Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.
Edward Snowden sitzt nun seit bald sieben Jahren im Asyl in Moskau, ausgerechnet in Moskau. Es ist eine anhaltende Schande, dass ihm keine der westlichen Demokratien diesen Schutz vor US-Verfolgung angeboten hat, auch Deutschland nicht. Snowden war, Snowden ist ein Aufklärer. Er hat, das ist sein großes Verdienst, den Blick in eine von Geheimdiensten erfasste und überwachte Internetwelt geöffnet. Er berichtete von radikalen und globalen Überwachungstechniken zumal der US-Geheimdienste, die auf die Internetanbieter und auf die sozialen Medien umfassend zugreifen. Man kann das als digitale Inquisition bezeichnen.
Diese digitale Inquisition tut nicht körperlich weh, sie ist einfach da, sie macht die Kommunikation unfrei. Die freie Kommunikation ist aber, so sagt es das Bundesverfassungsgericht seit jeher, eine "elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen Staatswesens". Die Richter warnen vor einer Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß". Diese Warnung war noch nie so wahr und berechtigt wie heute. Der US-Geheimdienst hat sogar das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört; als der US-Präsident zugesichert hat, dass das künftig unterbleibe, war die Bundesregierung schon wieder zufrieden.
Für diese zufriedene Untätigkeit der deutschen Regierung gibt es eine verstörende Erklärung: Nicht nur der US-Geheimdienst betreibt diese exzessive Abhörerei. Auch der BND, der deutsche Auslandsgeheimdienst, betreibt sie. Der BND greift im Ausland bei seiner Kommunikationsspionage Daten so ungeniert ab, wie es der US-Geheimdienst in Deutschland tut. Das führt zum Ringtausch von Daten: Der BND lässt sich Daten, die er in Deutschland nicht erheben darf, von den Amerikanern geben, die diese deutschen Daten abgegriffen haben; der BND gibt dafür seine Erkenntnisse weiter, die er unkontrolliert im Ausland gewonnen hat. Miteinander verspeist man die Früchte des jeweils unrechtmäßigen Tuns. Mit Snowden kam es an den Tag.
Das Schwarze Loch
Deshalb, so haben es die höchsten deutschen Richter soeben in einem spektakulären Urteil angeordnet, muss der deutsche Geheimdienst sehr viel intensiver und besser kontrolliert werden als bisher. Die Notstandsverfassung von 1968 hatte dazu geführt, dass bei Grundrechtseingriffen durch Geheimdienste sogenannte parlamentarische Kontrollgremien an die Stelle der Gerichte treten. Diese Kontrollgremien sind: das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) und die sogenannte G-10-Kommission (benannt nach dem Grundgesetzartikel, der die Kommunikationsfreiheit schützt).
Das Parlamentarische Kontrollgremium hat neun Mitglieder, die G-10-Kommission hat vier Mitglieder. 13 Parlamentarier insgesamt - in Worten dreizehn! - sollen also die Arbeit von mehr als zehntausend deutschen Geheimdienstlern kontrollieren; sie sollen gewährleisten, dass die Eingriffe der Geheimdienste in Grundrechte rechtsverträglich sind. Das war und ist lächerlich, selbst wenn diese Abgeordneten rund um die Uhr arbeiten würden und sonst nichts mehr täten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte dieses Schwarze Loch bislang nicht ausgeleuchtet. Jetzt endlich. Geheimdienste, so das Karlsruher Urteil in pointierter Kurzfassung, sind unheimlich, wenn sie nicht demokratisch kontrolliert werden. Ohne gute Kontrolle sind und bleiben Geheimdienste Fremdkörper in einer Demokratie. Erst gute Kontrolle macht die Geheimdienste demokratieverträglich. Karlsruhe fordert also von der Politik, für eine solche Kontrolle zu sorgen.
Das war überfällig; die Skandale, die Snowden aufgedeckt hat, haben dieses Urteil erzwungen. Das Urteil ist also Snowdens Verdienst. Der Mann im Asyl in Moskau müsste deshalb eigentlich - gäbe es denn so etwas - zum Karlsruher Ehrensenator ernannt werden, zum Ehrensenator des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, der dieses Urteil erlassen hat. Zumindest könnte man dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Geheimdienstkontrollgesetz seinen Namen geben: "Edward-Snowden-Gesetz".