Meinungsfreiheit:Der Stoff, aus dem Blockaden sind

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Die Vorlesung von AfD-Gründer Bernd Lucke wurde zuerst am vergangenen Mittwoch gestört, an diesem Mittwoch wieder. (Foto: Markus Scholz/dpa)
  • Studentischen Widerstand gibt es an der Uni Hamburg nicht erst seit Luckes Rückkehr.
  • 1967 rollten Jurastudenten das geschichtsträchtige Transparent mit der Aufschrift "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren" aus.
  • Sympathie für sehr Linke kann man dem rot-grünen Hamburger Senat aber spätestens seit dem Chaosgipfel G 20 kaum vorwerfen.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Man kann ja bei aller Aufregung um die Rückkehr von Bernd Lucke jetzt nicht behaupten, dass studentischer Widerstand in Hamburg irgendwie neu wäre. Zwar ist die Universität der Freien und Hansestadt gerade erst 100 Jahre alt geworden, also vergleichsweise jung; die Finanzelite am Welthafen hatte an einem solchen Lehrinstitut vorher kein gesteigertes Interesse. Aber bereits 2017 feierte eine Aktion ihr 50-jähriges Jubiläum, die mindestens symbolisch als Mutter aller Studentenproteste durchgeht.

Am 9. November 1967 löste ein Rektor feierlich den anderen ab, das Audimax war gefüllt. Da postierten sich die Jurastudenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer in ihren Anzügen auf der Treppe und packten ihr Transparent aus. "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren", stand darauf. Ein Satz wie gemeißelt, Vorwort der 68er-Bewegung. Ein Klassiker.

"Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren": 1967 störten Detlev Albers (l.) und Gert Hinnerk Behmler (r.) im Audimax der Hamburger Universität die traditionelle Rektoratsübergabe zu Beginn des Semesters. (Foto: picture-alliance/ dpa)

52 Jahre später wird nun über verhinderte Auftritte gestritten. Es geht um den AfD-Gründer und Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, es geht auch um FDP-Chef Christian Lindner. Und der Ärger reicht über Hamburg hinaus, bis nach Göttingen und Berlin. In Göttingen gab es gerade Aufruhr wegen einer blockierten Lesung des vormaligen Innenministers Thomas de Maizière. In Berlin debattierte der Bundestag über die Vorfälle in Norddeutschland. Was tun?

Man verliert leicht den Überblick, daher noch mal kurz der Reihe nach: Zunächst war es vor einer Woche zu Tumulten im Hörsaal gekommen, als Bernd Lucke sein Comeback an der Hamburger Uni geben wollte. Fünf Jahre lang hatte er dort gefehlt, so lange saß der VWL-Professor für die Fraktion Europäische Konservative und Reformer im Europaparlament, nachdem der Euro-Kritiker Lucke 2013 die AfD miterfunden und EU-Abgeordneter für die AfD geworden war, ehe er seine Partei 2015 verließ. "Es ist Frühling in Deutschland", rief er nach seiner Wahl 2014 aus. "Manche Blumen blühen auf, andere verwelken" - er meinte die AfD und die Rivalen.

Das Präsidium der Uni Hamburg verurteilt die Störungen von Luckes Vorlesung "aufs Schärfste"

Nun ist Herbst 2019 in Deutschland, und der verbeamtete Lucke soll nach seiner verdorrten Politkarriere lehren wie früher. Gegnern missfällt das. Erst verhinderten Demonstranten Luckes erste Vorlesung, Titel "Makroökonomik II". Dann musste er am Mittwoch dieser Woche seine zweite Lehrveranstaltung vorzeitig beenden, obwohl sogar Wachpersonal an der Tür postiert war. Die Störer, darunter einzelne Vermummte und Mitglieder der Antifa, überwanden die Sperre, es kam zu Rangeleien. Wieder musste Lucke mit seinem Rucksack nach draußen geleitet werden.

Die Studentenvertretung AStA hatte schon frühzeitig Kundgebungen angekündigt. Bernd Lucke, schrieb sie, "hat mit der Gründung der AfD eine Partei geschaffen, mit der heute eine Vielzahl emanzipatorischer Institutionen aus Kunst und Kultur, aber auch den Bildungsbereichen zu kämpfen hat." Es sei "unzumutbar", dass einer ohne Weiteres in den wissenschaftlichen Betrieb zurückkehren könne, der "Mitverantwortung für die heutigen gesellschaftlichen Verwerfungen in Deutschland trägt".

Auch wird im Rahmen der Auseinandersetzung daran erinnert, dass Lucke bestimmte Migranten "eine Art sozialen Bodensatz" genannt, von "Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus" gesprochen und seine Nachfolgepartei LKR noch 2018 die Hamburger "Merkel-muss-weg"-Demos unterstützt hatte. "Kein Recht auf Nazipropaganda", hallte es durch die Uni. Rechte Kreise werfen manchen Demonstrierenden nun ebenfalls Nazimethoden vor. Am Donnerstag musste wegen einer Bombendrohung unbekannter Herkunft obendrein kurz das Universitätsgelände geräumt werden. Da verkommt zur Randnotiz, dass gleichzeitig wahrhaftige Rechtsextreme eine Ortschaft bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein in Angst und Schrecken versetzen.

Die Uni verurteilt die Störungen "aufs Schärfste"

Das Uni-Präsidium unter Rektor Dieter Lenzen verurteilt die Störungen von Luckes Vorlesung "nachdrücklich aufs Schärfste", die Freiheit von Forschung und Lehre dürfe nicht beeinträchtigt, Beamte dürften nicht "an der Ausübung ihrer Amtspflichten gehindert werden". Gleichzeitig gerate eine Universität da "an die Grenzen ihrer Möglichkeiten der Herstellung von Sicherheit und Ordnung", das sei "nunmehr Aufgabe der Politik."

Im Zentrum des Hamburger Politstreits zur Sache steht die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank von den Grünen, die nach den Bürgerschaftswahlen im Februar 2020 ihren Vorgesetzten Peter Tschentscher von der SPD ablösen will. Auch sie lehnt die Behinderungen von Luckes Lehrauftrag ab: "Das ist Unrecht in der reinsten Form."

Am Montag wurde Ex-Innenminister Thomas de Maizière in Göttingen am Lesen gehindert. (Foto: Stefan Rampfel/dpa)

Sympathie für sehr Linke kann man dem rot-grünen Senat spätestens seit dem Chaosgipfel G 20 kaum vorwerfen. Bei Katharina Fegebank beschwerte sich aber auch der FDP-Vorsitzende Lindner, dessen geplante Veranstaltung mit der Liberalen Hochschulgruppe von der Hamburger Uni abgelehnt wurde, weil die Uni keine Bühne für Parteipolitik sein will. Wobei kürzlich in derselben Uni die Linken Sarah Wagenknecht und Fabio De Masi sowie Juso-Chef Kevin Kühnert diskutierten.

Und dann war da auch noch der Montagabend, als pfeifende Protestierer Thomas de Maizière daran hinderten, beim Göttinger Literaturherbst im Alten Rathaus aus seinem Buch "Regieren. Innensichten der Politik" zu lesen. Ihre Argumente: Deutsche Waffen seien Teil des türkischen Angriffs auf Nordsyrien, und der Flüchtlingsdeal führe zu einer zahnlosen Haltung gegenüber Erdoğan. In Göttingen gibt es wie im Hafenstraßen- und G-20-erprobten Hamburg starke linke Gruppen.

Nichts als Herbst? De Maizière will seinen Vortrag nachholen. Lucke plant seine nächste Vorlesung. Und das Plakat mit dem Spruch von 1967 (die schwarze Stoffbahn war übrigens Trauerflor bei der Beerdigung des erschossenen Studenten Benno Ohnesorg) liegt im Hamburger Staatsarchiv. Urheber Behlmer wurde später ganz bürgerlich Jurist und Staatsrat.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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