Nachhaltiger Städtebau:Wie Singapur zur grünen Stadt wurde

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Himmelsgärten, hängende Pflanzenwände und spiegelnde Wasserbecken: Das Hotel Parkroyal on Pickering ist ein Vorzeigeprojekt für vertikale Begrünung. (Foto: Carola Frentzen/dpa)

Fast sechs Millionen Einwohner auf kleinstem Raum - das lässt normalerweise kaum Platz für Natur. Anders in Singapur: Hier grünt und blüht es. Gerne auch an Wolkenkratzern.

Von Carola Frentzen, dpa

Singapur (dpa) - Gründungsvater Lee Kuan Yew hatte für Singapur in den 1960er Jahren eine Vision: Eine Gartenstadt sollte entstehen, grün und lebenswert trotz dichter Besiedelung. Das Resultat jahrzehntelanger Planung kann sich sehen lassen. Der südostasiatische Stadtstaat ist eine der grünsten Metropolen der Welt und führend in nachhaltigem Gebäudedesign.

Ob vertikale Dschungel an Häuserfronten oder die 18 futuristischen Supertrees, auf deren Metallgerüsten mehr als 160.000 Pflanzen wuchern: Wenn es darum geht, seine Vorreiterrolle als ökologischer Innovator zu demonstrieren, dann kleckert Singapur nicht. Es klotzt.

Die nächsten Ziele sind bereits gesteckt und extrem ehrgeizig: Aus der Gartenstadt soll eine Stadt in einem Garten werden, wie Premier Lee Hsien Loong 2012 erklärte. „Es ist ein Wortspiel, und es bedeutet, unsere Gemeinschaften, unsere Orte und Räume durch Parks, Gärten, Straßenlandschaften und himmelhohe Begrünung zu verbinden.“ Mittlerweile gehen die Behörden noch weiter: Der „Green Plan 2030“ gibt vor, wie bis zum Ende des Jahrzehnts die Transformation in eine „City in Nature“ (Stadt in der Natur) gelingen soll.

Blick auf Grün aus jedem Fenster

„Manche bemängeln, dass die Menschen in Singapur auf engem Raum leben, fast alle ohne eigenen Garten“, sagt Gee Soo, der für das Unternehmen „Hello! Singapore Tours“ als Stadtführer arbeitet. „Aber denen sage ich: Leute, die ganze Stadt ist mein Garten!“ Egal aus welchem Fenster man schaue, immer blicke man auf Grün.

Auch die Deutsche Kerstin Vieth, die seit elf Jahren in Singapur lebt, weiß die Vorzüge im Vergleich zu asiatischen Betonwüsten wie Bangkok oder Jakarta zu schätzen: „Manchmal hat man mitten in der Stadt das Gefühl, im Regenwald zu sein, wie etwa im MacRitchie Reservoir Park mit seinem tollen TreeTop Walk in den Baumkronen.“

Die Bereitstellung von Grünflächen sei integrativer Teil der Entwicklungspläne für die Stadt, „um sicherzustellen, dass ihre Begrünung mit der Urbanisierung Hand in Hand geht“, sagt Chua Yen Ling vom National Parks Board (NParks). Das Regierungsgremium ist verantwortlich für die Verbesserung und Verwaltung der städtischen Ökosysteme und die federführende Agentur für Grünflächen und den Erhalt der biologischen Vielfalt. Unter anderem ist festgelegt, dass beim Straßenbau Platz für Baumpflanzung und überall genügend Grundstücke für Parks und Gärten reserviert werden müssen.

Selbst der Flughafen gleicht einer Oase

Zudem sollen bis 2030 eine Million neue Bäume gepflanzt werden. Dabei werden hitzegeplagte Regionen sowohl auf der Hauptinsel als auch auf den vorgelagerten Inseln besonders berücksichtigt, wie Ling erläutert. Denn Bäume spenden dringend notwendigen Schatten. Vor allem aber soll in Zukunft kein Bürger mehr weiter als zehn Minuten Fußweg von einem Park entfernt wohnen. Hunderte Kilometer lange Routen sollen die verschiedenen Grünanlagen direkt miteinander verbinden.

Wohin die Reise geht, zeigt schon der Flughafen: Am Changi Airport entstand 2019 „The Jewel“, ein gläserner Rundbau mit 280 Restaurants und Geschäften und einem 40 Meter hohen, runden Indoor-Wasserfall, der aus der gläsernen Decke spektakulär in die Tiefe rauscht. Umgeben ist er von hängenden Terrassengärten voller Palmengewächse, Farne und Orchideen.

Das Wasser stammt aus Tanks, die Regenwasser auffangen. Nachhaltiger Nebeneffekt: Das kühle Nass befeuchtet auch die Pflanzenpracht. „Wie von einem anderen Stern“, raunt eine Besucherin.

Grüner Flughafen: Am Changi Airport entstand 2019 „The Jewel“, ein gläserner Rundbau, der unter anderem einen spektakulären Indoor-Wasserfall beherbergt. (Foto: Carola Frentzen/dpa)

Apropos Orchideen. Singapur hat auch seiner Nationalblume eine rekordverdächtige Oase geschenkt: Der „National Orchid Garden“ beherbergt die größte Sammlung der Welt und ist führend in der Kunst der Hybridzucht. Wenn Monarchen, Minister oder Staatschefs anreisen, startet die Regierung regelmäßig eine blumige Charmeoffensive und benennt neue Orchideenarten nach ihnen. Eine besondere Ehrung, denn kaum etwas repräsentiert Singapur besser als eine solche exotische Pflanze. Eine „Dendrobium Frank-Walter Steinmeier“ gibt es auch schon.

Singapur hat das größte Glasgewächshaus der Welt

Klar, am Äquator mit seinem feuchtheißen Klima blüht und gedeiht es ohnehin leichter als in trockeneren Erdregionen. Aber diese Lust am Wachsen und Wuchern geschickt in eine Großstadt zu integrieren, ist eine Kunst. Dass dies auch vertikal gelingen kann, zeigt das 2013 eröffnete Hotel „Parkroyal on Pickering“. Durch das Gebäude ziehen sich Himmelsgärten, hängende Pflanzenwände und spiegelnde Wasserbecken. Auf stolzen 15.000 Quadratmetern wachsen 50 verschiedene Arten, darunter viele exotische wie Monsteras, Alokasien und Calatheas.

Nirgendwo werden Singapurs revolutionäre Begrünungstechniken aber besser zur Schau gestellt als in der Parkanlage Gardens by the Bay. Herzstück sind neben den in aller Welt bekannten Supertrees zwei gigantische Gewächshäuser. Im „Cloud Forest“ wandeln Besucher durch einen angenehm kühlen Nebelwald samt eines 35 Meter hohen Berges mit Innenwasserfall, der mit Bromelien und Farnen übersät ist.

Herzstück der Parkanlage Gardens by the Bay sind sogenannte Supertrees. An den futuristischen Metallbäumen wachsen Zehntausende Pflanzen. (Foto: Carola Frentzen/dpa)

Im 1,28 Hektar großen „Flower Dome“ mit zehntausenden Blumen herrscht hingegen ein gemäßigtes Klima. Seit 2015 ist das Wunderwerk im Guinness Buch der Rekorde - als größtes Glasgewächshaus der Welt.

Viele Mülltonnen sind solarbetrieben

Alles funktioniert in einem Kreislauf: „Die vielen Gartenabfälle, wie vertrocknetes Laub, werden gesammelt und in einem Biomassekessel verbrannt“, erzählt Stadtführer Gee Soo. „Die Energie wird dann zur Kühlung der Treibhäuser genutzt.“ Auch hier wird Regen aufgefangen, von Wasserpflanzen gereinigt und zur Bewässerung verwendet.

Übrigens verfügen viele Stadtteile bereits über solarbetriebene Mülltonnen - sogenannte Smart bins: Sie melden der Müllabfuhr automatisch, wenn sie voll sind und dienen gleichzeitig als Wlan-Hotspot. Und der öffentliche Nahverkehr ist nicht nur effizient, sondern auch günstig: Keine Fahrt kostet mehr als 2,10 Singapur-Dollar (1,45 Euro). Das trägt zur Verkehrsentlastung bei.

Bei allem Lob für so viel Umweltbewusstsein kritisieren Menschenrechtler auch eine zunehmende Autokratie und die vielen repressiven Gesetze. Seit dem Ende der Kolonialzeit regiert eine einzige Partei, die People’s Action Party. „Aber why change a winning team?“, fragt Gee Soo. Viele Bürger stünden hinter den Ideen der Regierung - speziell mit Blick auf deren grüne Revolution.

In der für alle frei zugänglichen, interaktiven Galerie des URA Centre (Urban Redevelopment Authority) können sich Interessenten jederzeit bei einem Rundgang informieren, was die Behörden für die Zukunft planen - und was schon Realität ist. Viele Schulklassen tummeln sich hier am Morgen - Naturschutz und Begrünung gehören in Singapur zum Lehrstoff, bereits für die Kleinsten.

Wenn es dann Nacht wird und die Supertrees in einer „Garden Rhapsody“ zum Leben erwachen, macht Singapur einmal mehr deutlich: Technologie, Nachhaltigkeit und Natur sind keine Gegensätze, sondern miteinander vereinbar. Mehr noch: Sie können auch in einer Großstadt eine Symbiose bilden. Den Strom für die spektakuläre Lichtshow, bei der die Baum-Giganten im Einklang mit der Musik zu tanzen scheinen, produzieren die Supertrees dank vieler Photovoltaikzellen selbst.

© dpa-infocom, dpa:231026-99-706691/6

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