Höhere Strafe gegen IS-Rückkehrerin:Das spricht gegen Jennifer W.

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Die Angeklagte Jennifer W. 2019 beim Betreten des Gerichtssaals in München. Rechts steht ihr Anwalt Ali Aydin. (Foto: Peter Kneffel/DPA)

Warum das Oberlandesgericht München die Haftstrafe der IS-Rückkehrerin von zehn Jahren auf 14 Jahre verlängerte.

Von Annette Ramelsberger

Die Frau hat dabei zugesehen, wie ihr Mann, ein IS-Kämpfer, ein kleines Jesiden-Mädchen bei sengender Hitze im Irak verdursten ließ. Für ihre Untätigkeit ist die Frau bereits verurteilt worden: Das Oberlandesgericht München verhängte 2021 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Mord durch Unterlassen eine zehnjährige Haftstrafe über sie. Doch der Bundesgerichtshof hob den Schuldspruch im Frühjahr auf. Das oberste deutsche Strafgericht konnte das tatenlose Zusehen von Jennifer W. am Leiden und Sterben des Kindes nicht als "minderschweren Fall" sehen wie die Münchner Richter.

Also musste das Oberlandesgericht München erneut über die Schuld der Angeklagten Jennifer W. verhandeln. Am Dienstag hat die Vorsitzende Richterin des 9. Strafsenats, Dagmar Illini, nun das Urteil verkündet: Jennifer W. muss weitere vier Jahre in Haft, insgesamt also 14 Jahre. Damit blieb das Gericht nur knapp unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die 14 Jahre und sechs Monate beantragt hatte. Jennifer W. wirkte getroffen, der Begründung folgte sie mit geschlossenen Augen. Ihr gegenüber saß Nora T. B., die Mutter des getöteten Mädchens, verhüllt mit einem Schal.

Mutter und Kind wurden von dem IS-Mann geschlagen, Jennifer W. tat nichts

Jennifer W. war Anfang 20 zum Islam konvertiert, nur noch tief verschleiert durch ihren Heimatort Lohne im Münsterland gelaufen und dann zum IS aufgebrochen. Dort heiratete sie einen IS-Kämpfer, mit dem sie im irakischen Falludscha lebte - gemeinsam mit einer Jesidin und deren kleiner Tochter, die als Haussklavinnen arbeiten mussten. Mutter und Kind wurden von dem IS-Mann geschlagen und schikaniert, Jennifer W. tat nichts dagegen. Und als der Mann das Kind zur Bestrafung dafür, dass es ins Bett gemacht hatte, ans Fenster kettete, im Hof bei mehr als 45 Grad Celsius im Schatten, tat die Frau wieder: nichts. Angeblich hatte sie Angst, dass ihr Mann sie "schubsen" könnte, wenn sie dem Kind hilft. Das Mädchen starb.

Im ersten Prozess hatte Jennifer W. noch vieles abgestritten: Dass sie der trauernden Mutter eine Pistole an den Kopf gehalten hatte, damit die aufhöre zu weinen. Sie ließ auch offen, ob das Kind überhaupt tot sei und nicht nur im Krankenhaus verschleppt, wohin es nach der Tat gebracht worden war. Nun gab Jennifer W. zu: Das mit der Pistole stimme, sie sei "emotional ausgetickt", und ihr Mann habe bestätigt, dass das Kind tot sei.

Richterin Illini erklärte, es wiege zugunsten der Angeklagten, dass sie nun geständig sei und der Mutter des kleinen Mädchens Klarheit über den Tod des Kindes verschafft habe. Im ersten Prozess hatte ihre Verteidigung noch behauptet, das Kind lebe noch, und damit Unsicherheit und Zweifel gesät. "Sie hat begonnen, sich mit der Tat und den Folgen auseinanderzusetzen und bedauert sie", sagte Illini.

"Es wird mir mein Kind nicht zurückbringen", sagt die Mutter

Gegen Jennifer W. spreche, wie menschenverachtend sie mit der versklavten Mutter und dem Kind umgegangen sei. Jennifer W. und ihr Mann hatten die beiden genötigt, islamische Gebetsriten einzuhalten, sie zwangen dem Kind einen falschen islamischen Namen auf und auch die Misshandlungen des Mannes seien zum Teil auf Initiative von Jennifer W. erfolgt. Sie hatte sich immer wieder über das unruhige Kind beschwert. All das sei menschenverachtend gewesen und habe sich gegen die Religion der Jesiden gerichtet.

Gegen Jennifer W. spreche auch, dass die Mutter bis heute an der Tat leide. Sie habe eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Behandlung sei noch gar nicht möglich. "Sie hat keine stabile Lebensperspektive", sagte Illini. Nach dem Urteil sagte die Mutter ihrer Anwältin, sie freue sich über das Urteil. "Es wird mir mein Kind nicht zurückbringen, aber die Angeklagte wird keine Ruhe finden."

Jennifer W. hatte am ersten Verhandlungstag ihren Anwalt erklären lassen, dass sie sich vom IS distanziere, sie sagte: "Ich wurde zu Recht verurteilt." In ihrem letzten Wort hatte sie geweint und erklärt, was sie denn hätte tun sollen, allein in Falludscha, mit ihrem Mann. Im Prozess wurde aber auch bekannt, dass sie in der Haft versuchte, heimlich Briefe zu einer anderen ehemaligen IS-Frau zu schmuggeln, in denen sie bat: "Bitte, sag nichts gegen mich" und sie vor der "List der Kuffar" warnte, ein abfälliges Wort für "Ungläubige".

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Bundesanwalt Jochen Weingarten hatte erklärt, die Angeklagte habe dem Kind nicht geholfen, obwohl ihr das zuzumuten gewesen wäre. Er warf Jennifer W. "egoistische Bequemlichkeit" vor. Die hatte erklärt, ihr sei es nicht um die Versklavung der Jesidinnen gegangen, sie habe nur die Hausarbeit nicht machen wollen. Die Bundesanwaltschaft dagegen sieht die Versklavung von Mutter und Kind eingebettet in den vom IS verübten Völkermord an den Jesiden.

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