Brexit-Folgen:Brüssel und London machen Fortschritte beim Nordirland-Streit

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Das Protokoll soll verhindern, dass Lkws - hier im Hafen von Belfast - an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kontrolliert werden. (Foto: Niall Carson/dpa)

Die EU-Kommission und die britische Regierung einigen sich immerhin in einem Punkt. Ein langer Stillstand ist damit zwar überwunden. Doch viele andere Themen sind weiter hart umkämpft.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Zeit drängt - und tatsächlich gibt es nun erste Fortschritte beim Disput um Zollregeln für Nordirland: Die EU-Kommission und die britische Regierung haben sich darauf geeinigt, wie die EU auf das Computersystem des britischen Zolls zugreifen kann. Auf diese Weise soll Brüssel besser nachvollziehen können, welche Güter von England, Wales und Schottland nach Nordirland transportiert werden. Dies ist wichtig für die Umsetzung des Nordirland-Protokolls. Über dieses Protokoll streiten die EU und die britische Regierung seit fast zwei Jahren, und die Verständigung beim IT-System ist die erste erfreuliche Entwicklung seit Langem.

Den Erfolg verkündeten Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič, der britische Außenminister James Cleverly und Nordirland-Minister Christopher Heaton-Harris am Montag nach einem Treffen in London. Die Einigung sei eine "wichtige Voraussetzung, um Vertrauen aufzubauen und Absicherungen bereitzustellen," und bilde "eine neue Basis" für die Verhandlungen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Fachleute beider Seiten sollen nun rasch ausloten, bei welchen anderen Streitpunkten Lösungen möglich sind. Schon am kommenden Montag wollen sich Šefčovič und Cleverly erneut austauschen. Cleverlys Chef, der neue britische Premier Rishi Sunak, hat verkündet, er wolle den Disput um das Protokoll bis April beilegen, wenn sich die Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens zum 25. Mal jährt. Das Abkommen läutete den Friedensprozess in der einstigen Unruheprovinz Nordirland ein.

Wird die Grenze wieder sichtbar?

Das Nordirland-Protokoll wiederum soll Belastungen für diesen Prozess vermeiden helfen, ist aber für Brexit-Enthusiasten in der regierenden Konservativen Partei und auch für Nordirlands Unionisten ein rotes Tuch. Die Unionisten kämpfen für eine möglichst enge Anbindung der Provinz an Großbritannien; die wichtigste Unionisten-Partei DUP will die Regierungsbildung im nordirischen Regionalparlament blockieren, solange das Protokoll nicht geändert wird. Daher steuert Nordirland auf Neuwahlen zu.

Das umkämpfte Protokoll ist Teil des 2019 vereinbarten Austrittsvertrags zwischen Großbritannien und der EU. Es soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Denn würde die nahezu unsichtbare Grenze auf einmal sichtbar, würde das die Nationalisten in Nordirland erzürnen, also jene meist katholischen Bürger, die für eine enge Anbindung an die Republik Irland oder gar eine Vereinigung eintreten. Das würde den Friedensprozess gefährden.

Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich die einstige Unruheprovinz trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Denn haben Lastwagen erst einmal die nordirischen Häfen verlassen, können sie ohne weitere Kontrollen in den Süden der Insel fahren, also in die EU, und von da per Fähre in die anderen Mitgliedstaaten. Die EU lässt also den Zugang zum Binnenmarkt von Zollbeamten eines Drittstaates - Großbritannien - überwachen: ein heikles Novum.

Brexit-Fans hassen das EU-Gericht

Die britische Regierung wiederum hält die neue Zollbürokratie beim Handel zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs für schikanös; London hat daher eigenmächtig Übergangsfristen verlängert, die Firmen die Einfuhren erleichtern. Außerdem brachte Ex-Ex-Premier Boris Johnson im Juni ein Gesetz ins britische Parlament ein, mit dem sich die Regierung das Recht gibt, das Protokoll in Teilen zu ignorieren. Es wird noch dauern, bis der brisante Rechtsakt in Kraft treten kann - wenn Sunak das Ziel überhaupt weiter verfolgt -, trotzdem war der Schritt eine Provokation für die EU.

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Die Kommission reagierte mit Vertragsverletzungsverfahren. Zugleich machte Kommissions-Vize Šefčovič schon im Herbst 2021 Vorschläge, wie die Bürokratie beim Handel zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs verringert werden könnte. Schwierigster Streitpunkt ist aber ein Thema, das gar nichts mit Kontrollen zu tun hat: Brexit-Enthusiasten bei den regierenden Konservativen wollen nicht hinnehmen, dass das Protokoll dem bei ihnen verhassten Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Rolle bei Disputen zuspricht. Doch aus Sicht der Kommission kann nur der EuGH und nicht irgendein neues Schiedsgericht entscheiden, wie EU-Regeln auszulegen sind. Und in Nordirland sollen eben dank des Protokolls weiter EU-Regeln gelten.

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