Flucht und Migration:Weniger Geld für Asylbewerber?

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Geflüchtete vor einer Unterkunft in Hamburg. Ein Vorschlag zweier FDP-Minister zielt auf den Grundbedarf, der jedem Asylbewerber verfassungsmäßig garantiert ist. (Foto: Marcus Brandt/DPA)

Die FDP-Minister Lindner und Buschmann finden, Deutschland sei zu attraktiv für Geflüchtete. Sie schlagen vor, Leistungen zu kürzen. Selbst der von der Verfassung garantierte Grundbedarf sei zu viel.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Weniger Geld für Asylbewerber, Absenkung der Leistungen nach Möglichkeit quasi "auf null" - mit diesem Vorschlag haben führende FDP-Politiker die nächste Runde in der Migrationsdebatte eingeläutet. In einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag forderten Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (beide FDP), bei der Auszahlung von Leistungen an Schutzbedürftige in Deutschland "Spielräume" zu nutzen. Bei der Höhe des Grundbedarfs fürs tägliche Leben, aber auch bei der Dauer des Leistungsbezugs könnten Kürzungen vorgenommen werden. "Unter besonders engen Voraussetzungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf 'null' denkbar."

Lindner und Buschmann kritisieren in ihrem Beitrag, dass die Bundesrepublik Geflüchteten höhere Sozialleistungen garantiere als andere EU-Länder. Die "vergleichsweise großzügig" gestaltete Asylgesetzgebung mache Deutschland international attraktiv und erhöhe die Zahl irregulärer Einreisen. "Fakt ist, dass zu viele Menschen nach Deutschland kommen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind", heißt es in dem Beitrag. "Zu den Pull-Faktoren in Deutschland gehört auch das Niveau der Sozialleistungen." Wer vorschlage, sie abzusenken, werde regelmäßig "mit pauschalen Verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgeblockt". Lindner und Buschmann aber sehen hier noch Lücken, die Absenkung des Leistungsniveaus sei "möglich".

Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass das Existenzminimum gewahrt bleiben muss

Ihr Vorschlag zielt auf den Grundbedarf, der jedem Asylbewerber verfassungsmäßig garantiert ist. Er muss hoch genug sein, um das Existenzminimum zu sichern, und zwar für alle Menschen in Deutschland. Dazu gab es mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Das physische Existenzminimum umfasst laut Asylbewerberleistungsgesetz den notwendigen Bedarf wie Lebensmittel, Getränke, Kleidung, Schuhe und Gesundheitspflege. Für Alleinstehende oder Alleinerziehende der Bedarfsstufe 1 liegt der Anspruch hier bei monatlich 182 Euro. Dazu kommt das soziokulturelle Existenzminimum, also der notwendige persönliche Bedarf. Er liegt bei 228 Euro und umfasst Kosten für Verkehrsmittel, Nachrichtenübermittlung, Freizeit, Unterhaltung und Teilhabe an Kulturveranstaltungen.

Hier wollen Lindner und Buschmann den Rotstift ansetzen. Die individuellen Bedarfe könnten "kritisch hinterfragt" werden. Der "einschlägige Warenkorb" umfasse auch Leistungen für die Nutzung von Festnetzanschlüssen, Eintrittsgelder für Kultur- und Freizeitveranstaltungen oder für Zeitungen und Zeitschriften. "Man kann mit guten Gründen bezweifeln, ob für Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung, die mit Medien häufig in Gemeinschaftsräumen versorgt werden, solche Ausgaben wirklich anfallen."

Spielräume gebe es aber auch bei der Dauer der Zahlungen. Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben derzeit nach 18 Monaten Anspruch auf das etwas höhere Bürgergeld und reguläre Gesundheitsversorgung. Der Zeitraum bemesse sich an der unterstellten Zeit bis zur Klärung der Asylansprüche, so Lindner und Buschmann. Tatsächlich dauerten viele Verfahren aber länger, rund zwei Jahre. Die FDP-Politiker schlagen nun vor, das Bürgergeld erst nach der "rechtskräftigen Klärung des Aufenthaltsstatus" auszuzahlen. Ein langes Asylverfahren wäre damit von finanziellem Nachteil für Migranten.

Eine Absenkung "quasi auf null" sei in bestimmten Fällen denkbar

Aber auch eine Absenkung quasi auf "null" sei denkbar: bei sogenannten Dublin-Fällen. Laut Dublin-Verordnung ist für jeden Asylbewerber und seine Versorgung das Land zuständig, in dem er die EU als Erstes betreten hat. Weil diese Regelung typische Erstankunftsstaaten wie Italien oder Griechenland benachteiligt, winken sie Flüchtlinge in großem Stil durch. Lindner und Buschmann schlagen nun einen Leistungsstopp für Menschen vor, die sich "weigern", den Schutz dort in Anspruch zu nehmen, wo er ihnen zusteht. "In diesen Fällen wäre es denkbar, die Leistung auf die Erstattung der notwendigen Reisekosten in den zuständigen Staat abzusenken." Solche Sanktionen seien im Sozialrecht zulässig, "wenn zumutbare Mitwirkungshandlungen" unterlassen würden.

Der Vorschlag, das wissen die FDP-Politiker, dürfte auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Denn Karlsruhe hat mehrfach entschieden, die Sicherung des "menschenwürdigen" Existenzminimums müsse für alle Menschen in Deutschland gewährleistet sein, auch für Asylbewerber. Das Bundesverfassungsgericht bezog sich dabei unter anderem auf Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, und auf das Sozialstaatsprinzip. Der Anspruch wurde also sehr hoch aufgehängt.

In einer Entscheidung vom vergangenen Herbst wies Karlsruhe zudem einen Vorstoß der Union zurück, die Grundleistungen für Asylbewerber noch weiter als ohnehin schon zu kürzen. CDU und CSU hatten argumentiert, bei gemeinschaftlichem Kochen in Asylbewerberheimen fielen zehn Prozent niedrigere Kosten an, deshalb könne eine niedrige "Sonderbedarfsstufe" für Asylbewerber in Heimen eingeführt werden.

Die Grünen wollen lieber in die Infrastruktur investieren

Verfassungswidrig, befand Karlsruhe. Eine solche pauschale Absenkung der Leistungen sei nicht verhältnismäßig. Der Staat sei "im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass existenzsichernde Mittel zur Verfügung stehen". Zudem habe der Gesetzgeber bisher keine nachvollziehbaren Daten vorgelegt, welche konkreten "Synergie- und Einspareffekte in Sammelunterkünften" es überhaupt gebe. Asylrechtsexperten gehen davon aus, dass sich die Karlsruher Haltung so schnell nicht ändert. Wo auf Verfassungsgrundsätze verwiesen werde, seien Sozialleistungen in anderen EU-Ländern, aber auch politische Wünsche aus Berlin nachrangig.

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Aus Sachsen kam am Wochenende Zustimmung zum Vorschlag aus der FDP. "Wir wissen, dass auch die Sozialstandards ein wesentlicher Grund für die illegale Migration nach Deutschland sind", erklärte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er unterstütze die Kürzungen von Sozialleistungen und erwarte bei der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November entsprechende Vorschläge des Bundeskanzlers. Die Grünen distanzierten sich. Man erlebe einen "Wettlauf rhetorischer Eskalation", sagte Fraktionsvize Andreas Audretsch dem Tagesspiegel. Nötig sei stattdessen finanzielle Unterstützung für Kommunen, um in Infrastruktur, Bildung, Kitas und Wohnungen zu investieren.

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