Nach dem Terrorverdacht in Chemnitz:CSU und AfD säen gefährliches Misstrauen

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Das Handeln Einzelner lässt sich nicht auf alle Flüchtlinge münzen. Ein genereller Betrugs- und Terrorverdacht ist gefährlich. (Foto: Getty Images)

So erleichtert die Polizei über die Festnahme des Verdächtigen von Chemnitz ist, so besorgt sollte die Politik sein: Populistische Botschaften befördern die Unsicherheit der Bürger, Mäßigung im Ton tut not.

Kommentar von Bernd Kastner

Am Ende sind es ausgerechnet drei Syrer, die zu Helden werden. Die sächsische Polizei will einen mutmaßlichen Bombenbauer festnehmen, er stammt aus Syrien; die Fahnder observieren ihn, er spaziert davon, ein Beamter gibt einen Warnschuss ab, doch der Mann ist weg, zurück bleibt gefährlichster Sprengstoff. Die Polizei buddelt ein Loch in eine Wiese und bringt ihn zur Explosion. Das ganze Land sucht jetzt den Syrer, zwischenzeitlich ist der Bahnhof von Chemnitz abgeriegelt, und es dauert viele Stunden, ehe die Polizei twittert, wie "geschafft, aber überglücklich" sie sei: Gefasst! Drei Syrer haben den Gesuchten gemeldet und übergeben, gefesselt.

Das Wochenende in Sachsen ist Teil einer Routine, die das Lebensgefühl in Deutschland zu prägen beginnt. Wieder wurde ein schwerer Anschlag offenbar gerade noch verhindert. Der Showdown wird das Land weiter polarisieren: Wir haben ja schon immer gesagt, wie gefährlich Flüchtlinge sind, krakeelen die einen. Und dass die Polizei unfähig ist, wenn sie so einen Verdächtigen nicht gleich schnappt. Die anderen loben die gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und natürlich die mutigen Syrer aus dem Plattenbau. Sie werden noch stärker ans Gute im Menschen glauben, in dem Fall ans Gute im Syrer. Das Vertrauen wird wachsen, ebenso das Misstrauen. Hier das Gefühl der Unsicherheit, dort der Sicherheit.

So glücklich die Polizei sein darf, so besorgt muss die Politik über die Polarisierung der Bürger sein. Wie lässt sich das Vertrauen in den Staat, seine Organe und die Politik nachhaltig stärken? Wie ist speziell die Flüchtlingspolitik zu gestalten und zu vermitteln, damit nicht bald kollektives Misstrauen alles beherrscht?

Markus Söder, der bayerische CSU-Heimatminister, möchte am liebsten die Bürger selbst bestimmen lassen, welche Asylpolitik sie gerne hätten. Die Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden ist nicht neu, und derzeit lässt sie sich besonders gut verkaufen. Dieses Thema ist immer eine Diskussion wert, aber es wäre unklug, ja, gefährlich, diese grundsätzliche System-Frage mit der aufgeregten Debatte um die Asylpolitik zu vermischen.

Jeder soll jede Meinung haben. Aber auf den Ton kommt es an

Vertrauen lässt sich schneller und effektiver wiederherstellen, es genügen ganz einfache Schritte. Die Behörden, von den Bundesministerien bis zu den Rathäusern in der Provinz, müssen den Weg weitergehen, den sie vor einem Jahr eingeschlagen haben, als an den Grenzen Chaos war. Sie müssen alle Neuankommenden registrieren, schnell und gut unterbringen. Sie müssen alle prüfen, Passfälscher noch genauer, und diese auch sanktionieren. Und ja, sie müssen solche, die nicht schutzbedürftig sind, auch abschieben. Das alles funktioniert längst nicht perfekt, aber jeden Monat besser.

Ganz anders verhält es sich auf politischer Ebene. Dass hier laut und hart diskutiert wird über Asyl und Sicherheit, wie seit vielen Jahren nicht mehr, ist nicht das Problem. Das Land ist politisiert, ehemalige Nichtwähler gehen wieder zur Urne, das ist gut so. Was aber dem Klima so schadet, ist der Ton, in dem einige Verantwortliche ihre Argumente vorbringen. Das gilt für die AfD und ihre extrem rechten Verbündeten auf der Straße, das gilt aber auch für manch Verantwortlichen aus staatstragenden Parteien, allen voran aus der CSU.

Deren Subtext vermittelt den Bürgern allzu oft: Für uns sind Flüchtlinge zunächst "Asylbetrüger", wir wollen sie nicht, wir halten sie euch vom Hals, wenn ihr uns wählt. Dieser Subtext provoziert Reaktionen auf der Gegenseite, er vergiftet nachhaltig das Klima. Wenn Horst Seehofer jetzt fordert, alle Flüchtlinge, auch die, die längst in Deutschland leben, nachträglich lückenlos zu überprüfen, dann ist das im Kern diskussionswürdig. Im Subtext aber steht: Achtung, jeder Flüchtling könnte ein Terrorist sein. Solche versteckten Botschaften befördern Unsicherheit, sie stärken den Glauben nicht in die Regierungsparteien, sondern an die gefährlichen Versprechen der Populisten.

Eine Mäßigung im Ton würde auch den Behörden die Arbeit erleichtern, würde das Vertrauen der Bürger in "die da oben" stärken, wenn sie spüren, dass die Verantwortlichen nicht taktieren, sondern um die beste Lösung ringen. Es ließe sich ruhiger über die Realität im Deutschland des Jahres 2016 sprechen: Ja, die Gefahr eines Anschlags besteht, sie ist aber seit dem Wochenende nicht größer geworden. Es gibt Gefährder unter den Flüchtlingen, aber ihr Anteil ist nach wie vor verschwindend gering. Pannen passieren, aber insgesamt macht die Polizei sehr gute Arbeit. Und wenn Einwohner helfen, einen mutmaßlichen Terroristen dingfest zu machen, hat nicht nur die Polizei allen Grund, "überglücklich" zu sein.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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