Bundestagsdebatte zu Migration:Der interessanteste Satz geht im Getümmel fast unter

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Der wohl interessanteste Satz der Innenministerin droht im Getümmel unterzugehen: "Zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität kann es auch partiell notwendig sein, stationäre Grenzkontrollen durchzuführen." (Foto: ODD ANDERSEN/AFP)

Beim Streitthema Migration gibt es im Bundestag Möglichkeiten zur Annäherung: Die Union verzichtet auf ihre schärfsten Forderungen. Innenministerin Faeser hält stationäre Grenzkontrollen für möglich. Trotzdem verhaken sich Regierung und Opposition wieder in gegenseitigem Gepolter.

Von Constanze von Bullion

Es wird natürlich laut in dieser Debatte, vor allem in den Reihen der Union. Es wird gebrüllt aus den hinteren Reihen und vom Rednerpult zurück gepoltert. "Fake News!", "Populismus!", "Chaos!", so geht das. Eindrucksvoller als die gegenseitigen Schmähungen allerdings kann man diese Ratlosigkeit finden, die das Parlament beim Thema Migration befällt. Denn wie das gehen s0ll, gemeinsam voranzukommen, kann da niemand erklären.

Freitagvormittag im Plenum des Bundestags, auf Antrag von CDU und CSU wird hier ein Vorhaben diskutiert, das kürzlich der Bundeskanzler angestoßen hat. Olaf Scholz hatte der Opposition einen "Deutschlandpakt" angeboten, um drängende Probleme der Gegenwart zu lösen, gemeinsam, statt einander zu blockieren. CDU und CSU wollen den Kanzler nun beim Wort nehmen und haben in einem Bundestagsantrag ihre Vorschläge eines Deutschlandpakts auf dem Streitfeld Migration vorgelegt.

Kurz gefasst sieht der Antrag vor, die "irreguläre Migration spürbar zu reduzieren, um Bund, Länder und Kommunen zu entlasten". Um Asylverfahren abzukürzen, fordern CDU und CSU, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht nur um Georgien und Moldau zu erweitern, wie die Bundesregierung das vorhat. Auch Indien, Tunesien, Marokko und Algerien sollen als Staaten eingestuft werden, in die Asylbewerber ohne menschenrechtliche Bedenken - und möglichst schnell - abgeschoben werden könnten. Wie an der Grenze zu Österreich will die Union zudem an den Übergängen zu Polen, Tschechien und der Schweiz wieder stationäre Grenzkontrollen. Außerdem müssten freiwillige Aufnahmeprogramme gestoppt und mehr Rücknahmeabkommen mit relevanten Herkunftsstaaten abgeschlossen werden.

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Dass der Antrag von CDU und CSU auf die schärfsten Forderungen der eigenen Leute verzichtet, ist in den Regierungsparteien zunächst wohlwollend registriert worden. Weder postuliert die Union in ihrem Antrag die Abschaffung des individuellen Anspruchs auf Asyl, wie sie der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), gefordert hatte. Auch eine Obergrenze für Asylbewerber, die CSU-Chef Markus Söder vorgeschlagen hatte, hat ihren Weg nicht in den Unionsantrag gefunden. Auf unrealistische Maximalforderungen wollte man verzichten. Das ließe sich als ausgestreckte Hand an die Ampel-Parteien verstehen. Nur dass in der Debatte aus einer Annäherung halt nichts wird.

Denn schon ihr Auftakt gerät scharf. Die Vertreter demokratischer Parteien liegen sich in den Haaren, die AfD schaut zu. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beispielsweise knöpft sich aus alter Gewohnheit die Regierungsparteien vor. Die Grünen blockierten bei den sicheren Herkunftsstaaten, schimpft er, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei gegen Grenzkontrollen nach Polen und Tschechien und wolle auch noch den Familiennachzug für Geflüchtete erleichtern. Auch die Pläne zu einem verschärften Schutz der EU-Außengrenzen bringe die Ministerin nicht voran, warf Dobrindt Faeser vor. Im Gegenteil. "Sie sitzen auf der europäischen Ebene nicht im Triebwagen, sondern Sie sitzen im Bremserhäuschen." Die Innenministerin spreche von Reduzierung irregulärer Einreisen, sei in Wirklichkeit aber "das Trojanische Pferd zur Verschärfung der Migrationskrise".

In ähnlich gereiztem Ton geht es weiter. Eigentlich habe sie Dobrindt ja loben wollen für den Unions-Antrag, gibt Innenministerin Faeser zurück. Aber jetzt: Die Union spreche von "substanziellen Lösungen", die von ihr gestellten Innenminister hätten in 16 Regierungsjahren aber "eben keine substanziellen Lösungen vorgelegt", sondern seien gescheitert, auch bei der Reform des europäischen Asylsystems. "Das Gerede" von Unionsfraktionschef Friedrich Merz über Sozialtouristen aus der Ukraine oder das "Remake" der Obergrenze von Markus Söder, "all das ist Populismus pur und stärkt nur die Rechtsextremen", wettert Faeser.

Nur dass eben auch die Innenministerin nicht erläutern kann, wie so ein Schulterschluss demokratischer Kräfte gegen den Rechtstrend aussehen könnte. "Diese Bundesregierung handelt. Sie reden nur", ruft sie in Richtung Union. Von Untätigkeit der Regierung in Asylfragen könne keine Rede sein, auch Erleichterungen beim Familiennachzug plane sie nicht.

Mehr als 56 000 unerlaubte Einreisen habe die Bundespolizei bis Ende Juli registriert und 1300 Fälle Grenzübertritte mit Schleusern, rechnet die Innenministerin vor. "Verbrecher" seien das, die "Menschenleben aufs Spiel setzen". Der Staat sei hier "auf allen Ebenen gefordert". Deshalb habe sie die Bundespolizei insbesondere an der Grenze zu Polen und Tschechien mit mehreren Hundertschaften aufgestockt, plane mit den beiden Ländern eine Taskforce gegen Schleuserkriminalität. Die Schleierfahndung, also mobile Polizeieinheiten, die in Grenznähe operieren, seien "sehr viel effektiver" als stationäre Kontrollen, "weil sie dazu führen, dass wir an vielen Stellen an der Grenze gleichzeitig Kontrollen durchführen können", sagt Faeser. Jetzt wird es laut in den Reihen der Union. So laut, dass der wohl interessanteste Satz der Ministerin im Getümmel unterzugehen droht. "Und ja", sagt sie irgendwann, "zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität kann es auch partiell notwendig sein, stationäre Grenzkontrollen durchzuführen".

Partiell notwendige stationäre Kontrollen? Eine Tür öffnet sich da einen Spalt breit, durch den das Parlament in eine konstruktivere Debatte eintreten könnte. Nur dass es dazu eben nicht kommt. Denn die AfD ist an der Reihe, deren Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann die Bilder von der Insel Lampedusa beschwört. "Das ist eine Invasion", sagte er. "Das sind Männer, vor denen wir Schutz brauchen." Jede Woche komme es in Deutschland zu "gewalttätigen Ausschreitungen", Vergewaltigungen. Das habe sich auch die Union zuzuschreiben, die in der Migrationsfrage eingeknickt sei und eine offene Gesellschaft propagiere. Nun stehe sie vor den Trümmern ihrer Politik. "Die Söders, die Merzens, sie schwanken im Wind", sagt Baumann. "Aber wir sind der Wind."

Ein wenig ratlos wirken nach diesem Auftritt die Grünen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt spricht gar nicht erst über Grenzkontrollen. "Zuallererst brauchen die Kommunen genügend Geld, um die Strukturen aufrechtzuerhalten, die jetzt notwendig sind", sagt sie. Die Fehler von 2015, als es an belastbaren Aufnahmestrukturen für Geflüchtete fehlte , dürften nicht wiederholt werden. Jetzt erhebt sich ein Unions-Abgeordneter. Es sei ja sehr "mütterlich" von Göring-Eckardt, mehr Geld für Kommunen zu fordern. Lieber wüsste er aber, wie sie Probleme lösen wolle, die auch ein grüner Landrat in seinem Wahlkreis benannt habe: "dass wir keine Kitaplätze mehr haben, dass wir keine Schulplätze mehr haben, alles platzt aus allen Nähten". Eben, antwortet Göring-Eckardt, deshalb müsse mehr Geld ins System.

Den nächsten Anlauf macht FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Es müssen Schluss damit sein, dass Bund und Länder sich bei Abschiebungen "ständig gegenseitig auf den Füßen stehen", sagt er. Acht Innenminister in den Ländern würden von CDU und CSU gestellt. Wenn sie mehr Abschiebungen wollten, müsste sie sie eben auch durchsetzen. "Warum geht's denn nicht los?" Die Hand, die der Bundeskanzler ausgestreckt habe für einen Deutschlandpakt, sagt Kuhle noch, die habe die Union einfach "weggeschlagen" in dieser Debatte. "Wo ist eigentlich der Herr Bundeskanzler?", fragt irgendwann der CDU-Abgeordnete Thorsten Frei. Er werde vermisst, nicht nur auf der Regierungsbank an diesem Freitag.

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