Der Kaffee, den Michele Marsching anbieten kann, ist nicht so gut wie sonst; "sorry", sagt der Vorsitzende der Piratenfraktion im Düsseldorfer Landtag. Die Kaffeemaschine wird gerade gereinigt und gewartet. Ja, genau die Kaffeemaschine, mit deren Beschaffung und Funktionsweise sich die Abgeordneten einst sogar in offiziellen Fraktionssitzungen so ausführlich auseinandersetzten, dass sie schon als Symbol dafür herhalten musste, was die Piraten vor allem beschäftigt: sie sich selber.
Das ist im Falle der NRW-Piraten zwar gewaltig übertrieben. Marsching kramt das "Logbuch" hervor, in dem seine Fraktion - der Vorsitzende vorneweg abgebildet im Outfit der TV-Serie "Star Trek" - eine Leistungsbilanz mit durchaus eindrücklichen Zahlen zieht: 904 kleine Anfragen, 255 eigene Anträge, 1700 Videos auf Youtube, mehr als 11 500 Kurzbeiträge auf Twitter.
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Fleißig waren die zunächst 20, nach Austritten mittlerweile nur noch 17 Abgeordneten in den vergangenen fünf Jahren. Nur: "Über unsere fachliche Arbeit wird gar nicht berichtet", klagt Marsching. Trotzdem gibt sich der Spitzenkandidat der NRW-Piraten tapfer davon überzeugt, " dass wir noch alle Chancen haben, wieder in den Landtag zu kommen". Doch alle Indizien sprechen dafür, dass die Kaffeemaschine bald nicht mehr im Dienste der Piratenfraktion Espresso aufbrühen wird.
Das Ende einer kurzen Ära?
In Umfragen rangieren die Aufsteiger von einst zwischen aufgerundeten zwei Prozent und nicht mehr wahrnehmbar. In Schleswig-Holstein sieht es kaum besser aus. Der Kieler Oberpirat Patrick Breyer zieht zwar noch demonstrative Zuversicht aus der Tatsache, dass sich 40 Prozent der Wähler erst kurz vor dem Gang in die Wahlkabine entscheiden: "Es ist alles noch völlig offen."
Aber deutlich wahrscheinlicher ist, dass den Piraten an diesem Sonntag in Kiel und eine Woche später in Düsseldorf zustößt, was ihnen schon in Berlin und im Saarland passierte - der Rauswurf aus den Landesparlamenten.
Es wäre das Ende einer ziemlich kurzen Ära. Als die Piraten im Mai 2012 mit 7,8 Prozent der Stimmen in den Landtag des größten deutschen Bundeslandes einzogen, schien ihr weiterer Aufstieg unaufhaltbar zu sein. Binnen weniger Monate hatten die meist jungen, meist männlichen und computeraffinen Politneulinge vier Landesparlamente erstürmt.
Sie versprachen nichts weniger als eine neue, frische Art, Politik zu machen. Mithilfe der technischen Möglichkeiten des Internets wollten sie weg von den überkommenen Politritualen der anderen Parteien, hin zu einer offenen, direkten und, wie sie es nannten: "flüssigen" Form der Demokratie, die jeder durchblicken und in der jeder mitmachen, mitreden und mitentscheiden kann. Und das war wohl auch ihr Trumpf in Zeiten wachsender Verdrossenheit an hergebrachter Politik: anders zu sein als die anderen.
In weniger als einem Jahr hatte sich ihre Mitgliederzahl der jungen Partei verdreifacht. Das brachte Probleme mit sich: Jeder erwartete viel und fast jeder etwas anderes von den programmatischen Inhalten, die sich die Piraten erst noch geben mussten. Und jeder durfte mitreden, mit konstruktiven und, wie in unzähligen Twitterschlachten belegt, weniger konstruktiven Beiträgen.
Das war zu viel für eine Partei, die noch keine festen Strukturen hatte - und aus ihrem Selbstverständnis heraus auch gar keine haben wollte. "Man hat es nie verstanden, vernünftige Hierarchien und Verantwortlichkeiten herzustellen", sagt Martin Delius, der für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus saß.
Auf den Parteitagen sah das meist so aus, dass die Mitglieder stundenlang bloß um Tagesordnung und Geschäftsordnung rangen. Was eine Mehrheit beschloss, wurde anschließend von lautstarken Minderheiten wieder zerredet. Dabei gab es jenseits des gemeinsamen Eintretens für Transparenz und Bürgerrechte lange nicht einmal Konsens über den grundsätzlichen Kurs, den die Piraten steuern sollten - mittig in sozialliberale Richtung oder deutlich links davon? Dazu kam: Alle Konflikte wurden öffentlich und gerade in den sozialen Medien in äußerster Schärfe ausgetragen. Und das prägte das Bild der Partei: "Viele Piraten fühlen sich als Zwei-Prozent-Mecker-Partei wohl", sagt Delius.
Zu Dutzenden verschliss und verbrannte die Partei ihre Talente
Tatsächlich hielten nur wenige Vorstände lange durch in ihrem Amt, das ihnen viel unbezahlte Arbeit, wenig Mitsprache, dafür oft wüste Beschimpfungen aus den eigenen Reihen einbrachte. Zu Dutzenden verbrannten die Piraten ihre politischen Talente.
Nachdem sie im Herbst 2013 den Einzug in den Bundestag klar verfehlt hatten, ließ sich der Zerfall nicht mehr aufhalten. Die Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zerlegte sich selber - und hatte auch das tragischste Ereignis der kurzen Parteigeschichte zu verkraften: Einer der Abgeordneten wurde zum Mörder und brachte sich anschließend selber um.
Viele ihrer bekanntesten Gesichter haben die Piraten durch Austritt verloren. Die Ex-Geschäftsführerinnen Marina Weisband und Katharina Nocun sind nicht mehr dabei. Die ehemaligen Bundesvorsitzenden Bernd Schlömer und Sebastian Nerz schlossen sich der FDP an, Schlömer sitzt nun für die Liberalen im Berliner Stadtparlament. Der streitbare Christopher Lauer wechselte zur SPD, Martin Delius ging ebenso zur Linken wie die Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg.
In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bestehen sie darauf, anders zu sein als das Chaotentruppen-Image, das den Piraten anhaftet: "Wir haben ein professionelles Auftreten gelernt", sagt Marsching. Gut, das sieht immer noch etwas anders aus als bei anderen Parteien: Manchmal stimmen im Landtag zehn Piraten für einen Antrag und sieben dagegen- und ihr Chef ist stolz darauf. "Im letzten Plenum haben wir sogar gegen den eigenen Antrag gestimmt", berichtet er, "denn wir sind immer bereit, dazuzulernen."
Und die Bilanz? Patrick Breyer aus Kiel zeigt sich "überrascht, wie viel man da als Opposition erreichen kann". Er nennt die Offenlegung von Managergehältern in öffentlichen Unternehmen, niedrigere Hürden für Bürgerentscheide - in Schleswig-Holstein fanden auch Initiativen der Piraten ihre Mehrheiten.
Anders als in Düsseldorf: Es sei "unglaublich erdrückend, als Opposition nichts, aber auch gar nichts bewirken zu können", sagt Michele Marsching, "es wird alles niedergebügelt." Trotzdem: Weitermachen will er. Über sein Leben nach der Politik, behauptet er, "mach' ich mir vor dem Wahltag keine Gedanken".