Am Dienstagnachmittag stimmte das Storting, also das norwegische Parlament in Oslo dafür, große Gebiete im Nordatlantik für den Tiefseebergbau zu öffnen. Das Areal, das 281 000 Quadratkilometer umfasst, liegt zwischen Ostgrönland und Spitzbergen. Norwegische Geowissenschaftler wollen festgestellt haben, dass darin rund 45 Millionen Tonnen Zink lagern sowie 38 Millionen Tonnen Kupfer - das wäre das Doppelte der jährlich weltweit geförderten Menge. Außerdem soll die Meereskruste hier große Mengen an Gold, Silber, Mangan, Eisen, Titan, Kobalt, Nickel und Zirkonium, aber auch seltene Erden wie Neodym, Yttrium und Dysprosium enthalten.
All diese wertvollen Stoffe kommen auch an Land vor, allerdings wird der größte Teil jeweils nur in wenigen Ländern gefördert, darunter der Kongo und vor allem China. Weshalb die norwegische Regierung argumentiert, man müsse das Deep Sea Mining schon deshalb vorantreiben, um sich von China unabhängig zu machen. Die Seltenen Erden werden dringend benötigt für den ökologischen Umbau, unter anderem beim Bau von Solarpaneelen, Magneten in Windturbinen und Motoren in E-Autos.
Die Ressourcen sollen umweltschonend gefördert werden
Der norwegische Öl- und Energieminister Terje Aasland betonte im Juni vergangenen Jahres, man werde beim geplanten Deep Sea Mining "in der gesamten Wertschöpfungskette Umweltaspekte berücksichtigen. Der Abbau wird nur gestattet, wenn die Industrie Nachhaltigkeit und verantwortungsvolle Praktiken nachweisen kann". Aasland schrieb, er sei der festen Überzeugung, "dass es möglich sein wird, all die Ressourcen auf nachhaltige und verantwortungsvolle Weise zu fördern".
Die Entscheidung vom Dienstag bedeutet nicht, dass sofort mit dem Abbau begonnen wird. Die verschiedenen Unternehmen, die sich für derartige Bohrungen interessieren, müssen sich nun beim Parlament um Lizenzen bewerben. Dabei soll auch die jeweilige Umweltverträglichkeit nachgewiesen werden.
Die Environmental Justice Foundation (EJF) schrieb am Dienstag in Reaktion auf die Abstimmung im Storting, Norwegen setze "mit dieser Entscheidung für den Tiefseebergbau seinen Ruf als umweltfreundliche und nachhaltige Nation in Brand". Martin Webeler, Leiter der Kampagne gegen Tiefseebergbau bei der EJF, sagte der SZ: "Die Öffnung ist insofern heuchlerisch, als sich Norwegen immer wieder als Vorreiter im Umweltschutz präsentiert - so auch in diesem Fall, in dem es Tiefseebergbau mit der Energiewende begründet und hervorhebt, dass sie 'höchste Standards' etablieren wollen. Gleichzeitig ignorieren sie die Empfehlungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die im Grunde unisono für einen Stopp des Tiefseebergbaus ist."
Im November vergangenen Jahres hatten 121 EU-Parlamentarier einen dringenden Appell an die norwegischen Parlamentarier gerichtet, gegen den Tiefseebergbau zu stimmen, schließlich werde das Abernten des Meeresbodens irreversible Schäden an Flora und Fauna zur Folge haben.
Wissenschaftler finden in einem Gebiet etwa 5000 vorher unbekannte Tierarten
Zuvor hatten 804 internationale Ozeanologen um ein weltweites Moratorium des Deep Sea Mining gebeten, solange nicht klar sei, welche Auswirkungen es habe, zumal die Tiefsee immer noch kaum erforscht sei. Außerdem, so die Meereswissenschaftler, bestünde die Gefahr, dass massenweise Kohlenstoff, der im Meeresboden gelagert sei, durch den Abbau in die Atmosphäre gelange.
Man kennt heute vermutlich nicht mal zehn Prozent der Tiefsee-Arten. Als Wissenschaftler im vergangenen Jahr die sogenannte Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) untersuchten, fanden sie 5578 Tierarten, von denen 92 Prozent bis dahin vollkommen unbekannt gewesen waren. In ihrem Paper betonten die Wissenschaftler, dass ihre Untersuchung nur einer Stichprobe gleichkomme, es also vermutlich noch sehr viel mehr Arten gebe. Die CCZ ist eine Tiefseegegend im Zentralpazifik, in der verschiedene Staaten ebenfalls Manganknollen abbauen wollen.
Auch norwegische Umweltverbände und Experten kritisierten die Entscheidung des Parlaments. So schrieb das norwegische Institute of Marine Research (IMR), die Regierung habe im Vorfeld nur ein winziges Areal untersucht und die dortigen Bodenschatzfunde einfach auf das gesamte Areal hochgerechnet.
Die Entscheidung des Stortings betrifft nur norwegische Gewässer, nährt aber Befürchtungen, dass andere Länder nun in einer Art Wettrennen ebenfalls mit der großflächigen Bewirtschaftung des Meeresbodens beginnen könnten. Die Internationale Meeresbodenbehörde will Ende dieses Jahres weltweit geltende Regeln für den Tiefseebergbau formulieren. Rund 30 Länder wollen ein generelles Verbot dieser Bewirtschaftung der Ozeane erreichen, viele andere aber würden lieber heute als morgen mit dem Deep Sea Mining in internationalen Gewässern beginnen.