Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines:Post aus Polen

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Unter anderem hier, im Hafen des polnischen Kołobrzeg (Kolberg), machte die Andromeda halt, bevor die Nord-Stream-Pipelines explodierten. Dort wurde das Schiff von polnischen Behörden kontrolliert - aber mit welchen Erkenntnissen? (Foto: IMAGO/xfotokonx/IMAGO/Pond5 Images)

Bisher galten polnische Behörden als wenig kooperativ in den Ermittlungen zu den Explosionen, die im September 2022 die Gaspipelines zwischen Russland und Deutschland zerstörten. Nun liefern sie plötzlich Namen, die nach Russland deuten sollen. Die Spur in die Ukraine bleibt trotzdem die heißeste.

Von Manuel Bewarder, Florian Flade und Ralf Wiegand, München

Es ist nicht so, dass es um den Anschlag auf die Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 nicht schon genug ungelöste Rätsel gäbe. Seit am 26. September 2022 Explosionen drei der vier Röhren zwischen Russland und Deutschland vermutlich für immer unbrauchbar gemacht haben, fahnden Ermittlerteams in fünf Ländern nach Tätern, Motiv und möglichen Unterstützern - und ziehen dabei nicht immer an einem Strang. Vor allem der Eifer der polnischen Politik, die bisher heißeste Spur kleinzureden, erstaunt deren Kollegen. Ein Rechercheteam von Süddeutscher Zeitung, ARD und der Wochenzeitung Zeit berichtete am ersten Jahrestag der Anschläge darüber, dass die polnischen Ermittlungsbehörden nur zögerlich kooperieren würden. Gleichzeitig stellten sie die vor allem von deutschen Sicherheitsbehörden bevorzugte Theorie, ein ukrainisches Kommando könnte den Anschlag von der Segelyacht Andromeda aus verübt haben, massiv in Abrede.

Nun sollen die Polen die deutschen Ermittler darüber informiert haben, dass sie Teile der Crew identifiziert hätten - Personen mit russischer Identität. Die Welt am Sonntag hatte zuerst über diese Liste berichtet, die dem Bericht zufolge dem Bundesnachrichtendienst (BND) und weiteren Sicherheitsbehörden vorliege.

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Tatsächlich war kurz vor Abschluss der Recherchen von SZ, Zeit und ARD für die Rekonstruktion des Andromeda-Törns bereits die Information aufgetaucht, Polen habe Hinweise auf mögliche russische Täter geliefert. Wie aus dem Nichts übermittelten polnische Geheimdienstler Deutschland demnach kurz vor dem Jahrestag der Explosionen offenbar eine Liste mit Namen - darunter auch mehrere russische. Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten umgehend damit begonnen, sich einen Reim auf die überraschende Information zu machen, mahnten aber zur Vorsicht: Die Liste ändere im Grunde nichts an den bisherigen Ermittlungsergebnissen, die vor allem in Richtung Ukraine deuteten.

Polen hatte bereits im Frühjahr Pässe mit Passnummern übermittelt, die bei einer Kontrolle der Andromeda vermutlich am 19. September 2022 in Kolberg protokolliert worden waren: fünf bulgarische Namen, darunter der mutmaßliche Skipper "Mihail Popov". Nach Ansicht des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundespolizei soll es sich um Falschpersonalien gehandelt haben - eine Masche, der sie selbst bei ihren Ermittlungen zur Anmietung der Andromeda bereits begegnet waren. Auch hier passten Fotos und Daten nicht zu den Personen, die sich hinter den Angaben angeblich verbargen.

Der für die Koordination der polnischen Geheimdienste zuständige Staatssekretär Stanisław Żaryn wies im Interview mit SZ, Zeit und ARD aufgrund der Erkenntnisse aus dieser Kontrolle jede Beteiligung der Andromeda an den Anschlägen sehr entschlossen zurück. Weder sei die Yacht für eine solche Operation geeignet, noch sei an Bord irgendjemand aufgefallen, "der nur im Ansatz eine militärische oder sabotagebezogene Ausbildung hätte". Die Crew habe lediglich "Spaß haben" wollen.

Und nun doch russische Täter? Nach Informationen von SZ, Zeit und ARD spekuliert Polen offenbar, mehrere Männer, die zumindest teilweise auf der Andromeda gewesen sein sollen, würden die russische Staatsbürgerschaft besitzen und könnten Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst pflegen. Deutsche Ermittler stehen dem angeblich skeptisch gegenüber. Deutschland und Polen liegen - auf der Arbeitsebene der Ermittler - nach deren Erkenntnis näher beieinander als bislang angenommen, was den Verdacht der Beteiligung eines ukrainischen Kommandos an der Nord-Stream-Sprengung angeht. Daran habe auch die Übermittlung der rätselhaften Liste nichts geändert - die zudem in den polnischen Wahlkampf fällt.

Tatsächlich wäre dort eine Beteiligung des Nachbarlands Ukraine schwerer zu erklären als eine Täterschaft Russlands, die das bestehende Feindbild bedienen würde. Und: Wenn die Ukraine die Röhren gesprengt hätte, weil Nord Stream sie von den lukrativen Durchleitungsgebühren für Gas aus Russland nach Deutschland abgeschnitten hätte, gälte dieses Motiv nicht auch für Polen?

Die Auskunft der Polen kommt auch deshalb überraschend, weil die Zusammenarbeit bisher eher schleppend gelaufen sein soll. So würden die polnischen Kollegen, klagten deutsche Ermittler, angeblich vorhandenes Videomaterial aus jener Marina von Kolberg nicht zur Verfügung stellen - und auch sonst auf Hilfeersuchen aus dem Ausland nur sehr zurückhaltend reagieren.

Die deutschen Behörden waren über die Verfolgung von Geldflüssen bei der Bezahlung der Yachtmiete zu einer in Polen registrierten, mutmaßlich von Ukrainern betriebenen Briefkastenfirma gelangt - und, so berichteten SZ, Zeit und ARD im vergangenen September, zu einer Handvoll verdächtiger Personen. Einigen von ihnen hatte das Reporterteam hinterherrecherchiert und sie mit dem Verdacht konfrontiert - alle bestritten eine Beteiligung an den Anschlägen auf Nord Stream. Mitte September hatte Generalbundesanwalt Peter Frank im Bundestag erklärt, es sei noch nicht gelungen, die Besatzung zweifelsfrei zu identifizieren.

Daran dürfte auch die neue Information aus Polen nichts geändert haben, selbst wenn sie russische Namen enthält. Denn auch das kann alles oder nichts bedeuten: Nach russischen Angaben wollen russische Behörden nur vier Tage vor der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines einen ähnlichen Anschlag auf die Röhren der Turkstream-Pipeline zwischen Russland und der Türkei verhindert haben. Festgenommen worden sei damals ein Russe, der angeblich vom ukrainischen Geheimdienst angeworben worden sei. Belege dafür lieferte Russland nie.

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