Migration und Entwicklung:"Wir können euch nicht schützen"

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Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, am Sonntag in Rom. Sie ist Gastgeberin der internationalen Konferenz über Migration. (Foto: Cecilia Fabiano/dpa)

Während die Gewalt gegen Flüchtende in Tunesien und Libyen eskaliert, sucht Italien mit einer großen Konferenz in Rom neue Wege im Kampf gegen "illegale Migration".

Von Marc Beise und Mirco Keilberth, Rom, Tunis

Die italienische Regierung ergreift in der Migrationskrise die Initiative für eine größer angelegte Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten des Mittelmeers - das ist das Signal, das Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Sonntag senden wollte. Nahezu im Alleingang hatte Rom eine Konferenz organisiert, an der unter anderem 13 Staats- und Regierungschefs und die Chefs wichtiger internationaler Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Welternährungsorganisation FAO teilnahmen. Anders als teilweise angekündigt, blieben allerdings die Regierungschefs von Griechenland, Spanien und Frankreich fern, wohl aber war die EU-Spitze vertreten.

Anwesend waren zu stundenlangen "Arbeitssitzungen" im italienischen Außenministerium, der Farnesina, fast alle südlichen Anrainerstaaten des erweiterten Mittelmeers, des Nahen Ostens und des Arabischen Golfs, auch Staaten der Sahelzone und vom Horn von Afrika, kurz: alle jene Staaten, aus denen die Menschen stammen, die sich zahlreicher denn je auf die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer nach Europa machen. In diesem Jahr kamen bereits mehr als 85 000 über diesen Weg nach Italien, im ganzen Jahr 2022 waren es 34 000 gewesen.

Meloni betonte am Abend, dass man gemeinsam versuchen wolle, die "illegale Migration" in den Griff zu bekommen und den Menschenhandel zu bekämpfen, dass dafür aber eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern notwendig sei, aus denen die Flüchtenden kommen, oder in denen sie auf ihre Chance warten, den Weg nach Europa zu finden. Italien wolle als Brücke übers Mittelmeer fungieren. Beraten wurde über den Aufbau von Partnerschaften und Projekte in Bereichen wie Landwirtschaft, Infrastruktur und Gesundheit. Weitere Konferenzen sind geplant.

Italien und die EU sind bisher damit gescheitert, die Flüchtenden aufzuhalten. Zuletzt hatte die EU auf Melonis Druck ein Abkommen speziell mit Tunesien geschlossen, das finanzielle Hilfe vorsieht, wenn Tunesien im Gegenzug die Flüchtenden von der Überfahrt nach Europa abhält. Meloni und ihr Außenminister Antonio Tajani waren wiederholt in verschiedenen Staaten Afrikas, um dort Ähnliches zu verhandeln.

Migranten werden bei Temperaturen von weit über 40 Grad ohne Wasser ausgesetzt

Libyen und Tunesien setzen die neue Strategie allerdings bereits erbarmungslos um. Libysche Grenzbeamte beobachteten am Freitag erneut eine Gruppe von Migranten, die von tunesischen Behörden in der Wüste zwischen beiden Ländern ausgesetzt worden waren. Patrouillen der Nationalgarde folgten den aus Subsahara-Afrika stammenden Menschen, um sie an der Rückkehr in die Städte Sfax und Zarzis zu hindern. In den beiden Küstenstädten wurde letzte Woche ein Reiseverbot für Migranten erlassen. Allerdings klagen auch legal in Tunesien lebende westafrikanische Studenten über eine zunehmende Diskriminierung und gegen alle dunkelhäutigen Menschen im Land.

Die mit Bussen aus Sfax gebrachten Migranten werden bei Temperaturen von weit über 40 Grad ohne Wasser und Nahrungsmittel ausgesetzt. Das von einem libyschen Armeeoffizier aufgenommene Bild einer Mutter, die zusammen mit ihrer zwölfjährigen Tochter an der tunesischen Grenze verdurstet aufgefunden worden war, sorgte in sozialen Medien für Empörung.

Die von Hilfsorganisation in Schulen eingerichteten Notquartiere in den Städten Tataouine und Gen Guardene sollen nach Protesten der Bevölkerung wieder geschlossen werden. "Wir befinden uns ständig in Bewegung", sagt Kabao Melgri der SZ in Sfax. Der 34-jährige Migrant aus der Guinea sagt, er habe bei dem Angriff eines wütenden Mobs seinen Pass und alle Habseligkeiten verloren. "Ich habe mich von der Grenze zurück nach Sfax durchgeschlagen, nun verstecke ich mich und versuche, einen Platz auf einem Boot nach Europa zu ergattern."

Obwohl die tunesischen Behörden angekündigt hatten, alle illegal im Land lebenden Migranten in ihre Heimat auszufliegen, ist dies bisher kaum geschehen. Sogenannte Repatriierungen werden normalerweise von den für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten zuständigen Organisationen der Vereinten Nationen durchgeführt; diese bleiben aber gegenwärtig weitgehend im Hintergrund.

"Steigt lieber in ein Boot nach Europa", sollen lokale UNHCR-Mitarbeiter geraten haben

Weil viele private Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit vor Ort von den großen UN-Organisationen abhängen, ist von ihnen nur selten Kritik an deren Arbeit zu hören - das gilt auch für Libyen. Aber Betroffene berichten, dass die UN-Organisationen nicht wirklich helfen. Und die niedrige Zahl der Repatriierungen von Migranten und die weiterhin unmenschlichen Bedingungen in libyschen Gefängnissen bestätigen das. Mehr noch: "Steigt lieber in ein Boot nach Europa", hätten ihnen lokale UNHCR-Mitarbeiter gesagt, berichten sie: "Wir können euch nicht vor den Milizen und Schmugglern schützen."

Die verschiedenen Machthaber Libyens sind eigentlich bereits Partner der EU bei der Bekämpfung "illegaler Migration". Milizenführer Khalifa Haftar ist Gesprächspartner der römischen Regierung, obwohl seine Armee für diverse Kriegsverbrechen während des Angriffes auf Tripolis verantwortlich gemacht wird. Es ist auch bekannt, dass Haftars Offiziere Boote mit ägyptischen Migranten an Bord aus Tobruk und anderen Hafenstädten ablegen ließen. Die schwierige wirtschaftliche Lage in Ägypten lässt Experten erwarten, dass die Zahl der nach Europa Flüchtenden bald noch einmal dramatisch steigen wird.

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