Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies mit inzwischen 1029 positiv getesteten Mitarbeitern hat sich Konzernschef Clemens Tönnies auf einer Pressekonferenz geäußert.
"Ich kann mich beim Kreis Gütersloh und den anderen Kreisen nur entschuldigen. Wir stehen in der Verantwortung", sagte Tönnies und verwies darauf, dass man die Pandemie im Mai "hervorrgagend gemanagt habe".
Infektionsherd in NRW:Äußerung über ausländische Arbeiter - Maas fordert Entschuldigung von Laschet
Der NRW-Ministerpräsident gieße "Öl ins Feuer", wenn er Rumänen und Bulgaren für den Corona-Ausbruch in einer Fleischfabrik verantwortlich mache, so der Außenminister.
Dass die Behörden große Probleme hatten, an die Anschriften der Mitarbeiter der Firma zu kommen, rechtfertigte Tönnies mit einem "Adressen-Problem". Im Werkvertragssystem dürfe man aus datenschutzrechtlichen Gründen nur den Namen, das Geschlecht und das Geburtsdatum regestrieren, sagte Tönnies. Wohnadressen dürfe das Unternehmen nicht speichern.
Geschäftsführer Andreas Ruff sagte: "Das Virus hat uns überrollt."
Zu einem möglichen Rücktritt gefragt, sagte Tönnies, er werde das Unternehmen aus der Krise führen. "Ich mache mich nicht aus dem Staub." Seit Mittwoch sei nichts mehr so, wie es einmal war. "So werden wir nicht weiter machen. Wir werden diese Branche verändern."
Corona-Reihenuntersuchungen werden fortgesetzt
Zuvor hatte der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer (CDU), betont: "Wir haben keinen signifikanten Eintrag von Corona-Fällen in die allgemeine Bevölkerung." Die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Gelände der Fleischfabrik im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück wurden fortgesetzt.
In der Nacht zum Samstag hatten sich der Kreis Gütersloh und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. "Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern", sagte Adenauer. Daraufhin seien die Behörden gemeinsam am Freitagabend in die Konzern-Zentrale gegangen. Jetzt liegen 1300 Adressen von Wohnungen allein für den Kreis Gütersloh vor.
Der Leiter des Krisenstabs, Thomas Kuhlbusch, sprach von einem Dunkelfeld des Subunternehmertums. Er zeigte sich außerordentlich verärgert über das Verhalten von Tönnies: "Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null. Das muss ich so deutlich sagen." Auf einer Liste der Firma hätten 30 Prozent der Adressen gefehlt, mit "gutem Zureden" habe es nicht funktioniert.
Das Zögern von Tönnies sei "nicht witzig, wenn man so eine Situation hat". Das Virus lasse sich "nicht verarschen". Je dichter die Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen, desto dünner sei das Eis, auf dem man sich bewege. "Und hier ist das Eis gebrochen."
Das Unternehmen habe vor einiger Zeit damit begonnen, in Eigenregie Mitarbeiter zu testen. Laut Kuhlbusch wurden die Behörden aber nicht ausreichend informiert. "Wir haben dann gesagt: Da muss mehr Transparenz her."
Etwa 20 "mobile Teams" sind laut Adenauer derzeit unterwegs im Kreis, um die Adressen der Betroffenen abzufahren. Man schaue sich die Wohnverhältnisse an, mache weitere Abstriche, informiere die Menschen über die Pandemie. Zu den Teams gehören auch Bundeswehrsoldaten, die bei der Dokumentation helfen, sowie Dolmetscher mit Rumänisch- und Polnischkenntnissen. Man versuche, einen kompletten Shutdown im Kreis auf diese Weise zu vermeiden. Er könne den Ärger der Menschen gut verstehen, dass nun wieder Schulen und Kindertagesstätten im Kreis geschlossen werden müssten.
"Es ist das größte, bisher nie dagewesene Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen"
Zuvor hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet der Region einen flächendeckenden Lockdown angedroht. "Wir nehmen ein Infektionsgeschehen wahr, das in dieser Größenordnung neu ist", sagte Laschet am Freitagabend in Düsseldorf: "Es ist das größte, bisher nie dagewesene Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen."
"Noch können wir das Infektionsgeschehen lokalisieren", sagte Laschet. Sollte sich dies ändern, könne auch "ein flächendeckender Lockdown in der Region" notwendig werden. "Der Ausbruch bei Tönnies birgt ein enormes Pandemie-Risiko", sagte der CDU-Politiker. Es werde nun alles getan, um den Ausbruch einzudämmen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drängt nach dem Ausbruch in Gütersloh auf schnelle Schritte zum Schutz der Beschäftigten in der Fleischbranche. "Wir wollen die Kontrollen weiter verschärfen, noch bevor das neue Gesetz zur Arbeitssicherheit in der Fleischindustrie da ist", sagte Heil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Nachdem sich mehrere Schlachthofbetriebe zu Corona-Hotspots entwickelt hatten, hatte das Bundeskabinett im Mai Eckpunkte zur Verschärfung der Auflagen für die Fleischindustrie beschlossen. Vorgesehen sind unter anderem häufigere Kontrollen des Arbeitsschutzes, höhere Bußgelder und Auflagen für die Unterbringung ausländischer Arbeiter. Kern ist ein Verbot von Werkverträgen, damit Betriebe die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen und Unterbringung von Arbeitern nicht länger auf Subunternehmer abwälzen können.
Alle Beschäftigte unter Quarantäne
Am Freitagabend erließ der Kreis Gütersloh eine Allgemeinverfügung, mit der sämtliche Beschäftigte der Unternehmensgruppe Tönnies am Standort Rheda-Wiedenbrück unter Quarantäne gestellt sind - inklusive der Verwaltung, des Managements und der Konzernspitze. Einige Mitarbeiter können dem Landkreis zufolge aber in sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt, dass sie sich nur zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen. Der Betrieb sei zwar vorerst mindestens zwei Wochen geschlossen, sagte Kuhlbusch, doch müssten einige Bereiche eingeschränkt weitergeführt werden.
Die Quarantäne gilt auch für Clemens Tönnies, Gesellschafter von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb. Somit darf der 64-Jährige am vorletzten Spieltag der Fußball-Bundesliga nicht ins Stadion. Tönnies ist Vorsitzender des Aufsichtsrates beim FC Schalke 04. Die Gelsenkirchener spielen am Samstag gegen den VfL Wolfsburg.
Laut Kuhlbusch werden alle infizierten Mitarbeiter nun isoliert, wie dies auch bei früheren Ansteckungswellen in Fleischbetrieben geschehen sei, etwa bei der Firma Westfleisch im Kreis Osnabrück. Unter normalen häuslichen Bedingungen sei dies relativ leicht, bei Großunterkünften aber schwieriger. Die Firma habe leere Wohnungen angemietet, um Betroffene dort isolieren zu können. Darauf habe der Kreis gedrungen.
Vor dem betroffenen Werk in Rheda-Wiedenbrück protestierten am Samstagmittag etwa 60 Menschen gegen den Konzern. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr den Menschen die Rechte klaut", rief ein Sprachchor. Einige hielten Plakate hoch, auf denen etwa stand: "Stoppt das System Tönnies" und "Tiere sind keine Ware". Einige Protestierende hatten sich mit Kunstblut bemalt.