Werden die Ampel-Sondierer an diesem Freitag beschließen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen? Der Bund eine Wohnungsbaugesellschaft gründen? Nominiert die FDP ausreichend Frauen, um das Kabinett paritätisch besetzen zu können? Die Fragen prasseln ein auf Olaf Scholz, der lässig in Freizeitklamotten an einer ledernen Sitzlehne lehnt, die Fragerei genießt und ein Repertoire aus drei möglichen Antworten anbietet: schweigen, grinsen, Augenbrauen heben.
Es ist drei Uhr nachts am Donnerstag, das Regierungsflugzeug auf dem Weg von Washington D.C. heim nach Berlin. Scholz ist noch einmal hinter zu den Journalisten gekommen, am nächsten Tag wird sich alles um die angestrebte Koalition von SPD, FDP und Grünen drehen, er will Zuversicht zeigen, ohne etwas sagen zu müssen; eine seiner Spezialdisziplinen.
Bei seinem letzten Trip als Finanzminister in die US-Hauptstadt war Scholz gedanklich mehr in Berlin als vor Ort gewesen. Und in guter Stimmung. Janet Yellen, Bruno Le Maire, Chrystia Freeland - internationale Kollegen haben ihm zum Wahlsieg gratuliert. Sein Glück komplettiert hat der Umstand, dass diese komplizierte "globale Mindeststeuer", die er als Finanzminister vorangetrieben hatte und die in Washington endgültig von 136 Staaten mit großem Pomp beschlossen wurde, ihm plötzlich so richtig nützlich ist bei seiner persönlichen Metamorphose, der Kanzlerwerdung.
Heiter hat er vor dem Weißen Haus gestanden und seinen potenziellen Koalitionspartnern in Deutschland mal eben Botschaften gesendet, die angesichts tiefroter Haushaltskassen Entspannung bringen könnten. Weil die neue weltweite Mindeststeuer auf Gewinne von Konzernen ja auch Deutschland mehr Geld bringen soll, sei mit "Mehreinnahmen ohne Steuererhöhungen" zu rechnen, sagt Scholz, die natürlich "die Spielräume" erhöhten. Das Signal an FDP-Chef Lindner und seine Partei: Seht her, ich beschaffe euch das Geld auch so, wir brauchen gar keine Steuererhöhungen. Grüne und SPD-Linke sollen sich ebenso angesprochen fühlen: Schaut, ich kämpfe gegen Steuerdumping und dafür, dass Konzerne ihre Gewinne mehr verteilen müssen. Gerechtigkeit eben.
Später, als die Republik im Tiefschlaf liegt, durchdenkt Scholz im Flugzeug das Treffen mit FDP und Grünen. Der Sozialdemokrat, der Kanzler werden will, hätte - ausweislich seines Grinsens - wohl nichts dagegen, wenn am Freitag verkündet werden könnte, dass der Weg frei wäre für Koalitionsgespräche. Die Unterhändler bereiten ein Sondierungspapier vor, das sich nicht in vielen kleinen Spiegelstrichen verlieren soll, sondern kurz und knackig die wichtigsten Politikfelder einer Ampel umreißt. Welche? Augenbrauen hoch. Wer wie Scholz für Verschwiegenheit bekannt ist, wird diesen Ruf doch jetzt nicht riskieren.
Er darf nicht auftreten, als dominiere er die Gespräche
Bis Weihnachten, das hat er in Washington bekräftigt, sollte die Ampelregierung unter seiner Führung arbeitsfähig sein. Ob es am Ende eine Koalition der "sozial-ökologischen Marktwirtschaft" wird oder eine, die sich im Namen auf "Fortschritt" ausrichtet - Hauptsache arbeitsfähig. Kaum ist die Maschine im Berliner Nieselnebel gelandet, läuft Scholz zu seiner Limousine. Wird er am Text für Freitag arbeiten? Schweigen.
In diesen Sondierungen, in denen alle auf Augenhöhe miteinander umgehen wollen, fällt dem 63-Jährigen eine besondere Rolle zu. Seit mehr als 30 Jahren im politischen Geschäft, ist er der Dinosaurier unter den Verhandlern. Gleichzeitig darf er keinesfalls so auftreten, als dominiere er die Gespräche. Das ist ungefähr so, als müsste ein Dinosaurier durch einen Porzellanladen laufen, ohne etwas zu zerschlagen.
Erste Koalitionsverhandlungen 1997, als SPD-Kreisvorsitzender in Hamburg, 2002 die rot-grüne Neuauflage im Bund, 2005 die erste große Koalition unter Angela Merkel. Dann Hamburg 2011 und 2015, schließlich Anfang 2018 - notgedrungen - die dritte große Koalition, Scholz gilt als harter Verhandler, das hat er schon als Anwalt gelernt: erstens, Befindlichkeiten der Leute erkunden, zweitens, gemeinsamen Weg verhandeln, um den Fall zu lösen.
Und die anderen? FDP-Chef Christian Lindner, 42, und Grünen-Co-Parteichef Robert Habeck, 52, haben jeweils Landeskoalitionen mitverhandelt, sie teilen die Erfahrung der gescheiterten Jamaika-Gespräche 2017 im Bund, auch mit Co-Grünen-Chefin Annalena Baerbock, 40. Gerade weil die Unterschiede so offensichtlich sind, hat Scholz vehement gegen das Bild von Koch und Kellner gewettert, das noch aus Zeiten der rot-grünen Koalition von Gerhard Schröder stammt. Das teile er nicht.
Diesmal nicht neunmalklug sein
Olaf Scholz scheint aufzupassen, dass ihm eine bekannte Schwäche nicht noch alles vermasselt. Er tendiert dazu, andere fühlen zu lassen, dass wohl keiner die Dinge so gut durchdenkt wie er. Dieses Neunmalklugsein hat früher Leute in der Partei verprellt, man denke an die verlorene Wahl zum Parteivorsitzenden vor zwei Jahren. Scholz'scher Hochmut hatte zeitweise sogar sein Ansehen in Hamburg ruiniert - als er Kritikern des G-20-Gipfels beschied, dieser werde kaum anders als ein Hafengeburtstag. Tatsächlich endet er als Fiasko.
Bei den Gesprächen mit Grünen und FDP soll ihm das nicht passieren. Ein wirklich guter Verhandler bedenkt, hat Scholz mal erzählt, dass er danach mit den anderen zusammenarbeiten muss. Heißt: über den Tisch ziehen oder düpieren bringt langfristig nichts. Und so muss er bei den Sondierungen zeigen, was er im Wahlkampf gepredigt hat: Respekt.