Ampelkoalition:Krisensitzung in Meseberg

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Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). (Foto: IMAGO/Political-Moments)

Gasumlage, Nahverkehrsticket, Entlastungen für Bürger: Wie SPD, FDP und Grüne nach einer gemeinsamen Leitlinie für die Lösung aktueller Probleme suchen.

Von Constanze von Bullion, Daniel Brössler und Henrike Roßbach, Berlin/Meseberg

Nach massiven Friktionen in der Ampelkoalition versucht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Zweifel am Zusammenhalt in seiner Regierung zu zerstreuen. Zu Beginn der zweitägigen Kabinettsklausur in Meseberg sprach Scholz am Dienstag von einer "guten Zusammenkunft, um sicherzustellen, dass wir als Bundesregierung eng und untergehakt zusammenarbeiten". Es gebe die Bereitschaft, "in einer ernsten Lage zum Wohl des Landes eng zusammenzuarbeiten". Angesichts der Zuspitzung der Energiekrise und zuletzt erheblicher Streitereien in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP wird die eigentlich routinemäßig stattfindende Klausurtagung dieses Mal für Scholz zum Versuch eines Befreiungsschlages.

Die Bundesregierung werde "sehr schnell" in der Lage sein, das seit Wochen angekündigte dritte Entlastungspaket vorzulegen, um die Folgen rasant steigender Preise abzufedern, kündigte Scholz an. Womöglich bis zum Ende der Woche sollen sich die Koalitionspartner auf Umfang, Einzelheiten und Finanzierung des Pakets verständigen. Man werde in dieser Woche sehr sorgfältig darüber diskutieren, wie "ein möglichst maßgeschneidertes, möglichst effizientes und zielgenaues Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger und unsere Unternehmen" auf den Weg gebracht werden könne, sagte Scholz. Es gehe nicht nur darum, die Energieversorgung zu sichern, sondern auch darum, "mit der Inflation umzugehen, sodass niemand alleine mit seinen Problemen bleibt".

Erkennbar war Scholz um einen optimistischen Ton bemüht. Die Bundesregierung habe das Notwendige auf den Weg bringen können, "um durch diesen Winter und durch den nächsten Winter zu kommen", sagte er. Deutschland sei ein "starkes Land" und könne mit Zuversicht und Selbstvertrauen in die Zukunft schauen. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich zuversichtlich. Es seien viele Entscheidungen getroffen worden, "um die Situation beherrschbar" zu machen, sagte Habeck mit Blick auf neue Gaslieferungen, das Befüllen der Speicher und die Errichtung von LNG-Terminals. Das zeige, "wie handlungsfähig und wie entschieden, diese Regierung für die Energiesicherheit in Deutschland arbeitet".

"Meine Stimmung war nie schlecht", sagte Habeck zum Klima in der Koalition. Es gebe in der derzeitigen Lage eine "Grundanspannung". Für die Koalition heiße das aber nicht, "dass wir nicht zugewandt und kollegial miteinander reden und agieren". Er habe nun auch einen "guten Vorschlag", um Trittbrettfahrer bei der Gas-Umlage "vom Trittbrett runter zu schubsen". Unternehmen müssten nachweisen, dass sie systemrelevant seien. Die zu beschaffenden Mengen müssten für das Unternehmen selbst relevant sein. Außerdem dürften Firmen die staatlichen Hilfen nicht für Boni und Dividenden auszahlen.

Die Grünen fordern eine gestaffelte Energiepreispauschale

Während in Meseberg das Kabinett tagt, kommen diese Woche auch die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP zu Klausurtreffen zusammen. Die Sozialdemokraten haben bereits ein eigenes Papier vorgelegt, wie ihrer Meinung nach das nächste Entlastungspaket aussehen soll. Darin findet sich unter anderem eine weitere Energiepreispauschale, die dieses Mal auch Rentner und Studenten zugute kommen soll, Arbeitnehmern aber nur bis zu einem bestimmten Einkommen. Bei diesem Punkt gibt es Schnittmengen nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit der FDP.

Die FDP-Bundestagsfraktion trifft sich ab Mittwoch in Bremen und hat inzwischen ebenfalls skizziert, welche Anforderungen sie an ein neues Hilfspaket stellt. Auch die Liberalen wollen demnach eine Einmalhilfe für bestimmte Gruppen: Im laufenden Haushaltsjahr sollten "etwaige weitere einmalige staatliche Unterstützungen" als Krisenmaßnahmen vor dem kommenden Winter "auf diejenigen konzentriert werden, die sie besonders benötigen", insbesondere Rentner und Studenten, heißt es in dem Papier.

Die Grünen drücken vor allem bei Entlastung für Geringverdiener aufs Tempo. "Lieber heute als morgen müssen wir zu einer Einigung kommen", sagte Fraktionschefin Katharina Dröge bei einer Klausur des grünen Fraktionsvorstands in Potsdam. Die Grünen fordern eine neue Energiepreispauschale, die je nach Einkommen gestaffelt wird. Außerdem wollen sie höhere Regelsätze für die Grundsicherung durchsetzen, das Kindergeld erhöhen und neben einem bundesweiten 49-Euro-Ticket auch ein regionales 29-Euro-Ticket im Nahverkehr einführen.

Die SPD-Fraktion will dagegen ein bundesweites 49-Euro-Ticket, FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner bremst. Verkehrsminister Volker Wissing werde "für einfache, bundesweit koordinierte und bezahlbare (nur nicht nahezu gratis) Öffi-Tarife sorgen", schrieb er am Dienstag auf Twitter. In dem Entlastungspapier der Fraktion heißt es, ein "bundesweit einheitliches und einfaches digitales ÖPNV-Ticket" wolle man "auch ohne die dauerhaft nicht mögliche staatliche Preissubvention verstetigen".

Die FDP fordert einen Streckbetrieb für Atomkraftwerke

Die Ausgangslage in der Energiepolitik ist kaum weniger konfliktreich. In diesen Tagen wird mit den Ergebnissen des Stresstests für das Stromnetz gerechnet - und damit auch mit einer Entscheidung, ob die verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen sollen als geplant. "Es müssen nun alle Register gezogen werden, damit wir sicher durch den Winter und die nächsten Jahre kommen", heißt es in einem weiteren Positionspapier der FDP-Fraktion, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die geplante Stilllegung der drei noch laufenden Atomkraftwerke würde die aktuelle Energiekrise verschlimmern, heißt es in dem FDP-Text. Es drohten "nicht nur eine verminderte Netzstabilität, sondern auch Versorgungsengpässe in Süddeutschland, die Verschärfung der Stromkrise in Frankreich und nicht zuletzt höhere Strompreise sowie mehr CO₂-Emissionen". In dem unter der Federführung von Fraktionsvize Lukas Köhler entstandenen Papier wird ein Streckbetrieb für die Atomkraftwerke gefordert. Das würde "nicht nur den Bedarf an knappem Erdgas spürbar senken", auch die Strompreise würden "spürbar gedämpft".

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez betonte als Gast der Klausurtagung Solidarität mit Deutschland. Sein Land wolle, sobald die Infrastruktur dafür geschaffen sei, mit Gaslieferungen helfen, damit Länder wie Deutschland "nicht mehr erpressbar" seien durch Russland. Thema der Klausur war auch die von der Bundesregierung erstmalig geplante Sicherheitsstrategie. Es gehe um eine Strategie, "die alle Ressorts mitdenkt und die alle Politikbereiche umfasst", sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

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