Polen:Rücktritt mit Sprengstoff

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Die beiden Generäle Rajmund Andrzejczak (re.) und Tomasz Piotrowski (nicht im Bild) sind am Dienstag zurückgetreten - überraschend auch für Polens Regierung und Präsidenten. (Foto: Johan Nilsson/AP)

Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Polen quittieren überraschend zwei Generäle den Dienst. Aus politischen Gründen?

Von Viktoria Großmann, Warschau

"Eine sichere Zukunft für das polnische Volk", so lautet der Wahlkampfslogan der rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS. Sicherheit, Militär, Aufrüstung - das sind wichtige Themen der PiS, mit denen sie auch bei der Parlamentswahl am Sonntag punkten will. Nun sind am Dienstag zwei hochrangige Generäle der polnischen Armee zurückgetreten. Die Opposition sowie verschiedene frühere Angehörige der Armee sahen darin ein klares Signal der Unzufriedenheit mit Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak. Regierung und Präsident wurden offenbar von den Rücktritten überrascht, für Dienstagvormittag war eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates angesetzt gewesen, die zunächst verschoben wurde.

Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita, die zuerst über die Rücktritte berichtet hatte, bezeichnete den Vorgang als "Erdbeben". So etwas sei noch nie vorgekommen, noch dazu kurz vor einer Wahl und kurz vor dem Ende der Dienstzeit beider Generäle. Weder Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak noch Präsident Andrzej Duda äußerten sich offiziell zu den Rücktritten, sie nahmen nur ausführlich zur Ernennung der beiden Nachfolger Stellung. Es handelt sich um den Posten des Chefs des Generalstabs sowie den des operativen Kommandeurs der Streitkräfte.

Auch die beiden Generäle Rajmund Andrzejczak und Tomasz Piotrowski erklärten ihre Rücktritte öffentlich nicht. Ihnen folgen Wiesław Kukuła und Maciej Klisz nach. Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza bezeichnet Kukuła als Lieblingsgeneral der PiS und Klisz als seinen engen Vertrauten.

Die Neutralität des Militärs sei in Gefahr, warnt Oppositionsführer Tusk

Oppositionsführer Donald Tusk rief am Nachmittag die Streitkräfte auf, "einen kühlen Kopf" zu bewahren und appellierte an ihr Verantwortungsbewusstsein. Polen brauche "Stabilität und Sicherheit". Die Streitkräfte seien gesetzlich zu Neutralität und parteipolitischer Unabhängigkeit verpflichtet, sagte Tusk. Diese Neutralität sei unter der PiS in Gefahr, werde aber nach der Wahl am 15. Oktober wieder gelten - wenn er, Tusk, die Wahl gewonnen habe.

Der frühere Generalkommandeur der polnischen Streitkräfte, Mirosław Różański, der nun für die Opposition für den Senat kandidiert, schrieb auf dem Nachrichtendienst X, der Rücktritt der beiden Generäle sei die Folge von "acht Jahren destruktiver Arbeit" im Verteidigungsministerium. Die PiS ist seit acht Jahren in der Regierung, Różański war kurz nach deren Amtsantritt in den Ruhestand gegangen.

Scharf kritisiert Różański in seinen Posts die Politisierung der Streitkräfte, ihren Einsatz im Wahlkampf, den rein politisch getragenen Umbau und Ausbau der Armee, bei dem auf die Erfahrung der Generäle nicht gehört würde. Statt ordentlich ausgebildet zu werden, müssten die Soldaten und Soldatinnen auf Parteiveranstaltungen, Paraden und kirchlichen Veranstaltungen auftreten.

Zuletzt brachte eine russische Rakete den Verteidigungsminister in Bedrängnis

Im Sommer war die PiS mit sogenannten Familienpicknicks auf Wahlkampftour gewesen. Dazu gehörten nicht nur Grillwürstchen und Hüpfburgen, sondern auch Schauübungen vermummter Streitkräfte, die simulierten, bewaffnete Eindringlinge abzuwehren. Unter der PiS erlebt auch der 15. August als Tag des Militärs mit entsprechenden Paraden und Umzügen eine Renaissance.

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Verteidigungsminister Błaszczak war im Frühjahr in Bedrängnis geraten, weil er nicht erklären konnte, warum und wann genau eine fehlgeleitete russische Rakete in einem Wald bei Bydgoszcz niedergegangen war. Eine Reiterin hatte die Rakete im Frühjahr zufällig gefunden, sie lag dort wohl seit Dezember. Błaszczak hatte schließlich die Schuld auf den nun zurückgetretenen General Tomasz Piotrowski geschoben, der ihn über die Vorgänge nicht ordentlich informiert habe.

Die PiS-Regierung hat angekündigt, bis zu vier Prozent des Bruttoinlandproduktes jährlich in die Armee zu investieren und die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 300 000 anzuheben, also beinahe zu verdoppeln. Zudem schafft die Regierung neue Panzer an, vor allem aus den USA und Südkorea.

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