Migration:Die Bezahlkarte für Geflüchtete kommt

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Über die Bezahlkarte, hier das Modell aus Bayern, könnte kommende Woche im Bundestag beraten werden. Dann sind die Länder am Zug. (Foto: Sven Hoppe/DPA)

Nach monatelangem Ringen hat sich die Koalition geeinigt: Asylsuchende sollen den Großteil staatlicher Leistungen über eine Chipkarte abrufen. Aber nicht alle Zweifel sind ausgeräumt.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Über Monate gab es im Bundestag Krach um die Bezahlkarte für Asylbewerber. SPD und FDP wollen sie einführen, denn Länder und Kommunen fordern Entlastung bei der Betreuung Geflüchteter - und hoffen auf einen Rückgang der Asylanträge. Schutzsuchende in Deutschland sollen deshalb in Zukunft nur noch ein kleines Taschengeld in bar bekommen. Der Großteil der staatlichen Leistungen soll ihnen auf eine Chipkarte geladen werden, zum Einkaufen. Die Grünen im Bundestag unterstützen das Vorhaben nur zähneknirschend. Am Freitag aber fanden SPD, Grüne und FDP im Parlament zu einer Einigung, trotz aller Bedenken.

"Ich bin froh, dass es nach langen Verhandlungen gelungen ist, die Länder wie verabredet bei der Umsetzung ihrer Bezahlkarten zu unterstützen", sagte Dagmar Schmidt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, der Süddeutschen Zeitung. Die Koalition stehe zu ihrem Wort und schaffe einen rechtssicheren Rahmen für das Vorhaben, das die Länder unterstütze.

Transfers ins Ausland sind mit der Karte nicht möglich

Die Bezahlkarte soll Kommunen die Aufgabe abnehmen, alle Asylbewerberleistungen in bar auszuzahlen. Die neue Einkaufskarte soll aber auch verhindern, dass Schutzsuchende in Deutschland Teile staatlicher Zahlungen in Herkunftsländer überweisen, an Familien oder Schlepper. Transfers ins Ausland sind mit der Karte nicht möglich. Aber auch im Inland können weder Überweisungen noch Lastschrifteinzüge bewilligt werden.

An der Frage, wie der Alltag von Asylbewerbern funktionieren soll ohne bargeldlosen Zahlungsverkehr, haben sich im Bundestag erhebliche Kontroversen entzündet. Der Bund gibt bei der Bezahlkarte zwar nur den Rahmen vor, Details müssen die Länder regeln. Ein Entwurf aus dem Bundessozialministerium aber, den die Bundestagsfraktionen prüfen sollten, kam über Wochen nicht voran. Die SPD drängte auf Einigung, vergeblich. Endlich seien die Einwände ausgeräumt, hieß es am Freitag in der FDP. "Die Bezahlkarte für Asylbewerber wird kommen. Statt Grünen-Blockade braucht es mehr Pragmatismus und Realismus in der Migrationspolitik", sagte der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine.

Nur dass die Grünen ihre Einwände eben nicht als Blockade verstehen wollen, sondern als notwendige Korrektur eines zunächst wenig durchdachten Vorhabens. Die Bezahlkarte sei nicht nur ein Bremsklotz bei der Integration, hieß es dort vor der Einigung am Freitag. Sie könne auch das Gegenteil vom Gewünschten bewirken: neue Bürokratie für Behörden. "Weil Überweisungen und Lastschrifteinzüge mit der Karte nicht möglich sind, könnte auf die Kommunen ein Überlastungsirrsinn zukommen", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Stephanie Aeffner. "Damit wäre niemandem geholfen."

Einen "Riesen-Verwaltungsaufwand" befürchtete eine Grünen-Politikerin

Aeffner, grüne Berichterstatterin für Sozialpolitik, gehörte bis zuletzt zu den Kritikerinnen der Bezahlkarte. In Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete ändere sich dadurch zwar nicht viel, sagte sie. Dort haben Sachleistungen ohnehin Vorrang. Von der Miete über den Strom bis zu Reparaturen übernimmt der Staat alle Leistungen. Seien Geflüchtete aber umgezogen in eine Wohnung, müssten sie Strom, Telefon oder Handwerker selbst bezahlen, so Aeffner. Weil dies weder mit einem Taschengeld von 50 Euro noch mit der Chipkarte möglich sei, drohe "ein Riesen-Verwaltungsaufwand". Geflüchtete und auch langjährig Geduldete müssten dann wegen jedem kleinen Anliegen zum Amt. "Dann müssten die Kommunen jede Leistung einzeln bewilligen."

Die Grünen haben also auf eine Regelung gedrungen, die es den Ländern erlaubt, die Chipkarte für bestimmte Standardleistungen wie Strom- oder Telefonkosten freizuschalten. Auch der Deutsche Anwaltverein, der am Montag in einer Expertenanhörung des Bundestags zu solchen Fragen Stellung nehmen wird, warnt vor allzu hohen Alltagshürden für Asylbewerber. "Die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr muss gesichert sein", heißt es in der Stellungnahme. In Bayern habe man das Problem bereits erkannt. Dort würden nun Listen erstellt, welche Leistungsanbieter wie der öffentliche Nahverkehr oder Mobilfunkanbieter von der Kommune auf der Karte freigeschaltet werden sollen.

In der Einigung der Koalitionsfraktionen wurde dem Vernehmen nach aber nur festgelegt, dass Kommunen in jedem Fall sicherstellen müssen, dass Asylbewerber in der Lage sind, ihren persönlichen Bedarf im Haushalt zu decken und Stromrechnungen oder das Busticket zu bezahlen - im Zweifelsfall durch höhere Bargeldbeträge, die Geflüchteten ausgehändigt werden. Wenn etwa in einer ländlichen Gegend kein Automat zur Verfügung stehe, um per Karte zu bezahlen, müsse die Busfahrt trotzdem möglich bleiben, hieß es.

"Das Taschengeld für den Schulausflug, das Busticket, um zum Ausbildungsplatz zu kommen, der Strom- oder Internetanschluss - all das muss bei der Einführung von Bezahlkarten vor Ort garantiert werden", erklärte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch am Freitag. Gerade Kinder, die dauerhaft in Deutschland blieben, müssten sich integrieren können. Auch FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler zeigte sich zufrieden. Man habe die Forderungen der Ministerpräsidentenkonferenz und des Bundeskabinetts "ohne inhaltliche Änderungen" umgesetzt. Nun könnten die Länder mit der Bezahlkarte "einen der wesentlichen Pull-Faktoren für irreguläre Einwanderung ausschalten." Über das Vorhaben könnte kommende Woche der Bundestag beraten. Dann sind die Länder am Zug.

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