Nordrhein-Westfalen:Frieden nach der Rede vom Krieg

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Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender (l.), und NRW-Landesvorsitzender Hendrik Wüst (r.) applaudieren Ron Prosor, dem israelischen Botschafter beim CDU-NRW-Landesparteitag. (Foto: IMAGO/Sepp Spiegl/IMAGO/sepp spiegl)

Beim Parteitag der NRW-CDU inszenieren Friedrich Merz und Hendrik Wüst Harmonie - und beklatschen Israels Botschafter, der warnt, Neukölln könne zu Gaza werden.

Von Christian Wernicke, Hürth

Nach nicht mal einer Stunde ist die Spannung verpufft in der großen, von pechschwarzen Vorhängen verdunkelten Halle. Da steht Hendrik Wüst, der Partei- und Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, oben auf der Bühne. Der laute, lange Beifall gilt zwar nicht ihm, sondern dem Ehrengast des CDU-Parteitages, Israels Botschafter Ron Prosor. Aber Wüst nutzt den Moment für eine Geste. Mit den Fingern einer Hand winkt er Friedrich Merz herbei. Wüst, der Aufsteiger, lockt Merz, den CDU-Obersten, ins Licht zum Fototermin: Der Westfale will Eintracht beweisen - und endlich die lästigen Gerüchte aus dem Sommer ersticken, er wolle dem Sauerländer die Kanzlerkandidatur streitig machen.

Samstag um viertel nach zwölf inszenieren zwei ihren Frieden - und beklatschen einen Dritten, der gerade vom Krieg berichtet hat. Die Rede des israelischen Botschafters Ron Prosor gleich zu Beginn des CDU-Landesparteitags wird der Höhepunkt des Events mitten in einem Gewerbegebiet in Hürth bei Köln bleiben, bei dem alles strikt nach Drehbuch läuft.

Denn auch Friedrich Merz wischt alle Zweifel beiseite, dass er den "lieben Hendrik" als Konkurrenten fürchte: "Wir sind ja im Juni eine kleine Kurve gefahren", erinnert der CDU-Bundesvorsitzende an die öffentlichen Verwerfungen im Sommer, aber: "Das haben wir besprochen, das Thema ist erledigt." Längst arbeite man wieder "eng, freundschaftlich und ohne jeden Widerspruch zusammen". Weitere zwei Stunden später wird Wüst als CDU-Landeschef wiedergewählt - mit 96,7 Prozent der Stimmen. Merz ist da schon wieder weg.

Inszenierte Harmonie

Wirklich aufgewühlt hat die 650 CDU-Delegierten an diesem Tag allein Ron Prosor. Zur Einleitung hatte Gastgeber Wüst nochmals die Sicherheit und das Existenzrecht Israels als "Staatsräson" beschworen: "Nie wieder ist jetzt - ohne Wenn und Aber!" Und der Botschafter buchstabiert dann aus, was das bedeutet.

Die Hamas, sagt Prosor, sei als Terrororganisation längst "schlimmer als der Islamische Staat". Und er verlangt mehr deutsche Solidarität, als die Ampelregierung diese Woche zu beweisen bereit war. Die deutsche Enthaltung diese Woche bei einer propalästinensischen Resolution in der Uno empört ihn. Berlins diplomatische Zurückhaltung, "weil man nicht direkt sagen kann, dass Hamas für dieses grausame Massaker verantwortlich ist, ist nicht genug". Man brauche Deutschlands Unterstützung in der Uno, sagte Prosor, der sich eine klare Ablehnung der Resolution durch die Bundesregierung gewünscht hätte, die am Freitag bei der Generalversammlung von 120 Staaten beschlossen worden war. 14 Mitgliedsstaaten hatten dagegen gestimmt, Deutschland gehört zu den 45 Staaten, die sich enthielten.

Prosor bekommt in Hürth deutlich mehr Beifall, als die Parteigladiatoren Wüst oder Merz später ernten werden. Auch, als er vor den "Besserwissern" warnt, die die Ideologie der Hamas "verharmlosen" oder Israel mit erhobenem Zeigefinger belehren würden. Dazu zählt Prosor auch "diejenigen, die die antisemitischen Äußerungen von Mahmud Abbas vergessen haben zu verurteilen." Prosor weiter: "Jetzt erscheinen sie wieder. Und sie haben die Frechheit, uns Ratschläge zu erteilen." Das sei "eine Unverschämtheit".

Prosor erwähnt keine Namen. Aber die Anspielung lässt sich durchaus als Kritik auch am deutschen Kanzler deuten. Schließlich war Olaf Scholz der Allererste, dem man dieses Versäumnis vorwerfen könnte. Denn Prosor meinte einen Moment am Abend des 16. Septembers vorigen Jahres: Da stand Scholz in Berlin direkt neben Abbas, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, als dieser Israel gegen Ende einer Pressekonferenz einen "Holocaust" an den Palästinensern vorwarf: "Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen." Scholz wirkte sichtlich verärgert - aber er schwieg. Erst später ließ der Kanzler per Bild wissen: "Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel."

Warnung vor "Berliner Verhältnissen"

Auf mehr Echo stießen im Publikum in Hürth Prosors Warnungen vor Sympathien mit den Palästinensern: "Wir müssen alle aus unserer Naivität aufwachen." Deutschland dürfe nicht dulden, dass auf seinen Straßen propalästinensische Demonstranten den Slogan "from the river to the sea" erschallen lassen, der die Zerstörung Israels meine. Sonst drohten "Flächenbrände", spricht der Botschafter in die totenstille Halle, "sonst kommt der Terror hierher". Die Bundesrepublik müsse handeln, "damit Neukölln nicht zu Gaza wird". Am Ende erheben sich die Delegierten vor Prosor, klatschen minutenlang Beifall.

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Die Warnung vor "Berliner Verhältnissen" ist momentan populär in der CDU. Erst im September hatte Parteichef Merz in ein bayerisches Bierzelt gerufen: "Nicht Kreuzberg ist Deutschland!" Und Merz wie Wüst redeten am Samstag viel von den Versäumnissen der Bundesregierung - bei der Eindämmung der Zuwanderung, beim Bürokratieabbau, bei der Bewahrung von Wohlstand und Wachstum. Auch das - der Fingerzeig auf die Ampel - gehört für beide eben zum Burgfrieden von Hürth.

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