Die Schlacht ist geschlagen, Sebastian Kurz darf einen gloriosen Sieg genießen. Mit 33 Jahren steuert er auf seine zweite Kanzlerschaft zu. Doch auf die Freuden des Augenblicks werden schon sehr bald die Mühen des Alltags folgen. Denn als Wahlgewinner steht Kurz nun gleich vor einer neuen Wahl - und die dürfte ihm einiges abverlangen: Er muss sich einen oder gar mehrere Koalitionspartner aussuchen.
Nachdem der Wähler seine Stimme abgegeben hat, kommt es nun auf den künftigen Kanzler an. Denn erst seine Partnerwahl wird entscheiden, in welche Richtung sich die Republik entwickelt.
Von manchen politischen Beobachtern wird diese Koalitionssuche bereits als Qual der Wahl, mitunter sogar als Auswahl zwischen Pest, Cholera und Ebola bezeichnet. Gemeint ist damit, dass keine Koalition leicht wird, dass jede einen Haken hat. Andererseits jedoch ist Kurz in der komfortablen Position, dass es de facto keine Mehrheit gegen ihn gibt, weil alle außer seiner ÖVP ein Bündnis mit der rechtspopulistischen FPÖ ausschließen. Keiner jedoch hat ein Bündnis mit der ÖVP ausgeschlossen, und unterm Strich würden wohl alle gern regieren. Kurz kann die Koalitionsaspiranten also kommen lassen und in aller Ruhe sondieren.
Wenn Kurz eine Koalition der Sieger bilden will, dann muss er sich auf ein gewaltiges Experiment einlassen: auf eine Koalition mit den Grünen. Rechnerisch ist nach den Hochrechnungen eine gemeinsame Mehrheit möglich, und Vorbilder gibt es dafür zumindest schon in den Ländern.
In Vorarlberg und Tirol regieren bereits schwarz-grüne Koalitionen, die nach der Umfärbung der ÖVP durch Kurz nun türkis-grün sind. In Salzburg gibt es ein solches Bündnis zudem noch ausgedehnt auf die liberalen Neos. Die Neos hatten auch auf Bundesebene auf eine solche Dreier-Koalition gehofft, werden aber nun wohl nicht gebraucht. In einer ersten Reaktion boten sie sich dennoch für die Schaffung "stabiler Mehrheiten" an, um die "großen Zukunftsfragen" lösen zu können. Der Reiz in einer Koalition mit den Grünen könnte für Kurz im Neuen und Unverbrauchten liegen, das Problem bei den Inhalten.
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Bei der Nationalratswahl in Österreich hat die ÖVP von Sebastian Kurz mit großem Abstand gewonnen. Die rechte FPÖ verliert kräftig und will in die Opposition gehen. Möglich ist auch ein schwarz-grünes Bündnis.
Die Umweltpartei dürfte nach ihrem starken Wiedereinzug ins Parlament mit einigem Tatendrang und Selbstbewusstsein in Sondierungsgespräche mit der ÖVP gehen. Ihr Parteichef Werner Kogler hat zwar stets die inhaltlichen Differenzen zur ÖVP betont, aber auch versichert, die Grünen seien "nicht auf der Flucht", wenn es um Regierungsverantwortung gehe. Zugeständnisse werden sie von Kurz vor allem in der Migrations- und Klimapolitik fordern.
Inhaltlich weit einfacher als mit den Grünen dürfte für Kurz eine Neuauflage des Bündnisses mit der FPÖ sein. Doch der Absturz der Freiheitlichen bei der Wahl und das Überlaufen vieler ihrer Wähler zur ÖVP hat offenkundig die Lust der FPÖ auf eine erneute Regierungsbeteiligung deutlich geschmälert. Im Wahlkampf hatten sich die Freiheitlichen Kurz noch förmlich an den Hals geworfen unter ihrem neuen Vorsitzenden Norbert Hofer, der sich in einem Wahlwerbespot sogar mit einem Kurz-Darsteller bei der erfolgreichen Paartherapie gezeigt hatte. Inhaltlich sind die Schnittmengen zwischen ÖVP und FPÖ recht groß, schließlich liegt bereits ein vor knapp zwei Jahren ausgearbeitetes 180-seitiges Regierungsprogramm auf dem Tisch.
Doch was inhaltlich reizvoll sein dürfte für Kurz, ist ohnehin stets mit erheblichen Risiken verbunden gewesen. Bereits nach dem Ende der Koalition im Mai hatte Kurz der FPÖ attestiert, nicht regierungsfähig zu sein. Seither präsentieren sich die Freiheitlichen als eine Partei in innerem Aufruhr. Ruhiges Regieren dürfte da schwer fallen, und falls ein solches Bündnis noch einmal scheitert, wird Kurz nicht mehr sagen können, er sei nicht gewarnt gewesen.
Auf sichererem Terrain würde er sich in einem Bündnis mit den geschwächten Sozialdemokraten bewegen. Allerdings dürfte dies als Schritt zurück verstanden werden, während Sebastian Kurz seinen Wählern doch immer einen neuen Aufbruch und Veränderung versprochen hat. Mit diesem Anspruch hatte er 2017 als neuer ÖVP-Chef die Koalition mit der SPÖ beendet und Neuwahlen herbeigeführt. Große Koalitionen aus Volkspartei und SPÖ hatten zuvor Österreich mit Unterbrechungen über Jahrzehnte regiert. Allerdings hatten zuletzt stets die Sozialdemokraten den Kanzler gestellt.
Kurz könnte dies zumindest nun umkehren. Die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner hat bereits erkennen lassen, dass die SPÖ als Juniorpartner bereitstünde. Fraglich ist, ob dies dann noch eine SPÖ unter Rendi-Wagners Führung sein würde.
Grundsätzlich stehen Österreichs Sozialdemokraten nach den zurückliegenden zwei machtfernen Jahren aber wohl noch fester hinter dem alten Diktum ihres deutschen Genossen Franz Müntefering, der einst befand, dass Opposition "Mist" sei. Von den deutschen Kollegen könnten die Österreicher allerdings auch lernen, dass sich die kleinere Partei in einer Koalition oft sehr schnell verschleißt.
Langwierige Verhandlungen dürften also vor Sebastian Kurz liegen. Um jedoch als Wahlgewinner nicht bald schon als Getriebener dazustehen, hat Kurz bereits gezielt noch eine ganz andere Option ins Spiel gebracht: eine Minderheitsregierung unter seiner Führung. Das hat es in Österreichs Zweiter Republik bislang nur einmal gegeben, unter dem Sozialdemokraten Bruno Kreisky nach der Wahl 1970. Kreisky allerdings hatte damals 48,4 Prozent der Stimmen gewonnen und eine feste Duldungsabmachung mit der FPÖ getroffen.
Kurz jedoch müsste sich für diesen Fall im Parlament stets neue Mehrheiten suchen. Die Abhängigkeit wäre also wohl am Ende noch größer als in einer Koalition. Wie schnell eine solche Minderheitsregierung scheitern kann, hat Kurz Ende Mai beim verlorenen Misstrauensvotum im Parlament bereits am eigenen Leib erfahren. Nach zwei vorgezogenen Neuwahlen 2017 und 2019 wünschen sich die Österreicher von ihrer neuen Regierung aber nun auch eins: Stabilität.
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