Große Koalition:Schulz kann noch alles verderben

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Die Sozialdemokraten haben gut verhandelt. Doch dass der Parteichef jetzt nicht abtritt, sondern sich im Auswärtigen Amt rehabilitieren möchte, bringt die SPD in allerhöchste Gefahr.

Kommentar von Detlef Esslinger

Verrückt, dieser Start der möglichen Koalition. Verrückt ist zwar nichts von dem, was im Koalitionsvertrag steht, der ist ein solides Werk mit dem üblichen Mix, in dem jeder etwas zu kritisieren und zu loben finden wird. Verrückt ist, was sich die SPD am Mittwoch geleistet hat: Sie ergibt sich dem Wunsch ihres gescheiterten Vorsitzenden, der nicht salutieren und abtreten mag, sondern stattdessen das beste und bekannteste Sanatorium des Landes beziehen will, das Auswärtige Amt. Und um dies möglich zu machen, beendet die Partei die Karriere des Mannes, der in den vergangenen zwölf Monaten zu ihrem populärsten Politiker aufgestiegen ist (in ebendiesem Sanatorium).

Sigmar Gabriel wird voraussichtlich ausgerechnet in dem Moment zum Aufhören gezwungen, da er im Begriff war, den Nutzen der SPD zu mehren. Vor einem Jahr fiel irgendwem die Wortschöpfung "Schulz-Effekt" ein. Man hätte nicht gedacht, worin der letztlich bestehen würde: dass nun nach 128 Jahren zum ersten Mal eine Frau den Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands übernimmt. Aber Andrea Nahles, die nächste Verheißung in diesem fast jeden zermürbenden Amt, ist vorerst nicht das Thema.

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Der SPD-Chef hat in den vergangenen Monaten an Glaubwürdigkeit verloren. Nun will er den Parteivorsitz abgeben und in die Regierung wechseln. Auf sicherem Posten ist er damit aber nicht.

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Schulz will bei den Menschen einen positiven Eindruck hinterlassen

Menschlich mag das Agieren von Schulz verständlich sein. In der Regel ist der jeweils letzte Eindruck, den die Leute von einem gewinnen, derjenige, der bleibt. Und Martin Schulz spürt, dass sie sich nicht erinnern würden an den langjährigen Präsidenten des Europäischen Parlaments, der dort jedem Autokraten und Populisten die Stirn bot; an den Mann, dem in jungen Jahren sein Leben zu entgleiten drohte und dem sodann eine bewundernswerte Laufbahn gelang. 2012 nahm er für die EU den Friedensnobelpreis entgegen. Erinnern würden sich die Leute an den Politiker, für den der SPD-Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur mindestens eine Nummer zu groß waren, der erst überschätzt und dann entzaubert wurde, in einer Geschwindigkeit, wie es nur selten einem Politiker widerfährt. Also will der Mann, der gesagt hat, nie werde er als Minister in ein Kabinett Merkel gehen, nun ein Kabinett Merkel für seine persönliche Heilung nutzen. Viel verrückter geht es kaum.

Jeder Berufspolitiker braucht eine Mindestausstattung an Eitelkeit. Ein Maximum an Egozentrik hingegen kann verhängnisvoll sein. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat am Mittwoch die Chance erkannt, die Schulz' Egozentrik für seinen Kampf gegen eine neue Groko bedeutet. In gut inszenierter Empörung twitterte er, seine Kampagne sei auch "die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird". Ob Schulz überhaupt ahnt, dass sein Drang ins Auswärtige Amt sämtliche SPD-Errungenschaften aus den Koalitionsverhandlungen noch gegenstandslos machen kann?

Die neue Koalition ist ein Rettungsschirm für die SPD

Die Unterhändler der Partei haben das ja gut hinbekommen. Der Vertrag trägt bei etlichen Themen jene Handschrift der SPD, die Schulz reklamiert. Wie schon 2013, so besteht auch diesmal das Angebot in einer Art sozialdemokratischer Bundesregierung unter Führung einer christdemokratischen Kanzlerin. Und weil Profis wissen, dass Begriffe wie sachgrundlose Befristung oder Beitragsparität viel zu sperrig sind, um Parteimitgliedern ein Gefühl für all das Erreichte zu vermitteln, weil deshalb auch in den SPD-Versammlungen vor dem Mitgliederentscheid kaum die 179 Seiten des Koalitionsvertrags durchgenommen werden - deshalb haben sie am Dienstag vor allem diese Botschaft geliefert: welche Ministerien an die Partei gehen. Außen, Finanzen, Arbeit und Soziales, Justiz, Familie, Umwelt; dass dies eine mehr als ordentliche Ausbeute bedeutet, das kapiert jeder Genosse, der zwar kein Arbeitsmarktexperte ist, wohl aber ein Bauchgefühl hat.

Die große Frage ist, wie viele Skeptiker in der SPD derlei befriedet - und wie viele sich einreden wollen, diese neue Koalition sei nur der Rettungsschirm für einen 62-Jährigen, der sie bei der Bundestagswahl ins größte Desaster der Nachkriegszeit gelotst hat. Natürlich ist solch eine These Quatsch. Wenn überhaupt, dann ist diese neue Koalition ein Rettungsschirm für die SPD, die bei andernfalls wahrscheinlichen Neuwahlen ohne jede Machtperspektive antreten müsste; viel Vergnügen dabei. Aber Martin Schulz bildet sich offenbar ein, diesen irrationalen Teil der parteiinternen Diskussion beherrschen zu können. Von der Kunst des Abgangs versteht er so gar nichts. Und indem seine Kollegen in der Führung ihn gewähren lassen, bringen sie ihre SPD gemeinsam in allerhöchste Gefahr. Wenn dies am Ende der Schulz-Effekt sein wird, dürfte von ihm noch ein ganz anderer Eindruck in Erinnerung bleiben als bisher.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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