Obamas Rolle in Syrien:Im Sog des Konflikts

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Die zerstörte syrische Stadt Deir al-Zor. (Foto: REUTERS)

Obama ist dort, wo er nie hinwollte: Wenn der amerikanische Präsident die syrischen Rebellen bewaffnet, macht er die USA militärisch zur Konflikt-Partei. Niederlagen der Rebellen wären dann auch Niederlagen der USA. Dabei kann er selbst mit dem größten Aufwand kein Land zusammenhalten, das entlang ethnischer und religiöser Linien auseinanderfällt.

Von Nicolas Richter, Washington, Frank Nienhuysen, Moskau, und Stefan Kornelius

Die ersten Glückwünsche erhielt Barack Obama, bevor er seine Entscheidung überhaupt mitgeteilt hatte. "Der Präsident wird ankündigen, dass er die Rebellen in Syrien bewaffnen wird", erklärte der konservative Senator John McCain im Parlament. "Ich spende ihm dafür Beifall."

Es schien, als sei der alte Falke McCain zu weit vorgeprescht, denn als sich das Weiße Haus später zur Sache äußerte, erklärte es nur, die Rebellen könnten ein größeres Maß an Unterstützung erwarten. Obamas Berater Benjamin Rhodes wollte auch auf Nachfrage von Journalisten nicht bestätigen, dass die neue US-Hilfe für die syrische Opposition auch Waffen beinhalte. "Ich kann keine Inventarliste veröffentlichen", sagte Rhodes.

Die Inszenierung - oder eher Nicht-Inszenierung - zeigt es schon: Obama hat eine Entscheidung gefällt, die ihm äußerst schwergefallen ist. Jetzt, da er die Entscheidung getroffen hat, möchte er sie so unscheinbar verkaufen wie möglich. Anders als so oft, wenn er in den Rosengarten vor die Kameras tritt, um über die Blockade im US-Kongress zu schimpfen, bleibt Obama am Donnerstag im Hintergrund. Auch seine Zuarbeiter vermeiden jedes Drama. Rhodes sagt zwar, mit dem Einsatz von Chemiewaffen habe Syriens Regime Obamas rote Linie überschritten. Aber er sagt auch, die etwa hundert Toten durch Giftgase seien auch nur ein Bruchteil jener 90.000, die der Konflikt schon gefordert habe.

Erfolgschancen für die Feinde Assads sind stark gesunken

Aus Sicht des Weißen Hauses muss man die Lage nicht dramatisieren, denn sie ist schon dramatisch genug. Der Präsident ist jetzt dort, wo er nie hinwollte. Er ist in den Sog des Syrien-Konflikts geraten, und er ist damit jener Eskalationslogik ausgeliefert, die diesem Bürgerkrieg längst innewohnt. Denn wenn Obama die Rebellen bewaffnet, macht er die USA auch militärisch zur Partei. Niederlagen der Rebellen wären auch Niederlagen der USA. Sollten US-Schusswaffen und Munition nicht reichen, stünde Obama unter dem Druck, auch Panzer- und Flugabwehrraketen zu liefern oder eine Flugverbotszone durchzusetzen, mithilfe der US-Luftwaffe.

Während sich in Syrien die Zahl der Toten der Marke von 100.000 nähert, sind die Erfolgschancen für die Feinde Assads stark gesunken. Die Truppen des Diktators haben mithilfe Irans und der radikalislamischen Hisbollah die Aufständischen zurückgeschlagen, in Aleppo droht der Opposition die nächste Niederlage.

Der Konflikt mehrt, je länger er dauert, den Einfluss antiamerikanischer Kräfte, besonders Irans, und er destabilisiert und schwächt US-Verbündete wie Jordanien. Auch Libanon, ein weiterer unmittelbarer Nachbar Israels, gerät in den Sog. John McCain, der von Obama seit Langem mehr Engagement verlangt, sagte diese Woche: "Es geht hier nicht mehr darum, dass ein paar Demonstranten verprügelt werden. Das ist ein regionaler Konflikt."

Offenbar sieht der Präsident dies mittlerweile genauso und hört nun eher auf die Interventionisten in seinem Kabinett, zu denen sein Außenminister John Kerry und seine designierte Sicherheitsberaterin Susan Rice gehören. Dabei wollte Obama Kriege beenden, statt neue anzufangen, auch deswegen haben ihn die Amerikaner gewählt. Es läuft seinem Charakter zuwider, sich auf Abenteuer einzulassen, die kaum klare Erfolge zulassen, dafür aber viele Misserfolge.

Gerade Syrien ist so ein Fall, und aus Obamas Sicht sind die Lehren aus dem Irak-Krieg dafür die größte Warnung: Die USA können es auch mit dem größten militärischen Aufwand nicht schaffen, ein Land zusammenzuhalten, das entlang ethnischer und religiöser Linien auseinanderfällt. Doch der Präsident scheint, wenn auch widerwillig, erkannt zu haben, dass Nichtstun die schlechteste Option unter vielen schlechten Optionen ist. Dass er seine neue Linie ausgerechnet in dieser Woche bekannt gibt, hat auch mit den größeren internationalen Zusammenhängen zu tun.

Russland soll von Assad getrennt werden

Am Montag beginnt in Nordirland das Gipfeltreffen der G-8-Staaten, zu denen neben westlichen Ländern auch Russland gehört. Dort wird Obama unter anderem dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begegnen, der das syrische Regime bislang politisch und militärisch unterstützt.

Obama hat nun eine Reihe von Möglichkeiten, Putin unter Druck zu setzen. Zum einen kann er ihm die Belege seiner Geheimdienste dafür vorlegen, dass Syriens Militär die international geächteten Chemiewaffen eingesetzt hat. Russland, so stellt man sich das in westlichen Hauptstädten vor, würde unter dem Eindruck dieser Beweise einer einheitlichen Linie gegen das Assad-Regime im UN-Sicherheitsrat zustimmen. "Es geht darum, mit Blick auf den Sicherheitsrat Russland von Assad zu trennen", heißt es unter europäischen Diplomaten.

Im besten Fall könnte es zu einer UN-Resolution nach Kapitel sechs kommen; der Sicherheitsrat würde die Kriegsparteien zu einem Ende der Kämpfe und zu Verhandlungen auffordern. Außerdem würden Ermittlungen der UN ermöglicht, was den strafrechtlichen Druck auf die Kriegsparteien erhöht. Zu einer Resolution nach Kapitel sieben, die einen bewaffneten Einsatz von außen erlauben würde, wird es nach Einschätzung von Diplomaten freilich nicht kommen. Sollte Putin Obama tatsächlich folgen, verlöre Assad seine letzte Schutzmacht, der Diktator wäre endgültig isoliert. Für die Kriegsparteien wäre das ein eindeutiges Signal, nach einer politischen Lösung zu suchen.

Offenbar rechnet die US-Regierung auch damit, dass ihr Vorstoß zur Bewaffnung der Rebellen die Erfolgschancen einer möglichen Friedenskonferenz in diesem Monat in Genf vergrößert. Doch machen solche Konferenzen in aller Regel nur Sinn, wenn alle Konfliktparteien gleich stark - oder gleich schwach - am Tisch sitzen.

In jüngster Zeit waren Assads Geländegewinne allerdings so groß, dass das Regime kein wirkliches Interesse an Gesprächen hatte. Es schaffte die Fakten lieber mit Gewalt. Auch Assads Gegner sahen keinen Grund, nach Genf zu reisen und ihre Schwäche auch noch auf großer Bühne zu zeigen. Jetzt, da sie die USA militärisch hinter sich haben, könnten sie als Verhandlungspartner wieder ernst genommen werden.

Am Montag beim G-8-Gipfel also kann Obama seinen russischen Kollegen zum Schwur zwingen. Meint er es ernst mit seiner Konferenzidee? Oder hat er nur geblufft und wollte Zeit gewinnen, damit Syriens Militär voranmarschieren kann?

Diese Gemengelage wird nicht leichter dadurch, dass Russland sich an die Zeiten des Irak-Kriegs erinnert, als es ohnmächtiger Zuschauer der amerikanischen Intervention war. "Obama geht den Weg von George Bush", twitterte Alexej Puschkow, Chef des außenpolitischen Duma-Ausschusses, und warf den USA vor, sie hätten die Angaben über Assads Giftgas-Einsatz ebenso "fabriziert wie die Lüge über Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein". Moskau weiß, dass Washington den Zeitpunkt des Giftgas-Vorwurfs nicht zufällig gewählt hat, dass es den Druck erhöhen will auf Präsident Wladimir Putin, abzulassen von seiner Unterstützung für die Assad-Regierung.

Beide Seiten trauen einander derzeit kaum. Hardliner wie Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow behaupten, die USA steuerten in Etappen, aber dennoch geradlinig auf eine militärische Intervention zu. Die Bewaffnung der Aufständischen wird dabei nur als erster Schritt gesehen. Immerhin erklärte der Kreml, dass er die USA und Russland nicht als Konkurrenten bei der Lösung von Syriens Problemen sehe. Und auch eine Antwort auf die amerikanischen Vorwürfe des Sarin-Einsatzes werde es nicht geben, zum Beispiel die Lieferung des russischen Flugabwehrsystems S-300 an Damaskus. "Noch nicht", hieß es zumindest.

Putin selbst erinnerte mit seinen Worten zu Syrien bereits an seine einstige Brandrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als er den USA mit Blick auf den Irak Abenteurertum vorwarf. Jetzt warnte er in einem Interview mit Russia Today davor, in Syrien "erst alle fortzujagen, und danach das Land in Chaos zu versenken". Ethnische Konflikte, ein Kampf zwischen Sunniten und Schiiten, islamischer Extremismus, der arabische Raum als Flammenmeer, das ist einerseits Russlands Furcht - aber es hat eben auch die große Sorge, weiter an Einfluss im Nahen Osten zu verlieren, wirtschaftlich, politisch; erneut machtlos zu sein gegen die offensive Politik der USA.

Obama hat sich genug Spielraum für Kompromisse gelassen. Da weder er noch das Weiße Haus offiziell bestätigt haben, die syrische Opposition zu bewaffnen, kann der amerikanische Präsident die nächsten Schritte auch danach richten, was er mit Putin aushandelt. Sollte Putin ihm mit einer UN-Resolution entgegenkommen, könnte Obama versprechen, die Waffenlieferungen noch hinauszuzögern oder zu beschränken. Auch kann er Vorwürfen Putins ausweichen, der schon seit Langem unterstellt, der Westen bewaffne bereits Syriens Rebellen, um Assad loszuwerden. Das Spiel der Taktiker ist in vollem Gang.

© SZ vom 15.06.2013/ratz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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