündigen Bremen und Niedersachsen an, die Junge Alternative zu überwachen. Diese will nun die Landesverbände auflösen.

Wo fängt Extremismus an? Wann erlangen extremistische Grüppchen "steuernden Einfluss" auf eine größere Gruppe, sodass eine Beobachtung der ganzen Gruppe gerechtfertigt ist? Man ist da im Reich der dehnbaren Begriffe, und in Bremen und Niedersachsen, so wurde am Montag bekanntgegeben, wird vor diesem Hintergrund nun erstmals eine Gliederung der AfD vom Landesverfassungsschutz beobachtet. Es geht gegen die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA). In früheren Jahren waren nur Einzelpersonen beobachtet worden, etwa der damalige bayerische Landesvorsitzende Petr Bystron.

Aus dem Verbund der 17 Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern kam bisher stets Widerwille dagegen, die AfD in die Beobachtung aufzunehmen. Auch in diesen Tagen hört man das noch deutlich. In einem der Bundesländer, in denen die AfD bereits die politische Agenda mitbestimmt und dies nach dem Wahljahr 2019 vielleicht noch stärker tun könnte, seufzt ein Verfassungsschutz-Chef hinter verschlossenen Türen: Ihm sei unwohl dabei, wie von manchen Bundespolitikern nach dem Geheimdienst gerufen werde, um das politische Unheil der AfD wieder zu beseitigen. Eine "Instrumentalisierung" sei das.

Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat am Sonntag die Beobachtung der Gesamtpartei AfD gefordert. Der CDU-Bundesvize Thomas Strobl fordert das schon seit Jahren. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel auch, ohne dass es Folgen gehabt hätte. Manche Politiker wollten den Inlandsgeheimdienst offenbar zum "Schild und Schwert der Parteien" machen, klagt der Nachrichtendienstler: "Ich zweifle ehrlich gesagt, ob unsere Demokratie ein gutes Bild abgibt in solchen Momenten."

Eine "Beobachtung" durch den Verfassungsschutz, so gibt ein Verfassungsschutzchef in einem anderen Bundesland zu bedenken, würde im Fall der AfD gar nicht in erster Linie dem Sammeln von Informationen dienen. Dafür bräuchte man keinen Geheimdienst, die AfD agiere ja nicht klandestin. Sie genieße mit ihren Kapriolen eher zu viel Öffentlichkeit als zu wenig.

Bei dieser "Beobachtung" gehe es in Wahrheit um etwas anderes: um ein Brandmarken. Der Verfassungsschutz soll der AfD ein Etikett aufkleben - Achtung, wird vom Verfassungsschutz beobachtet! - und damit brave Bürger abschrecken, die die Partei sonst wählen könnten. Über diese Methode könne man geteilter Meinung sein, sagt der Verfassungsschützer. Die Methode habe bei der Linkspartei, der einstigen PDS, schon nicht funktioniert. Eher habe es die Entfremdung zwischen Wählermilieu und demokratischem System hier und da vertieft. Ob die Methode im Fall der rechtsextremen NPD je funktioniert hat? Das sei Ansichtssache: Einerseits hat die NPD durch ihr martialisches Auftreten schon selbst genug dafür getan, keine breiteren Wählerschichten zu binden. Andererseits war die Unterwanderung der NPD mit V-Leuten am Ende nicht hilfreich, sondern sogar hinderlich, um die Partei in Karlsruhe zu verbieten.

Ein dritter Landesverfassungsschutzpräsident warnt deshalb davor, dass demokratische Politiker ihre Hoffnungen derzeit in eine Placebo-Pille setzen. Was wäre, wenn die AfD demnächst im Verfassungsschutzbericht auftaucht - und dann zeigt sich, dass es ihren Wählern herzlich egal ist? "Es muss politische Mittel geben, denen das Wasser abzugraben. Nicht nachrichtendienstliche." Seit Montag ist es keine theoretische Frage mehr, wie die Anhänger der AfD reagieren werden: Man wird das jetzt bald am lebenden Objekt beobachten können. Und auch, ob nach Bremen und Niedersachsen noch weitere Bundesländer nachziehen bei dieser Strategie.

Als in diesem Frühjahr die Zeitung Die Welt schrieb, dass der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, intern eine schützende Hand über die AfD halte, weil er ihre nachrichtendienstliche Beobachtung besonders vehement ablehne, da ließ Maaßen lautstark dementieren. Mehr noch, er erwirkte eine gemeinsame Pressemitteilung aller 16 Landesämter für Verfassungsschutz mit ihm. Die Botschaft: Nein, was den Umgang mit der AfD angehe, seien sich bislang alle einig. Übrigens auch die Länder mit grüner oder linker Regierungsbeteiligung.

Andererseits wäre es nicht das erste Mal, dass einzelne Länder den Bund dann zu einer politischen Neubewertung bewegen. Bei den Hipster-Neonazis von der Identitären Bewegung, die ihren Rassismus schick in Soziologendeutsch kleiden, war es so. Sie wurden in manchen Ländern schon vom Verfassungsschutz beobachtet, als dies für Maaßen im Bund noch kein Thema war. Bei den sogenannten Reichsbürgern lief es ähnlich.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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