Streit um Mandel-Ops:Dicker Hals wegen acht Euro

Lesezeit: 2 min

Mandeloperationen helfen vor allem Kindern. Doch Ärztinnen und Ärzte finden sie unterbezahlt. (Foto: Imago)

Ärzte wollen Mandeloperationen aussetzen, weil die Vergütung sinkt. Krankenkassen halten die Klage für unbegründet. Der Konflikt entlarvt Fehler im System.

Von Rainer Stadler

Die Mandeln bestehen aus ein bis zwei Zentimeter dickem lymphatischem Gewebe, erklärt der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) auf seiner Webseite. Um dieses bisschen Gewebe ist ein heftiger Streit entbrannt. Der BVHNO und weitere Verbände haben die HNO-Ärzte aufgefordert, Mandel-Operationen bei Kindern auszusetzen. Es geht ums Geld, genauer gesagt um etwa acht Euro.

Um diesen Betrag haben die Krankenkassen zur Jahreswende die Vergütung für den ambulanten Eingriff gesenkt. Für zwei der gängigsten Mandel-Operationen erhalten die Ärzte jetzt noch 105 und 170 Euro. Jan Löhler, 53, ist Bundesvorsitzender des Berufsverbands und betreibt selber eine HNO-Praxis in Bad Bramstedt, nördlich von Hamburg. Er rechnet vor, warum sich die OP für 105 Euro nicht lohne: Allein für die Miete eines Platzes im OP-Zentrum fielen 50 Euro an, dazu kämen 20 bis 25 Euro für Desinfektion, Personal und Material. Bleiben 30 Euro für eine OP, die 20 Minuten dauert. In dieser Zeit ruht natürlich der Praxisbetrieb der operierenden Ärzte.

Der Kampf ums Honorar dürfe "nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden"

Löhler sagt, Mandel-OPs seien "schon seit Längerem nicht mehr wirtschaftlich erbringbar gewesen". Die jüngste Senkung der Vergütung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Deshalb fordert Löhler seine Berufskolleginnen und -kollegen nun auf, nur noch bereits vereinbarte Eingriffe vorzunehmen und keine weiteren Termine mehr anzunehmen. "Notfälle machen wir natürlich weiterhin", verspricht er.

Eine rasche Einigung ist nicht in Sicht: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die den neuen Vergütungskatalog mit ausgehandelt hat, bestreitet, dass es überhaupt zu einer Senkung gekommen ist und führt andere Berechnungen als der HNO-Berufsverband ins Feld. Und ein Sprecher des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) nahm die HNO-Ärzte moralisch in die Pflicht: Der Kampf um das Honorar dürfe nicht "auf dem Rücken kranker Kinder ausgetragen" werden.

Verbandschef Löhler entgegnet, die Versorgung der Kinder sei deshalb gefährdet, weil es keine adäquate Vergütung für die OP gäbe. Schon in der Vergangenheit hätten Eltern oft monatelang auf einen OP-Termin für ihre Kinder warten müssen. Wenn nun noch weitere Operateure abspringen, weil sich der Eingriff nicht rechnet, drohe tatsächlich "ein Notstand bei den Kinderoperationen".

Rückendeckung erhalten die HNO-Ärzte von Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Die prekäre Finanzsituation in der stationären Versorgung von Kindern und Jugendlichen sei schon lange bekannt, teilt Rodeck auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung mit. Doch auch die Reform der ambulanten Operationen durch KBV und GKV sieht er kritisch.

Minister Lauterbach will mehr ambulante Operationen

Zwar würden komplizierte Operationen künftig besser vergütet. Das bedeute aber gleichzeitig, dass Ärzte, die weniger komplexe Eingriffe wie Mandeloperationen vornähmen, "als Verlierer im System" dastünden. Kindermedizin sei personal- und kostenintensiv, "eine auskömmliche Finanzierung" bei ambulanten Behandlungen und Operationen deshalb "unabdingbar". Dennoch hält Rodeck es für "ethisch nicht vertretbar", wenn die HNO-Ärzte deshalb Mandel-OPs verweigern. Kinder dürften nicht die Leidtragenden des Konflikts sein.

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Berufsverbandschef Löhler sieht jedoch sehr grundsätzliche Interessen der Ärzte berührt. Seit Jahren hätten die Kassen ihnen Nullrunden bei der Vergütung verordnet, "während sie bei den Versicherten die Beiträge anheben". Die Politik gebe Rundumversprechen, was die Versorgung angeht, sei aber nicht bereit, dies angemessen zu honorieren. Auch vor dem Hintergrund, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zuletzt immer wieder betonte, es solle in Deutschland viel mehr ambulant operiert werden, um die Krankenhäuser zu entlasten, sei die geringe Vergütung nicht nachvollziehbar.

Am kommenden Montag will der Verband die Ergebnisse einer Befragung vorstellen, in der Ärzte angeben sollten, wie sie zur Aussetzung der Mandel-Operationen stehen. Löhler sagt, es zeichne sich eine überwältigende Mehrheit für die Aktion ab.

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